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Coming-out Lesbische Frau erzählt: "Mein Mann meinte, das sei kein Grund, alles hinzuwerfen"

Martina Tirolf: Rückaufnahme einer Frau, die sich mit der Hand durch die kurzen Blonden Haare fährt
© GaudiLab / Shutterstock
Jetzt reiß Dich mal zusammen! Das dachte Martina Tirolf lange und versuchte, ihre Gefühle für Frauen zu unterdrücken. Das Coming-out vor sich selbst, ihrem Mann und den Kindern verlief in vielen kleinen Schritten.

Nicht vor und nicht zurück

Letztlich war es mein Körper, der die Reißleine gezogen hat. Ich bin einfach zusammengebrochen. Beim Einräumen der Waschmaschine klappten mir die Beine weg und ich konnte gerade noch die Nachbarin anrufen, die den Rettungsdienst alarmiert hat. Ich kam in die Neurologie und wurde komplett durchgecheckt: Schlaganfall, Hirntumor, Multiple Sklerose. Mir war eigentlich klar, dass sie nichts finden würden. Stattdessen war ich gefragt, mich endlich diesem Thema zu stellen.

Dass ich mich zu Frauen hingezogen fühlte, wusste ich tief in mir schon lange. Aber was sollte ich mit diesen Gefühlen machen? Konnte ich das leben? Wollte ich es? Manchmal wenn ich beruflich im Ausland war, hatte ich diesen Gedanken: "Ich steig einfach nicht ins Flugzeug und fange noch mal neu an." Natürlich habe ich es nie getan.

Weil eine Freundin davon schon immer geschwärmt hatte, habe ich ein Schweigeseminar gebucht und bin dort mit dem Gedanken hin: "Jetzt reiß dich mal zusammen! Mach einen Deckel drauf und besinn dich. Alles andere läuft doch gut: Beziehung, Familie, das kann man doch nicht alles wegschmeißen, weil man vielleicht denkt, man steht auf Frauen." Aber dann wurde es beim Schweigen sozusagen furchtbar laut. Da war so viel Energie, die rauswollte. Ich habe mein Leben reflektiert, die Verletzungen, die ich als Kind und Jugendliche erfahren habe.

Anpassen statt Anderssein

Ich habe nie in dieses typische Mädchenbild gepasst. Ich hatte kurze Haare, man hat mich in keinen Rock bekommen und ich wurde immer als Junge gelesen. Auf der weiterführenden Schule haben mich die Mädchen auf der Toilette angepöbelt und wollten mich rausschmeißen, weil sie dachten, ich hätte dort nichts verloren. Irgendwann in der Pubertät bin ich dann den einfacheren Weg gegangen: Ich ließ mir die Haare wachsen, hatte Beziehungen zu Jungs und mich dadurch quasi in Sicherheit gefühlt. Ich habe mich Hals über Kopf in meinen späteren Mann verliebt. Das war alles richtig und echt, aber eben nur für einen Teil von mir. Jetzt verlangte der andere Teil meines Ichs Raum.

Ich bin vom Schweigen zurückgekommen und habe meinem Mann gestanden, was los war. Er meinte, das sei für ihn kein Grund, alles hinzuwerfen, ich solle schauen, was ich brauche. Nach außen lebte ich also weiter mein altes Leben und sah mich zugleich in der queeren Szene um. Ich merkte immer mehr, wie ich die Frauenliebe leben wollte, aber eine Trennung habe ich alleine nicht geschafft.

Antje, meine jetzige Frau, war dann der letzte Tropfen. Ich habe direkt am Tag nach dem Kennenlernen meinem Mann gesagt, dass es aus ist. Er hätte auch zu dem Zeitpunkt noch viel gegeben, dass wir als Familie zusammenbleiben, aber ich habe sozusagen für uns beide Verantwortung übernommen. Inzwischen ist er mir dankbar, dass ich damals so klar war.

Man muss seinen eigenen Weg finden

Es bringt eben nichts zu sagen: Ich darf nicht so sein, wie ich bin. Auch was die Kinder angeht. Sie sind beide super durch diese Zeit gekommen, ein Dreivierteljahr haben wir als Eltern-WG gelebt, dann bin ich mit Antje zusammengezogen, nur einen Kilometer entfernt. Inzwischen sind die Kinder 13 und 16 Jahre alt. Eine Woche leben sie bei uns und eine Woche bei meinem Ex und ich war nie entspannter.

Ob ich früher ehrlicher hätte sein müssen? Man kann die Dinge ja nur im Nachhinein beurteilen, jetzt, da alles gut gelaufen ist. Aber wahrscheinlich lief alles gut, eben weil es so viele kleine Schritte waren. Ich schaue da nicht zurück. Wenn überhaupt, geht mein Blick auf die heteronormative Gesellschaft, denn sie hat großen Anteil daran, dass ich als Teenager meine eigene Identität nicht finden konnte.

Mehr über Martina Tirolfs Erfahrungen kann man auf ihrem Blog https://www.queer-is-near.com lesen.

Brigitte

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