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Kristina Hänel: Frauenärztin wirbt für Abtreibung und muss vors Gericht

Kristina Hänel: Foto von Kristina Hänel
© Isa Foltin / Getty Images
Kristina Hänel ist Frauenärztin und will darüber informieren dürfen, dass sie Abtreibungen vornimmt. Deshalb stand sie vor Gericht – und ihr Leben wurde noch schwieriger.

Die Durchhalterin

Dr. Kristina Hänel ist keine, die prinzipiell das Dagegen liebt. Eigentlich bemüht sie sich lieber darum, alles richtig zu machen. Sie hat sogar mal ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, wie sie denn überhaupt legal über Schwangerschaftsabbrüche Auskunft geben darf. "Wenn dann allerdings so eine Ungerechtigkeit passiert, etwas, das so offensichtlich falsch läuft, dann schwimme ich schon gegen den Strom", sagt die Allgemein- und Notärztin aus Gießen. "Das gilt vor allem, wenn andere betroffen sind. Und in dem Fall geht es ja nicht um mich, sondern um die Frauen."

Im November 2017 wurde Kristina Hänel wegen Verstoßes gegen Paragraf 219a zu einer Geldstrafe verurteilt, im Oktober 2018 wurde das Urteil bestätigt. Laut 219a ist es Ärzt*innen verboten, für Abbrüche zu werben. Das hat Kristina Hänel auch nicht getan, aber auf ihrer Homepage konnten Frauen Informationen zu Abbrüchen herunterladen – und bereits das wurde als "Werbung" ausgelegt. Als sie 2017 die Vorladung zur Gerichtsverhandlung in den Händen hält, ist ihre erste Reaktion Angst: "Um meinen Hof, auf dem ich Reittherapie für Kinder anbiete, um meine ganze Existenz und natürlich auch davor, vielleicht ins Gefängnis zu müssen. Erst danach kam dieses eindeutige Gefühl von: Jetzt reicht’s!"

Kristina Hänel ist 63 und seit mehr als 30 Jahren der Diffamierung durch Abtreibungsgegner*innen ausgesetzt. 1981 begann sie ihre Arbeit bei Pro Familia in Gießen. Weil niemand dort Abbrüche vornahm, gründete sie ein Familienplanungszentrum. Es gab Proteste von selbst ernannten Lebensschützern, der Bischof läutete zur Mahnung die Glocken. Seitdem wird Kristina Hänel angegriffen und beschimpft. Einmal im Monat gibt es Demonstrationen vor ihrer Praxis, sie erhält Morddrohungen. Wenn sie bei öffentlichen Lesungen ihr Buch vorstellt, in dem sie die Ereignisse der vergangenen zwei Jahre schildert ("Das Politische ist persönlich. Tagebuch einer ‚Abtreibungsärztin‘", 240 S., 15 Euro, Argument), erhält sie Polizeischutz.

Kristina Hänel und ihr Weg in die Öffentlichkeit

Bekommt man mit den Jahren kein dickeres Fell? "Nein, das verletzt, jedes Mal. Und die Verletzung bleibt", sagt Kristina Hänel. Sie könne Kolleginnen und Kollegen gut verstehen, denen der Druck zu groß ist. Sie selbst aber habe nie ernsthaft ans Aufgeben gedacht: "Dann hätten die Abtreibungsgegner doch ihr Ziel erreicht." Dass sie vors Gericht musste, habe sie darum auch als Chance gesehen: "Damit war die Sache öffentlich, und ich konnte mich wehren. Ich musste die Widerstände und den Hass nicht mehr nur erdulden, sondern konnte mich umdrehen und meinen Gegnern ins Gesicht sehen."

Doch dieses Sich-Wehren hätte nicht funktioniert, ohne selbst sichtbar zu werden. Und das ist etwas, womit sie hadert: "Als Ärztin, die Abbrüche vornimmt, meidet man die Öffentlichkeit. Für diese Arbeit bekommt man keine Anerkennung. Man wird nur heimlich geliebt, weil man gebraucht wird, und verhält sich genau wie die Frauen, die in die Praxis kommen und nicht gesehen werden wollen", sagt sie. "Und auch die Abtreibungsgegner versuchen ja, im Verborgenen zu handeln. Aber nach ein paar Wochen war klar, dass das nicht mein Weg sein kann, sondern dass ich mit meiner ganzen Person in die Öffentlichkeit gehen muss."

Seitdem hat Kristina Hänel viel Zuspruch erfahren. Die Mails, die sie unterstützen, liegen zahlenmäßig bei Weitem über denen der Abtreibungsgegner. "Das bestärkt mich sehr." Andere Ärztinnen sind ebenfalls standhaft geblieben und wurden ebenfalls verurteilt. "Dass wir uns gemeinsam wehren und nicht wie Hunderte Ärzte vorher stillschweigend die Infos von der Homepage nehmen, ist eine tolle Erfahrung." Inzwischen hat das Oberlandesgericht in Frankfurt ihre Verurteilung wegen der veränderten Rechtslage aufgehoben.

Es kann doch nicht sein, dass Frauen, sobald sie schwanger sind, nur noch Träger der Gebärmutter sind und keine Grundrechte haben!

Das Gießener Gericht wird sich nun erneut mit Kristina Hänel befassen, die parallel eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht vorbereitet. Und ja, sie würde für Frauen und deren Recht auf Information auch bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Und doch: "Ab und zu möchte ich schon auf eine Insel und einfach nur meine Ruhe haben." Sie hat wieder begonnen, sich auf Triathlon-Wettkämpfe vorzubereiten. "Zeitlich ist das natürlich eine Katastrophe, und ganz viel bleibt liegen, aber ich habe gemerkt, dass ich das Training für meinen Körper brauche, als Ausgleich zu all der Anspannung." Auch die Arbeit auf dem Hof, ihre Familie und vor allem ihre fünf Enkelkinder helfen ihr, Kraft zu tanken.

Und natürlich ihr Alltag in der Praxis. "Ich erlebe so oft Frauen, die nicht unterstützt werden, wie es ihnen zusteht, sondern denen zusätzlich Knüppel zwischen die Beine geschmissen werden, zum Beispiel indem Adressen nicht weitergegeben werden“, sagt sie, ihre Stimme klingt wieder kämpferisch. "Es kann doch nicht sein, dass Frauen, sobald sie schwanger sind, nur noch Träger der Gebärmutter sind und keine Grundrechte haben!"

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BRIGTE 18/2019

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