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Midlife Crisis Der große Druck ab 40

Midlife Crisis: Frau mit Lockenwicklern vor Spiegel
© simona pilolla 2 / Shutterstock
Frauen über 40 erleben eine ganz neue Art von Midlife-Crisis: Sie arbeiten in unsicheren Jobs, ziehen Kinder groß und pflegen oft gleichzeitig die Eltern. Es geht nicht mehr um den Sinn des Lebens, es geht um die eigene Existenz.

In dem Moment, in dem ich dachte, dass ich als Frau alles erreicht hatte, was scheinbar zählt – Karriere, ein Kind, das ich selbstbewusst allein erziehe –, lasse ich alles auseinanderfallen: Ich kündige meine Wohnung, meinen Job und damit auch mein bisheriges Leben und ziehe zurück in meine Heimatstadt. Ich bin gerade 40 geworden. Es ist keine Entscheidung über den Sinn meines Leben. Es ist die Angst vor einem dritten Burn-out. Ich suche nicht nach Sinn. Ich suche nach Entlastung.

Die große Unsicherheit

Ich bin nicht die Einzige. Finanzieller Druck, fehlende Kinderbetreuung, die eigenen Eltern, die krank werden, Arbeitsverträge, die nicht verlängert werden. Während unsere Mütter, die Babyboomer-Generation, mit 40 das Haus fast abgezahlt hatten, leben wir im gleichen Alter oft mit der Unsicherheit einer 25-Jährigen. In vielen Fällen ohne Immobilie, jeder zweite Deutsche wohnt heute zur Miete. Es sind die Abende am Telefon mit der Freundin, an denen man mit Blick auf den Kontostand und den morgigen Tag leise fragt: Geht es dir auch so?

Ich kenne viele Frauen, die nach außen hin ein erfolgreiches Leben führen (Karriere, Kind, tolle Wohnung), innerlich aber kurz davor sind, zusammenzubrechen, und das Gefühl haben, in der Situation gefangen zu sein. Im Alltag sind diese Fälle kaum sichtbar, weil die Erschöpfung oft mit einem Schamgefühl verknüpft ist, dem Leben nicht gewappnet zu sein. So kümmert sich Meike, 42, seit mehreren Jahren um ihre demenzkranke Mutter, während zu Hause ihr Kind wartet, das seit Kurzem in die erste Klasse geht. Sie sagt: "Ich hätte nie gedacht, dass in meinen Vierzigern so viele existenzielle Krisen auf einmal zusammenkommen. Eine Generation verabschiedet sich, eine andere kommt. Ich habe das Gefühl, dass ich die wenige Zeit, die ich für mich habe, gar nicht nutzen kann, weil ich so erschöpft bin." Sie sei so froh, Abschied von ihrer Mutter nehmen zu können, doch die Belastung durch die Krankheit zehrt. Noch deutlicher fällt die Belastung zu Hause aus: "So schön es ist, ein Kind zu haben – es ist ein harter Job, der dein Leben erst einmal lahmlegt. Ich habe dabei sogar das Gefühl, den Frauen in meiner Familie auf den Leim gegangen zu sein. Es wird einem vorgegaukelt, dass man als Mutter glückselig sein soll. Das bin ich nicht. Ich bin erschöpft." Sie fügt hinzu, dass es immer noch ein Tabu sei, offen auszusprechen, wie unglücklich man als Mutter sein kann.

Durchgeschlafen hat sie schon lange nicht mehr.

Kathrin, 43, keine Kinder, hat seit mehr als einem Jahr Atemprobleme. Sie würgt die Luft hoch, bekommt Schnappatmung. Es ist vermutlich Stress, sagt sie. Durchgeschlafen hat sie schon lange nicht mehr, zwei Kollegen im Job machen ihr zu schaffen. Sie ist Führungskraft, hat Verantwortung für mehr als 15 Kollegen. Ihr Job finanziert ihren Lebensstil, einen Wohnwagen, teure Urlaube. Im tiefsten Inneren hätte sie gern einen ganz anderen Beruf, aber sie fragt sich: "Kann ich das jetzt noch machen?"

Susanne ist 50, alleinerziehend mit einer Tochter im Teenager-Alter. Mit Anfang 40 kam die Ehekrise und die Trennung von ihrem Ehemann, der Verlust des gemeinsamen Hauses. Sie musste noch einmal ganz von vorn anfangen und fiel in eine schwere Depression. Sie erinnert sich: "In meinen Kopf war ständig die Frage: Schaffe ich das alles?"

Burn-out auf dem Vormarsch

Das Erreichen von Sicherheit, ein Sinnbild für das Erreichen des 40. Geburtstags, gibt es nicht mehr. Stattdessen schlägt das Leben da noch einmal richtig zu. Frauen leiden mit 83 Krankentagen pro Jahr häufiger unter einem Burn-out als Männer (55 Krankentage), der Krankenausfall aufgrund eines Burn-outs hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Wir schlittern nicht in die Saturiertheit, sondern in eine Krise, die sich anders anfühlt als die typische Midlife-Crisis: Es ist kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches.

