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Lange Freundschaften: Das Geheimnis ewiger Freundinnen

Lange Freundschaften: Das Geheimnis ewiger Freundinnen
© oneinchpunch / Shutterstock
Langjährige gute Freundschaften sind das Beste, was es gibt, weiß BRIGITTE-Autor Till Raether. Doch wie schafft man es, sich über Lebensphasen hinweg nah zu bleiben?

Wir kennen uns schon ewig

Sex ist toll, aber habt ihr schon mal eine alte Freundin wiedergesehen? Oder einen alten Freund? Am Flughafen, auf dem Bahnsteig, im Café oder auf dem Klassentreffen. Nach einem Jahr, oder fünf oder zehn. Die vertraute Silhouette, denn die paar Pfunde mehr oder weniger sind seltsam unsichtbar, wenn man einander lange kennt. Das gleiche Gesicht, weil es aus dem Lächeln oder Stirnrunzeln oder dem Augenleuchten besteht und nicht aus den Falten, die vielleicht dazu gekommen sind. Die Stimme, gleich wieder, als würde sie einem in der Schule oder während der Vorlesung was ins Ohr flüstern, und ich fürchte mich jetzt schon vor dem Lachanfall und freu mich drauf.

Ganz egal, ob man 30, 40 oder 50 ist: Alte Freunde sind vielleicht der wichtigste Anker im schlickigen Untergrund des Alltags. Das, was einem Halt und Trost gibt, wenn das Leben mit der ganzen Erwerbs-, Familien- und Beziehungsarbeit auf einen einknattert. Hier und da tauchen neue Bekannte auf und sogar, wenn das Leben richtig gut gelingt, neue Freund*innen. Vielleicht im Praktikum, vielleicht auf dem Elternabend, oder weil die Hunde im Park nicht voneinander lassen können. Aber dieses Gefühl, dass einem nur eine alte Freundschaft gibt, ist unvergleichlich. Denn es ist eine Vertrautheit und Zuneigung, die sich eben nicht allein auf den Augenblick oder die letzten paar Jahre bezieht, sondern die einen umfängt, wie man über lange Zeit war: Es ist, wie noch einmal Kind und erwachsen zugleich zu sein.

Frühe Freundschaften prägen uns am meisten

Die Freundschaftsforschung sagt, dass es Menschen sehr viel schwerer fällt, Freund*innen jenseits der 30 zu finden. Dies liegt an den drei Faktoren, die es für das Entstehen von Freundschaften braucht: räumliche Nähe, wiederholtes und ungeplantes Aufeinandertreffen, und dass man einschneidende Erlebnisse miteinander teilt. Dies sind Ergebnisse wegweisender US-Freundschaftsforschung aus den 1950er-Jahren. Und alle drei Faktoren treffen am ehesten auf die Zeit der Ausbildung, des Studiums oder der frühen Berufstätigkeit zu. Daher schließen wir die meisten Freundschaften bis zum Alter von etwa 25 Jahren. Ab 30, sagt etwa die Freundschaftsforscherin Lisa Carstensen von der Stanford University in Kalifornien in der "New York Times", konzentrieren sich Menschen dagegen auf das, was sie schon haben: Es sei, als würde ein innerer Wecker losgehen, der meldet, dass man nicht mehr unbegrenzt Zeit hat.

