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Macht ein nachhaltiges Leben glücklich?

Macht ein nachhaltiges Leben glücklich? Frau im Weizenfeld
© De Repente / Shutterstock
Eine gute Tat für die Umwelt entlastet uns zwar nicht von anderen Ökosünden, aber ein positives Gefühl gibt sie uns schon ... Die Psychologin Karen Hamann erforscht, was Menschen dazu bringt, biokorrekt zu handeln

BRIGITTE: Frau Hamann, lassen Sie uns über Nachhaltigkeit sprechen – jenseits von Tipps für ein umweltbewussteres Leben. Mich interessiert das emotionale Moment.
Karen Hamann: Was meinen Sie damit?

Wer eine lose Biogurke auf dem Markt kauft statt eine eingeschweißte im Supermarkt, dem geht es um weit mehr als nur den Einkauf. Leben wir auch deshalb umweltbewusst, weil wir uns gut fühlen wollen?
Nachhaltigkeit wird schon seit einigen Jahren immer positiver besetzt, und der Gedanke, dass ein nachhaltiges Leben zugleich ein gutes Leben sei, ist weitverbreitet. Es stimmt: Wenn Sie zur unverpackten Biogurke greifen, können Sie sich ziemlich gute Gefühle verschaffen.


Wenn wir uns damit so gut fühlen - warum leben dann nicht alle konsequent nachhaltig?

Weil Nachhaltigkeit weniger ein einzelnes Gefühl als eher ein Gefühlscocktail ist. Sie ruft weit mehr als eine Emotion hervor, und diese Emotionen können widersprüchlich sein.


Das müssen Sie erklären.

Nehmen Sie eine Umweltdokumentation oder die täglichen Nachrichten: Diese können auch ein Fünf-vor-zwölf-Gefühl anfüttern. Manchen Menschen erscheint dann die Zukunft so schwarz, dass sie alles meiden, was sie mit dieser Zukunft konfrontiert. Bei den meisten Menschen geben weniger weltumspannende als vielmehr individuelle und alltägliche Bedürfnisse den Ausschlag.


Haben Sie dafür ein Beispiel?
Es gibt Menschen, die hin- und hergerissen sind zwischen ihrem Umweltbewusstsein und dem Wunsch, ihre Kinder sicher zu transportieren, und dann einen SUV fahren. Oder man bewertet Statussichtbarkeit und Bequemlichkeit höher.


Die eigenen Kinder zählen hier mehr als die Gesellschaft als Ganzes.

Nähe, Verbundenheit und der Wunsch nach Zugehörigkeit, auch Anerkennung, sind enorm hohe Werte. Jede Einzelne von uns kann das in ihrem Alltag beobachten: Isst meine Kantinen-Mittagsrunde nicht mehr täglich Fleisch, greife ich ziemlich sicher auch häufiger zum Veggie-Gericht. Und umgekehrt kaufe ich vielleicht eine Flugmango, weil mein Freund die irre gern mag und ich natürlich von ihm gemocht werden möchte. Konkret: Wissen allein treibt uns nicht an - so ticken Menschen nicht. Menschen handeln immer auch auf der Grundlage von Beziehungen. Der Beziehungsmechanismus ist aber noch subtiler. Uns beeinflussen auch Menschen, denen wir auf der Straße oder im Supermarkt begegnen. Das meine ich mit Gefühlscocktail: Ob ich umweltbewusst lebe oder nicht, darüber entscheidet weit mehr als mein Wunsch nach einem vermeintlich guten Leben oder das, was ich über Klimawandel und Co. abgespeichert habe. 

