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Wer nicht träge werden will, braucht Träume

Wer nicht träge werden will, braucht Träume
© Dubova/Shuttertsock
Je besser es uns geht, desto träger werden wir. Das ist nicht gut, meint die Sozialpsychologin Professorin Dr. Andrea Abele-Brehm.

BRIGITTE: Warum üben Menschen, die ein mutiges Vorhaben tatsächlich umsetzen, solch eine Sogwirkung aus?

Andrea Abele-Brehm: Ich glaube nicht, dass das jeden fasziniert. Es kann aber eine sehr ansteckende Wirkung haben und diejenigen motivieren, einen Wunsch zu verwirklichen, die sich vorher nicht trauten. Viele sind auch einfach nur neugierig, wie so etwas wohl klappen kann - ohne selbst entsprechende Gedanken zu hegen. Und wieder andere würden vielleicht gern auch so handeln, trauen sich aber nicht.

Warum denken viele "Ich kann's... ", machen es aber dann doch nicht?

Auch da gibt es verschiedene Möglichkeiten: Etwas zu können bedeutet ja noch nicht, dass man es auch wirklich will! Es kann also sein, dass bestimmte Ziele, Pläne, Träume doch nicht so wichtig auf der subjektiven Bedeutsamkeitsskala sind. Etwas zu können und dann doch nicht zu tun kann auch damit zusammenhängen, dass es äußere Faktoren gibt, die einen an der Realisierung hindern, z. B. Verpflichtungen, die man eingegangen ist. Oder dass man sich nicht eingestehen möchte, manches eben doch nicht zu können. Also sagt man sich: "Ich kann's, aber ich muss ja nicht...". Das ist eine Strategie des "Selbstwertschutzes", um sich ein positives Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten.

Sind Menschen, die sich trauen, anders gestrickt? Sind sie mutiger, entscheidungsfreudiger, selbstbewusster?

Mutiger sind sie sicherlich, entscheidungsfreudiger auch - ob sie immer selbstbewusster sind, halte ich nicht für erwiesen. Sich trauen kann mutig sein, es kann aber auch "wagemutig" sein. Es kann sein, dass man sich und seine Möglichkeiten überschätzt.

Macht Machen glücklich?

Wenn Ihr Vorhaben erfolgreich ist und so verläuft, wie Sie sich das gewünscht haben, wahrscheinlich schon - für eine gewisse Zeit. Allerdings tendiert unser "Glückszustand" dazu, sich wieder einzupendeln. Das heißt, Hochgefühle halten nicht ewig - genauso wie Zeiten negativer Stimmungen.

Wir leben in einer sehr unruhigen Zeit. Ist das eine gute oder eine schlechte Voraussetzung für Veränderungen?

Vieles ist heute besser planbar als in früheren Zeiten: zum Beispiel der Kinderwunsch, die berufliche Ausbildung, Freizeitaktivitäten. Es ist in der gegenwärtigen Zeit eher so, dass wir ein sehr hohes Kontrollbedürfnis haben - wir wollen alles planen, und wenn das dann nicht klappt, sind wir frustriert. Je größer das Kontrollbedürfnis, desto mehr nimmt bei Nichterfüllung die subjektive Unsicherheit zu.

Wie wird sich dieses Kontrollbedürfnis auf die Gesellschaft auswirken?

Man kann jetzt nicht allgemein sagen, dass wir dadurch zaghafter werden. Es gibt in jeder Gesellschaft Menschen, die sehr risikofreudig sind - sei es in der Freizeit, im Job oder im Privatleben -, und solche, die das weniger sind. Die gesellschaftlichen Bedingungen mögen insofern eine Rolle spielen, als in "saturierten" Gesellschaften - also solchen, in denen die ökonomische Lage eher gut ist - Menschen weniger Risiken eingehen müssen und insofern etwas "entspannter" oder, negativ ausgedrückt, träger sein können. Der britische Motivationspsychologe Atkinson hat schon vor längerer Zeit festgestellt, dass die Leistungsmotivation in Schwellenländern besonders hoch ist.

Welche Umstände sind ideal, um Pläne zu verwirklichen?

Menschen brauchen eine gewisse Sicherheit ökonomischer, aber auch sozialer Art, etwa das Eingebundensein in unterstützende Netzwerke, dann kann man sich leichter etwas trauen; außerdem brauchen sie natürlich Pläne oder "Träume" - manche haben die ja gar nicht.

Interview: Merle Wuttke Ein Artikel aus BRIGITTE 03/2015

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