Natürlich ist es möglich, bis ins hohe Alter neue Freundschaften zu pflegen. Aber die kanadische Freundschaftsforscherin Beverly Fehr hat darauf hingewiesen, dass es umso mehr Mut erfordert, aus Bekanntschaften Freundschaften zu machen, je älter man wird. Wie aber sorgt man dafür, dass man auch in zehn, 20, 30 Jahren noch sagen kann "Das ist Paula, wir sind ganz alte Freunde, das ist Yusuf, wir kennen uns schon ewig"? Das Wunderbare und zugleich Komplizierte an Freundschaften ist, dass sie keine klare Struktur haben, anders als etwa eine Liebesbeziehung. In der Partnerschaft gibt es relativ klare Anfangs und, wenn’s schiefläuft, Endpunkte: Die Erwartung ist, dass der eine oder die andere so was wie "Ich liebe dich" sagt, man dann schrittweise die gemeinsame Gegenwart und Zukunft plant, auch eine Trennung ist meist eine relativ klare Sache. Zwischendurch vielleicht eine Paartherapie. Die gibt es für Freundschaften praktisch nicht, und das andere findet ab einem gewissen Alter eher unausgesprochen statt: "Du bist meine beste Freundin" oder "Dann bist du nicht mehr meine Freundin" ist Grundschul-Talk und eher selten das, was erwachsene Frauen oder Männer einander sagen. Diese Formlosigkeit von Freundschaften macht es auch so schwierig, ein Patentrezept dafür zu formulieren, wie man sie so pflegt, dass sie lange halten.

Wichtig ist, wie wir aufeinander reagieren

Die Soziologin Julia Hahmann forscht an der Universität Vechta zum Thema Freundschaft und erklärt, dass wir immer wieder verhandeln müssen, was beide Seiten für Vorstellungen davon haben, wie und was die Freundschaft sein sollte. Aber dieses Verhandeln finde eher nicht durch Reden und Absprachen statt, sondern durch Praktiken: dadurch, wie die eine handelt, und wie der andere darauf reagiert. "In einer Freundschaft geht es um bestimmte Ideale", sagt Hahmann, "etwa Vertrauen, Loyalität und Intimität. Manchmal klappt es einfach nicht, das in der Realität abzubilden. Dann muss nachverhandelt werden."

Angenommen, man wünscht sich, die oder der andere hätte mehr Zeit für einen. Oder man findet, die Freundin oder der Freund hätte einen in einer Trauerphase mehr begleiten müssen. Hier gibt es nun zwei Möglichkeiten. Entweder wir verhandeln das mündlich, beklagen uns also sozusagen: "Warum hast du nicht, kannst du nicht in Zukunft bitte ..." Oder aber wir akzeptieren das Verhalten der Freundin als etwas, das mit ihrer Lebensphase zu tun hat, aber nicht gegen uns und unsere Freundschaft gerichtet ist. Die angemessene Reaktion darauf wäre dann, die eigene Enttäuschung als Momentaufnahme zu sehen und nicht als etwas, was die Freundschaft grundsätzlich infrage stellt.

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Denn lange Freundschaften sind solche, bei denen man sich über die Werte einig ist, die einen verbinden, und darüber, was man von der Freundschaft erwartet. "Das Charmante an einer Freundschaft ist, dass man auch unausgesprochen aushandeln kann, dass die Freundschaft eine Weile ruht. Gerade in der Rushhour des-Lebens-Phase zwischen 30 und 45 werden alte Freundschaften oft runtergefahren", sagt Hahmann. "Dann sind andere Kontakte oder neue Freundschaften aktuell wichtiger – solche, die durch die Kinder oder den Beruf entstehen. Das heißt aber nicht, dass die Freundschaften von früher nicht später wieder aktiviert werden können."

Gute Freundschaften ertragen lange Pausen

Und das bedeutet womöglich, dass man lange Freundschaften in gewisser Weise dadurch pflegen kann, dass man gar nichts tut. Oder, etwas schöner formuliert: Freundschaften halten dadurch lang, dass man einander Raum lässt. Vielleicht ist es nicht immer das Beste, gleich Aufmerksamkeit einzufordern, wenn die andere eine Weile nicht auf die Nachricht antwortet oder den Facebook-Post nicht kommentiert. Kann genauso gut sein, dass man selbst nächsten Monat in einer Phase ist, wo jede Nachricht zusätzlich einfach zu viel ist. Die Hauptsache ist, dass man sich grundsätzlich einig ist: Wenn es ganz hart kommt, bin ich für dich da.