Bei mir merke ich, dass ich mein umweltbewusstes Handeln auch nutze, um mir weniger ökologisches erkaufen zu können, fast einem Ablasshandel gleich. Wenn ich zum Beispiel den Trockner einschalte, sage ich mir: Dafür fahre ich irre viel Fahrrad.
Was Sie beschreiben, nennen wir Psychologen „Moral Licensing Effect“, frei übersetzt etwa Erlaubniseffekt: Wir buchen eine gute Tat auf der Habenseite, und weil die nun dort steht, erlauben wir uns guten Gefühls eine schlechte. Geht es um Nachhaltigkeit, kann das schnell total absurd werden. Wer fliegt, zu zweit in einem Einfamilienhaus wohnt und jeden Meter mit dem Auto fährt, kann das nicht mit einem Einkauf im Unverpacktladen ausgleichen. 

Aber genau dieser Gedanke ist doch tatsächlich weit verbreitet. Viele finden es auch in Ordnung, dass jeder eben so viel macht, wie er machen kann. Belügen wir uns da selbst?
Kaufen wir zwar Biogemüse, arbeiten aber nicht an den großen Brocken wie Energie, Wohnraum, Mobilität und Konsum als Ganzem, dann machen wir uns mit der Idee, jeder tue eben, was er kann, tatsächlich etwas vor. Mehr noch: Sie könnte sogar den Blick verstellen oder hemmen, weil gute Gefühle suggerieren, es genüge, was ich tue. Ein Beispiel: Jemand, der ganz neu ein E-Auto fährt, kann plötzlich einen deutlich schlechteren Fußabdruck haben als zuvor, als er noch einen Wagen mit Verbrennungsmotor fuhr. Schlicht, weil er sein Auto für umweltfreundlich hält und es nun mehr nutzt. 

Wie knacke ich diesen Mechanismus?
Indem ich Nachhaltigkeit zu einem Teil meiner Identität mache. Bei Menschen, die Umweltbewusstsein tatsächlich als Teil ihres Ichs begreifen, wirkt der „Moral Licensing Effect“ eher nicht. 

Ihr E-Auto-Beispiel: Momentan sollen nicht weniger Autos produziert werden, sondern andere. Und die Energiewende steht nicht für geringeren Verbrauch, sondern für einen anderen Strom. Brauchen wir nicht ein radikales Umdenken?
Ich bin Psychologin und keine Ökonomin, doch natürlich ist es so, dass in einem Wirtschaftssystem, das auf Wachstum ausgerichtet ist, allein Einzelne und auch nur in den von ihnen beeinflussbaren Bereichen nachhaltig leben können. Die Gesellschaft als Ganzes aber meiner Meinung nach nicht. 

"Würden wir weniger arbeiten und dabei weniger verdienen, würde das ein nachhaltiges Leben erleichtern"

Wer lebt denn nachhaltig? 
Es gibt das Vorurteil, dass man sich Nachhaltigkeit auch leisten können muss. Tatsächlich aber ist das Gegenteil wahr: Ärmere Menschen leben nachhaltiger, auch wenn sie es vermutlich nicht bewusst tun. Sie können sich schlicht keine Flugreisen leisten, sie leben auf weniger Wohnfläche und tauschen nicht fast monatlich den Inhalt ihres Kleiderschranks aus. Das sind die großen Brocken. Dann gibt es die Menschen, die bewusst nachhaltig leben, im Sinne eines Lebensstils. Statistisch gesehen sind diese Menschen eher jung und gebildet. 

Leben Sie denn nachhaltig?
Ich versuche es. Ich bin seit vier Jahren nicht mehr geflogen, ernähre mich vegan, besitze kein eigenes Auto und wohne in einer WG.


Damit leben Sie sehr viel bewusster als die meisten Deutschen, und doch macht Ihr Tun keinen echten Unterschied. In Deutschland kommen wir allein durch die laufende Infrastruktur auf etwa eine Tonne CO2 pro Jahr und Einwohner. Nach diesem Maßstab leben selbst wohnungslose Menschen nicht wirklich nachhaltig.
Tatsächlich kämpfe auch ich manchmal mit dem Gefühl, dass ich selbst nichts bewirken kann. Ich kann als kleines Individuum nicht die Schritte gehen, die nötig wären. 