Die amerikanische Journalistin Ada Calhoun hat über den Zustand der Frauen in der Lebensmitte ein Buch geschrieben. Es heißt passenderweise "Why We Can’t Sleep: Women’s New Midlife Crisis" und schaffte es auf Anhieb auf die Bestsellerliste der "New York Times". Das Besondere daran ist der Blick auf unsere Generation, der Generation X, die die Jahrgänge 1965 bis 1980 umfasst. "Diese Generation arbeitet sehr, sehr hart", erzählt Calhoun in einem Interview und verweist auf die Leistung, gleichzeitig im Beruf zu stehen, Mutter zu sein und immer noch mehr im Haushalt zu tun als der Partner. "Und doch hat sie nicht erreicht, was sie wollte." Das führe, so Calhoun, zu Scham, nicht gut genug zu sein, und zu Frustration, nie seinen eigenen Standards gerecht zu werden.

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Sie sprach mit Frauen zwischen 40 und Mitte 50, die, so die gesellschaftliche Annahme‚ alles erreichen können, und erlebte vor allem erschöpfte Frauen, die überwältigt sind vom Alltag und in ständiger Panik ums Geld. "Anstatt dass ihre Sorgen gehört werden, sagt man ihnen, sie sollen sich mehr einbringen oder mehr Zeit für sich ein- planen." Zurück bleiben Frauen wie jene Mutter, die Calhoun zu Beginn ihres Buches beschreibt: Aus Frust darüber, dass der Sohn das iPad nicht aus der Hand legt, um beim Kofferpacken zu helfen, zerschmettert sie es mit einem Hammer. Was sich als Frust entladen hatte, führte bei der Mutter zum Zusammenbruch: "Es war schrecklich. Mein erster Gedanke beim Blick auf das zerbrochene Glas war: Ich muss eine gute Therapeutin finden. Und zwar jetzt, sofort."

"Least parented generation"

Es scheint, als seien wir dem Leben nicht gewachsen, obwohl wir doch die besten Voraussetzungen mitbringen. Die meisten von uns konnten studieren – etwas, was vielen unserer Mütter verwehrt geblieben ist. Wir können über unsere Beziehung frei entscheiden, die Generation X war die erste sogenannte Single-Generation. Wir sind auch in einer Zeit aufgewachsen, die von großer Unsicherheit geprägt war. Traditionelle Familienstrukturen brachen auf und führten in den Achtzigerjahren zu hohen Scheidungsraten, was wiederum zu sozialer Unsicherheit führte. Und zu Eltern, die nicht mehr zu Hause waren, wenn man von der Schule kam. Bei uns kennt man das Bild der Schlüsselkinder. In den USA spricht man von der "Least parented generation", der Generation, die am wenigsten elterliche Zuwendung bekommen hat. Heute dagegen verbringen wir mehr Zeit mit unseren Kindern als jede andere Generation zuvor. Das führt nicht immer zu Akzeptanz. Oft bleibt der fassungslose Blick der Eltern zurück, die noch in stabilen Jobs und klassischer Rollenverteilung groß geworden sind. Beides gibt es heute nicht mehr, und selbst bei traditionell verteilten Rollen müssen oft beide Elternteile arbeiten gehen, um den Lebensstandard zu halten.

Das liegt nicht daran, wie Calhoun es beschreibt, dass wir zu viel Geld in Pearl-Jam-CDs gesteckt hätten. Der Maßstab an ein normales Leben ist heute höher als früher. Das führt dazu, dass eine Familie mehr Einkommen braucht, um mit dem Lebensstil der Mittelschicht mitzuhalten. Die Immobilienpreise sind gestiegen, unsere Generation hat globale Wirtschaftskrisen erlebt, wir leben mit befristeten Verträge und einem sich rasant verändernden Arbeitsmarkt, der zu Lebensläufen mit deutlich mehr Brüchen führt. Fast jeder dritte Haushalt in Deutschland hat zudem keine Rücklagen, nicht wenige leihen sich auch noch mit 40 Jahren Geld von den Eltern. Und ja, Frauen verdienen immer noch rund 20 Prozent weniger als Männer. Sie arbeiten dabei überdurchschnittlich oft in Teilzeit und haben immer noch selten Jobs in Führungspositionen. Frauen erledigen den Haushalt, Pflege, Betreuung und Ehrenämter, arbeiten damit rund viereinhalb Stunden pro Tag ohne Bezahlung. Dabei haben Frauen oft mehr Arbeitsbelastung als unsere Mütter, die als Hausfrau zu Hause arbeiteten, während unsere Generation häufiger zusätzlich einem Beruf nachgeht.

Gibt es eine Lösung?

"Wir brauchen mehr Solidarität untereinander, mehr Sisterhood", sagt Meike. "Je ehrlicher wir mit unseren Krisen umgehen, desto mehr Kräfte können wir freisetzen." Es sei anstrengend, so zu tun, als ob alles "toll" sei. Außerdem sei es tröstlich, dass sie kein Einzelfall sei: "Die Krisen kommen für uns alle." Susanne ging für drei Wochen in den Wald, lebte dort allein in einem Zelt, ohne Kind, um über ihr zukünftiges Leben nachzudenken. Sie entschied sich für ein Leben im Ausland und begab sich in Therapie. Kathrin hat den Job gewechselt und hofft auf weniger Stress. Und auch wenn es zu Beginn nicht einfach war, bin ich froh, dass sich mein 40-jähriges Ich für einen radikalen Wechsel entschieden hat. Heute, mit 43, lebe ich in einem Alltag ohne Adrenalin. Das macht vor allem eines: zufrieden. Und ich weiß wieder, dass es noch etwas anderes gibt als ein Leben, das geprägt ist von äußeren Erwartungen, von Arbeit und Status. Calhoun sagt es so: Nur weil wir die Möglichkeit hätten, alles erreichen zu können, heißt es nicht, dass wir alles erreichen müssen.

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