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Lebensverändernde Frage Welche Überschrift hätte dein Leben jetzt gerade?

Frau schaut nach oben
© Jacob Lund / Adobe Stock
Die Frage, die (m)ein Leben verändert hat: "Welche Überschrift hätte dein Leben jetzt gerade?"
Lebensverändernde Fragen: Andrea Huss
Andrea Huss ist systemische Coachin in Hamburg und begleitet Frauen in Veränderungsprozessen. Für uns berichtet sie jeden Monat von einem Fall aus ihrer Praxis.
© Caren Detje

Wie wichtig Überschriften sind, habe ich als Journalistin gelernt. Sie verdichten Geschichten, überhöhen, lenken den Blick in eine bestimmte Richtung. Sie sind im besten Sinne plakativ. Das merkte ich auf geradezu körperliche Weise, als ich vor vielen Jahren selbst zum Coaching ging, weil ich als Führungskraft öfter an meine Grenzen kam. Ich sollte beschreiben, wie ich mich fühle, wenn ich im Job im Einsatz bin, und dieser Rolle einen Titel geben. Ich nannte sie "Die Lokomotive", weil ich von mir Volldampf verlangte und die Vorstellung hatte, dass ich andere mitziehen muss. Je mehr ich eintauchte in das Lokomotivenbild mit heißem Kessel, Ruß und vielen Waggons, die dranhingen, desto unangenehmer fühlte sich das an. Den Titel hatte ich mir selbst gegeben, niemand hatte gesagt, dass eine Führungskraft so sein muss. Und so lud mein Coach mich ein, einen neuen Titel zu finden, der weniger anstrengend klingt. Ich schrieb eine ganze Liste von Titeln, bis ich bei "Die Rückenstärkerin" landete. Der Unterschied: Als Lokomotive war ich immer an vorderster Front und musste viel in Bewegung setzen, als Rückenstärkerin war ich im Hintergrund und unterstützte die Arbeit meines Teams. Dieser neue Titel half mir fortan im Joballtag, mich mehr zurückzulehnen, andere kommen zu lassen. Ich würde sogar sagen, er hat geholfen, mich immer mehr in Richtung Coaching zu entwickeln und aus der journalistischen Rolle der Wortführerin herauszutreten.

Das Problem mit dem eigenen Selbstbild

Heute setze ich dieses Tool mit den Überschriften selbst gern ein – besonders, wenn eine Klientin ihre Situation zwar schon lang und breit erörtert hat, aber nicht deutlich wird, wo ihr eigentlicher Schmerzpunkt liegt. So war es bei Anne. Sie arbeitete mit im Familienunternehmen, hatte aber seit der Geburt ihrer Tochter das Gefühl, dass sich ihr Leben in die falsche Richtung entwickelte. Ihr Mann machte Karriere im Konzern, sie selbst hatte ihr hochkarätiges Managementstudium bisher vor allem dafür genutzt, ihren Vater bei der Buchhaltung zu entlasten. "Eigentlich wollte ich im Unternehmen ganz viel umkrempeln, aber mein Vater ist nicht bereit dazu."

In ihrer Ehe und im Familienbetrieb strebte sie vor allem nach Zusammenhalt und Harmonie. Anne war stolz darauf, wie gut sich alle verstehen, aber sie fühlte sich gleichzeitig immer lustloser und unbedeutender. Im Coaching wollte sie ein eigenes berufliches Projekt entwickeln, aber dabei für niemanden in ihrem Umfeld unbequem werden. Unter diesen Vorzeichen entstand in ihr kein Drive. Um sie damit zu konfrontieren, bat ich sie, für ihre Situation eine Überschrift zu finden. Die erste, die ihr einfiel: "Familie ist alles". "Warum sind Sie dann hier?", fragte ich. "Okay, vielleicht passt ,Mutter-Blues‘ doch besser", sagte sie. "Was für einen Film würden Sie erwarten, wenn Sie diesen Titel an einem Kino lesen würden?" – "So eine weinerliche Geschichte von einer Frau, die zwischen Kochen und Kita vergisst, wer sie ist." Anne sackte in sich zusammen. Der traurige Kinotitel hatte dazu geführt, dass sie kurz als Zuschauerin auf ihr Leben blickte. Sie mochte den Filminhalt nicht, den sie sich da ausmalte. Doch genau diese Distanz löste in ihr Lust auf Veränderung aus – die Lust, ein anderes Drehbuch für sich zu schreiben.

Wir notierten auf dem Whiteboard, was ihr alles Spaß macht, welche Fähigkeiten sie gern mehr einsetzen würde: Einrichten, Koordinieren, Beraten. Daraus entwickelte sie eine Geschäftsidee. Diese Idee nahm von Session zu Session mehr Gestalt an, sodass am Ende nichts mehr zu tun war, als zu starten. Anne hatte das Netzwerk, das Geld und auch die Zeit für das Projekt: jeden Tag drei, vier Stunden würden zu Beginn reichen. Nur der Mut, ganz allein loszugehen, fehlte noch. Da sie viel darüber gesprochen hatte, wie wichtig ihr sei, ihrer Tochter ein Vorbild zu sein, kam mir eine Idee. "Stellen Sie sich vor", sagte ich, "Ihre Tochter müsste irgendwann einmal eine Grabrede für Sie halten. Was sollte sie über Sie sagen?" Annes Antwort: "Meine Mutter war unabhängig und mutig. Sie wusste, wer sie ist, und konnte sich durchsetzen."

Auf diese Weise hatte Anne für sich selbst ein Vorbild entworfen, dem sie jetzt nacheifern konnte. Diese Frau war sie noch nicht, aber sie wollte sie werden. 

Buchtipp: Amelie Fried und Michael Simperl: "Das 7-Tage-Selbstcoaching. Für alle, die Lust auf Veränderung haben“, 208 Seiten, 18 Euro, Ariston
Buchtipp: Amelie Fried und Michael Simperl: "Das 7-Tage-Selbstcoaching. Für alle, die Lust auf Veränderung haben“, 208 Seiten, 18 Euro, Ariston
© PR

Kleine Übung

Stell dir vor, es wird ein Film gedreht, in dem es um deine Rolle in Freundschaften (oder alternativ in deiner Familie) geht. Welchen Titel würde der Film haben? Schreib deine Ideen auf, wähle die treffendste und frag dich dann: Will ich diese Titelrolle weiter haben – oder mir eine neue überlegen?

Brigitte

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