Was natürlich alles nicht dagegen spricht, lange Freundschaften zu pflegen, indem man regelmäßig was zusammen macht oder andere Berührungsrituale schafft: das Wellness- oder Wanderwochenende jeden Spätsommer, das Bier in der Stammkneipe an den Weihnachtsfeiertagen im Heimatort. Aber auch diese Regelmäßigkeit bringt nur Nähe, wenn es niemanden verletzt, falls sie unterbrochen wird. Gründe dafür, warum ich oder du dann doch mal nicht können, gibt es ja immer – aber, so die Freundschaftsforscherin, der große Unterschied zur Paarbeziehung ist, "dass der Freundschaft die Exklusivität fehlt". Es ist also nicht so, dass Freundschaft immer vorgeht, für beide Seiten. Natürlich ist es verletzend und lässt an der Freundschaft zweifeln, wenn man immer diejenige zu sein scheint, die zurückstecken muss: Schon wieder hat die Freundin in letzter Minute abgesagt, immer muss ich anrufen.

Aber das muss ja keine Nachlässigkeit und kein Liebesentzug sein. Womöglich liegt es daran, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Vorstellungen von und Ansprüche an Freundschaft haben, auch wenn sie sich schon seit vielen Jahren kennen, vielleicht sogar schon seit der Kindheit. Julia Hahmann hat in ihrer Forschung ältere Menschen zu ihrer Vorstellung von Freundschaft befragt und dabei grob drei Typen unterschieden. Menschen, die in einem eher konservativen, sehr durch die Familie geprägten Milieu aufgewachsen sind, neigen dazu, hauptsächlich Freunde aus der Kindheit und Jugend zu haben. Wer danach dazu kommt, gilt ihnen eher als Bekannte, weil aus ihrem Gefühl nie die Nähe und Intimität entsteht wie mit jemandem, der noch die Eltern und Geschwister kannte.

Selbstreflexion kann uns weiterhelfen

Eine zweite Gruppe, die, wie die Soziologin sagt, eher "aus dem individualistischen Milieu" stammt, betrachtet Freundschaft als eine Art "Wahlverwandtschaft" oder "Wahlfamilie": Bei ihnen bleiben neue wie alte Freundschaften ein Leben lang wichtig, sie investieren darin Zeit und Energie. Für die dritte Gruppe schließlich ist das Thema Freundschaft – aus welchen Gründen auch immer – nicht so relevant, weil sie vielleicht viel umgezogen sind oder weil sie es von zu Hause nicht anders kennen. "Sie haben es vielleicht nicht geschafft, über längere Zeit was zu entwickeln", sagt Julia Hahmann, "und konzentrieren sich dann auf Kolleg*innen, die Nachbarschaft oder den Chor."

Wenn wir das Gefühl haben, die gute Freundin vernachlässigt uns, oder der Freund aus der Uni nervt, weil er ständig was unternehmen will, obwohl wir gerade echt anderes zu tun haben – dann könnten wir uns erst mal fragen, zu welchem Freundschaftstyp wir selbst am ehesten gehören, und zu welchem der oder die andere. Wenn die alte Grundschulfreundin zu Typ eins gehört, wird sie sich darauf verlassen, dass wir eh immer für sie da sein werden, und sie wird auch immer für uns da sein. Wenn sie zu Typ zwei gehört, ist sie vermutlich aufgeschlossen dafür, offen darüber zu reden, was beide Seiten von der Freundschaft erwarten und wie man sie besser gestalten könnte. Und wenn sie zu Typ drei gehört, fehlt ihr vielleicht einfach die Erfahrung, und sie braucht ein klares Signal: Es tut mir weh, dass du dich nie meldest, oder es nervt, dass du es ständig tust.

Das Geheimnis der langen Freundschaft ist also weniger, dass man ständig dranbleibt, indem man allerlei Aktionen und Rituale pflegt – sondern einfach, dass man bereit ist, über sich selbst und die alten Freund*innen nachzudenken. Und zu erkennen, wer gerade wo im Leben ist und was gerade braucht.

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