Warum leben Sie trotzdem nachhaltig?
Weil ich nicht allein bin. Es stimmt, mein Verhalten verlangsamt beispielsweise den Klimawandel nicht. Aber mit anderen Menschen gemeinsam kann ich sehr wohl etwas bewirken, das lehrt doch auch die Geschichte. Es braucht immer Gruppen und natürlich auch Einzelne, die dann Veränderungen anstoßen und auch durchsetzen. 

Sie hoffen auf eine kapitalismuskritische Graswurzelrevolution?

Ohne kritische Menschen wird ein Wandel kaum möglich sein, aber auch die Politik muss dabei klare Vorgaben machen.


Wie motivieren Sie sich?
Mir hilft es ungemein, wenn ich mich mit Menschen umgebe, die meinem Empfinden nach vorbildlich handeln. Das nimmt mir das Gefühl des Einzelkämpfers und vermittelt Selbstwirksamkeit. Wenn ich in einer Gruppe bin, erlebe ich mein Handeln als weniger wirkungslos.


Wobei ich mich frage, ob jemand, der radikal nachhaltig lebt, überhaupt noch an der Gesellschaft, wie sie heute ist, teilhaben kann. Als Beispiel: Auch Bahnfahren schädigt das Klima.

Dass man aus der Gesellschaft raus ist, erlebe ich nicht. Ich fahre aber natürlich auch Bahn, so, wie ich auch atme – was ja auch CO2 produziert. Nachhaltigkeit aber ist keine Ganz-oder-gar-nicht-Entscheidung, auch, weil sich die Erde glücklicherweise zu einem gewissen Grad selbst erholen kann. Konkret: Wir dürfen einen CO2-Fußabdruck hinterlassen, nur keinen so enorm hohen wie derzeit. 

Ohne Verzicht ist nachhaltiges Leben nicht möglich. Um auf einen CO2-Fußabdruck zu kommen, der dem globalen Durchschnitt angemessen wäre, müssten wir Deutschen unseren Verbrauch um 80 Prozent senken. Jeder Einzelne von uns muss also radikal anders leben, statt weiterhin nur so viel zu tun, dass der Verzicht nicht wehtut.
Das ist immer noch besser, als überhaupt nichts zu tun. Wir Psychologen kennen nämlich nicht nur den „Moral Licensing Effect“, sondern auch den „Spill-over-Effect“. Von diesem Übertragungseffekt sprechen wir, wenn ein Ereignis Auswirkungen auf ein anderes Ereignis hat. Konkret: Vielleicht erkaufen Sie sich momentan Ihren Trockner mit Radeln. Das Radeln kann Sie aber auch dazu bringen, in anderen Bereichen nachhaltiger zu leben.

Also zu verzichten.
Oder zu gewinnen. Ein Beispiel: Momentan diskutieren wir die 28-Stunden-Woche hauptsächlich als Vereinbarkeitsfrage. Es ist aber auch eine Nachhaltigkeitsfrage – wie ganz viele Felder des täglichen Lebens. Wer 50, 60 Stunden in der Woche arbeitet, hat nicht unbedingt die Kraft, sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Nach einem übervollen Tag greift man eher zu Fertigprodukten oder rast noch mal eben mit dem Auto fünf Minuten vor Kassenschluss in den Supermarkt. Würden wir weniger arbeiten und dabei weniger verdienen, würde das ein nachhaltiges Leben erleichtern.

Karen Hamann: Die Umweltpsychologin, Jahrgang 1991, forscht und lehrt an der Universität Koblenz­-Landau. Sie ist Mitglied im Wandelwerk Umweltpsychologie und Autorin des Buches „Psychologie im Umweltschutz“ (19,95 Euro, Oekom­Verlag; oder als PDF unter www.wandel­werk.org/Handbuch).

Brigitte 11/2018

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