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Männliches Gehirn, weibliches Gehirn: Ist das festgelegt?

Männliches, weibliches Gehirn: Mann und Frau liegen im Gras
© wavebreakmedia / Shutterstock
Jungs können Technik, Mädchen sich gut kümmern? Die Psychologin Cordelia Fine sagt: Das ist ganz sicher nicht biologisch festgelegt - jedes Gehirn ist ein Mosaik aus männlichen und weiblichen Anteilen

Brigitte: Frau Fine, es gibt zahlreiche Glaubenssätze, warum Männer aufgrund ihrer Biologie angeblich "so" sind und Frauen "anders". Sie sagen, dass das zu weiten Teilen Quatsch ist.
Cordelia Fine: Der Fehler liegt schon in der Annahme, dass "biologisch" heißt, etwas sei x und unveränderlich. Ja, es gibt Studien zu Unterschieden zwischen Gehirnen von Männern und Frauen. Man nimmt dann vielleicht an, das sei von Anfang an so festgelegt. Aber ein Gehirn entwickelt sich durch die Erfahrungen, die wir machen. Und diese Erfahrungen sind es, die für Männer und Frauen oft unterschiedlich sind.

Es gibt also gar kein "männliches" und "weibliches" Gehirn?
Es gibt einige Persönlichkeitsmerkmale und Charakteristika, die im Durchschnitt bei Männern und Frauen unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Aber zum einen sind diese Unterschiede relativ klein, und zum anderen addieren sie sich nicht zu einem großen Mann-Frau-Unterschied - es ist eher ein "Geschlechts-Mosaik", das heißt, jedes Gehirn hat seine individuelle Kombination aus eher männlichen und eher weiblichen Anteilen. Und diese Kombinationen sind so unterschiedlich, wie wir alle als Individuen unterschiedlich und einzigartig sind.

Und welche Rolle spielen die Sexualhormone? Es heißt ja, Männer würden wegen ihres höheren Testosteronlevels z. B. eher Risiken eingehen als Frauen.
Viele glauben, dass Testosteron das Verhalten steuert - in Wahrheit reagiert Testosteron auf das, was mit uns gerade in einer Situation geschieht. Wie andere Hormone auch hilft es uns, mit einer bestimmten Situation klarzukommen. Aber sowohl bei Frauen als auch bei Männern scheint es jede Menge Faktoren zu geben, wann und ob das passiert. Und außerdem gibt es bei solchen Zuschreibungen auch noch ein Sprachproblem. Wenn wir von "Risiko" sprechen - was meinen wir damit?

Es gibt in technischen Berufen mehr Männer als Frauen, in sozialen Berufen ist es umgekehrt. Alles Erziehungssache?
Man sollte überdenken, ob unsere Geschlechterzuordnungen nicht auch beeinflussen, welche Berufe wir überhaupt als „sozial“ verstehen und welche nicht. Eine gute Krankenschwester hat schließlich viele technische Fähigkeiten, ein guter Ingenieur ist teamfähig und versteht, was der Kunde braucht. Für die meisten Jobs gibt es auch nicht die eine einzige Idealkombination aus bestimmten Fähigkeiten, Motivation und Persönlichkeitsmerkmalen. Wenn jemand also sagen würde, dass Männer grundsätzlich besser für einen Technikjob geeignet seien, dann entspricht das der ziemlich gewagten Behauptung, dass alle Männer mit ihren völlig unterschiedlichen "Geschlechtsmosaik-Gehirnen" besser zu dem ebenfalls sehr variablen Anforderungsmosaik eines Technikjobs passen als alle Frauen.

Eltern bemerken oft, dass selbst kleine Kinder klassische Geschlechterklischees erfüllen: Die Mädchen spielen mit der Puppe, die Jungs mit dem Traktor.
Statistisch gesehen haben in Versuchen mit Zweijährigen sowohl Jungs als auch Mädchen ein Drittel ihrer Spielzeit mit Spielzeugen verbracht, die nicht "für sie" waren. Und man muss dabei berücksichtigen, dass diese Kinder auch schon zwei Jahre auf dieser Welt sind. Kinder begreifen sehr früh, dass "männlich" und "weiblich" in der sozialen Welt eine große Rolle spielen, und sie wollen lernen, was das heißt - gerade dann, wenn sie mit etwa zwei oder drei Jahren ihre Geschlechtsidentität entwickeln. Sie bevorzugen daher Aktivitäten, die andere Kinder ihres eigenen Geschlechts machen.

Warum war es Ihnen wichtig aufzuzeigen, dass die Biologie auf Männer und Frauen weniger Einfluss hat, als viele denken?
Mein Buch zu dem Thema heißt "Testosterone Rex", und ich habe es so genannt, weil uns immer noch dieser Mythos von dem Steinzeitmann erzählt wird, der aggressiv und risikobereit war, und der Steinzeitfrau, die treusorgend und vorsichtig war, und das wurde nun unveränderlich von Generation zu Generation weitergegeben. Wenn dieser Mythos bestehen bleibt, ist jede Hoffnung auf echte Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern vergebens.

Cordelia Fine ist britische Psychologin und lehrt an der Universität Melbourne, Australien. In dem Buch "Testosterone Rex" (nur auf Englisch) befasst sie sich mit Geschlechtsunterschieden aus neurowissenschaftlicher Sicht.

Brigitte 11/2018

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