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Immer glücklich Mal unzufrieden sein ist auch okay

Immer glücklich: Podcast-Cover von Melanie Wolfers
© Andreas Jakwerth
Wir leben in einer Zeit, in der Gut-drauf-sein als Normalzustand gilt. Doch das bringt uns nicht weiter. Ein Plädoyer, auch mal schön unglücklich sein zu dürfen.

Als Jugendliche habe ich ein Buch von Max Frisch gelesen, in dem mich vor allem Eines beeindruckt hat: die Beschreibung eines Lächelns! Kein angestrengtes 'keep smiling‘, sondern ein Lächeln, dem man seine geweinten Tränen ansieht. Vielleicht hat mich die Charakterisierung so fasziniert, weil ich das Glück hatte, immer mal wieder Menschen zu begegnen, in deren Heiterkeit auch Trauer Platz hatte. Vielleicht auch, weil ich ein eher optimistischer Typ bin und intuitiv um die Fülle eines Lebens wusste, das auch den entgegengesetzten Pol umfasst.

Auch die schlechten Tage akzeptieren

Doch den anzunehmen fällt immer schwerer in einer Zeit, die nur auf "gute Stimmung" setzt und eine länger anhaltende Traurigkeit gleich für den Beginn einer Krankheit hält. Die annimmt, dass Gut-Drauf-Sein der Normalzustand des Lebens ist. Als ob unsere Lebensmelodie von Natur aus nur in Dur komponiert wäre. In heiter-munteren Klängen. Wenn sich andere Töne in unser Leben mischen – wir unglücklich, bedrückt oder melancholisch sind –, dann fühlen wir uns verstimmt. Und sollten uns schnellstmöglich wieder in Stimmung bringen, so wie man eben ein schräg klingendes Instrument wieder richtig intoniert. "Verabrede dich mal mit jemandem!" "Such dir eine neue Stelle!" "Gönn dir mal was Gutes, vielleicht einen Wellnesstag?!" Jeder dieser Vorschläge enthält die subtile wie eindringliche Botschaft: "Du hast es in der Hand, gut drauf zu sein. Selbst schuld, dass du unglücklich bist!“

Die Erwartung, dass das Leben aus Spaß besteht, lässt alle, die sich unglücklich fühlen, dreifach leiden. Erstens sind sie unglücklich. Zweitens müssen sie sich Vorwürfe anhören, dass sie sich nicht genügend für ihr Glück anstrengen. Und drittens tendieren viele dazu, sich selbstkritisch zu beäugen, denn: "Alle anderen sind glücklich, nur ich nicht! Was mache ich falsch?" Es klingt paradox, trifft aber zu: Viele wären glücklicher, wenn sie auch mal unglücklich sein dürften! Es gibt gute Gründe, traurig zu sein.

Ein realistischer Blick zeigt, dass vieles, was einen unglücklich macht, ungefragt über einen hereinbricht – etwa die Corona-Pandemie oder der Verlust des Arbeitsplatzes. Traurigsein kann allerdings auch damit zusammenhängen, dass man eine Situation verfehlt hat. Vor allem aber meldet sich Trauer zu Wort, wenn wir uns von einem vertrauten Menschen verabschieden oder ihn gar ganz verlieren. Aber wie bitte soll Traurigsein "glücken"? Es kann helfen, die eigene Traurigkeit zu entdramatisieren und damit auch zu normalisieren. Dass wir uns nicht pausenlos happy fühlen, sondern auch einen tiefen Schmerz spüren, ist etwas durch und durch Menschliches und gehört zur Polarität des Lebens. Als Ordensfrau werde ich manchmal gefragt, ob Stille und Meditation einen vor Trauer und Angst bewahren. Meine Antwort lautet: Nein! Es ist eine nachvollziehbare, aber infantile Versuchung, die eigene Trauer und Ohnmacht "wegmeditieren" zu wollen. Die Stille eröffnet vielmehr einen Raum, in dem auch die dunklen Empfindungen sein dürfen. Ich muss diese weder besiegen noch bewältigen. Manchmal stellt sich das leise Ahnen ein, dass alles eingebettet ist in einen unbegrenzten, tragenden Zusammenhang. Ein Lächeln steigt auf, dem man auch die geweinten Tränen ansieht.

Lust auf weitere Lebensthemen?

Der neue Podcast von Bestseller-Autorin Melanie Wolfers heißt: "Ganz schön mutig". Für alle, die das Leben leben wollen, das zu ihnen passt: mutig, selbstbewusst, engagiert. Unter www.melaniewolfers.de/podcast.

Brigitte

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