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Im Alter neue Freunde finden - dafür ist es nie zu spät!

Auch im fortgeschrittenen Alter noch beste Freundinnen finden - warum denn nicht? Es braucht Mut und Vertrauen, sich auf Neues einzulassen.

Wie Ulla Bleeck mit 70 ihre beste Freundin fand

Im Alter neue Freunde finden: Ulla Bleeck
Ulla Bleeck wechselte oft den Wohnort und vermisste anfangs Kontakte. Eine ihrer besten Freundinnen fand sie erst vor ein paar Jahren.
© Ute Friederike Schernau

Als Ulla Bleeck, 70, vor einigen Jahren mit ihrem Mann von Sachsen in ein kleines Dorf im Münsterland zog, kannte die Juristin dort außer ihrer Tochter und deren Familie keine Menschenseele. "Das war nicht so schön", erinnert sie sich. Aber dann kam Weiberfastnacht, ein Festzelt wurde aufgebaut, Ulla Bleeck ging hin und schunkelte, und plötzlich sah sie in der Menge eine Frau in ihrem Alter, die sie vom Sehen kannte, und von der sie wusste, dass sie auch noch nicht lange in dem Dorf lebte. "Wollen Sie sich einhaken?", rief sie der Frau zu. Doch die gab ihr einen Korb: "Nein danke, ich möchte nicht schunkeln, ich habe hier gerade so einen guten Sitzplatz. Wenn ich aufstehe, ist der weg." "Ich habe das akzeptiert und war nicht beleidigt", erzählt Ulla Bleeck.

Fortan führten die beiden Frauen immer anregende Gespräche miteinander, wenn sie sich zufällig im Dorf begegneten. Und irgendwann fragte die neue Bekannte Ulla Bleeck, ob sie bei dem Yogakurs mitmachen wolle, zu dem sie sich selbst vor Kurzem angemeldet hatte. "Ich dachte damals: Auf dem gemeinsamen Hin- und Rückweg mit dem Auto haben wir Zeit zum Reden. Das ist doch eine gute Gelegenheit, sich besser kennenzulernen." Drei Jahre ist das jetzt her, seitdem sehen die beiden Frauen sich mehrmals jede Woche, unternehmen ganz viel zusammen, und sie sind beste Freundinnen geworden. "Wir sagen uns oft: ´Was für ein Glück, dass wir uns zufällig begegneten`", erzählt Ulla Bleeck.

Im Alter neue Freunde finden - schwierig, aber nicht unmöglich!

Kann man im fortgeschrittenen Alter tatsächlich noch eine beste Freundin, einen besten Freund finden? Oder hält man nach immer wieder erlebten Abschieden und Enttäuschungen und dem oft grimmigen Entschluss, Verletzungen zu meiden, Menschen lieber auf Distanz? Und sucht sich stattdessen lockere Bekannte, mit denen man unterhaltsame Stunden verbringen kann, denen man aber nicht seine innersten Gedanken und Gefühle anvertraut. Ist das, was Ulla Bleeck und ihre Freundin an Nähe teilen, also eher die Ausnahme?

Nach Ansicht von Beverley Fehr, Professorin für Psychologie an der kanadischen University of Winnipeg, ist es im Alter zwar schwieriger, enge Freunde zu finden. Besonders im hohen Alter, wenn Beweglichkeit verloren geht. Aber: "Merken zwei Menschen, dass sie gut zusammenpassen, haben sie auch jenseits der 60 den Mut, sich auf Neues einzulassen", sagt die Forscherin.

Beim Zusammenfinden führt oft der Zufall Regie - eine Geste fällt auf, eine Stimme inspiriert, ein Satz bleibt hängen. Die bloße Anzahl ungeplanter Treffen fördert zudem Sympathie und Neugier aufeinander, die Pfeiler jeder Freundschaft. Denn durch häufige Begegnungen wächst die Vertrautheit, selbst wenn wir uns mit einem Menschen wochenlang nur über Wetterlaunen austauschen. Doch nach und nach werden Gespräche persönlicher und intimer, ähnlich wie in einer Paarbeziehung. "Jeder macht weiter auf und guckt, ob der andere mitgeht und angemessen reagiert. So wird die Beziehung tiefer", erklärt Beverley Fehr.

So fand Ursula Paulsen im Alter ihre Seelenverwandte

Im Alter neue Freunde finden: Ursula Paulsen
Ursula Paulsen hat eine beste Freundin, die herzlich, aber auch recht eigenwillig ist. Toleranz und der Mut zu vertrauen erhalten die Nähe.
© Ute Friederike Schernau

Den Mut, auf einen anderen Menschen zuzugehen, ohne zu wissen, ob sie angenommen oder abgewiesen wird, hatte auch Ursula Paulsen, 63. 

Vor vier Jahren hat die Hausfrau aus Nordrhein-Westfalen noch einmal eine sehr gute Freundin hinzugewonnen. "Ich lernte sie beim Kaffeeplausch in kleiner Runde kennen, eine leicht extravagante Frau, die das Herz an der richtigen Stelle hat", erzählt sie. Sofort sei der Sympathie-Funke übergesprungen. "Ein paar Tage später brachte sie mir ein Buch vorbei, ich revanchierte mich mit Plätzchen." Und die Gespräche wurden allmählich vertrauter. "Wir entdeckten, dass wir Seelenverwandte sind. Uns verbinden gleiche Sichtweisen und ähnliche Erfahrungen. Und wir sind beide sehr ehrlich", sagt Ursula Paulsen. Offenheit erzeugt Offenheit, meint sie.

Im Berufsleben wird´s schwierig:

Einmal im Berufsleben, verringert sich von Jahr zu Jahr die Chance, neue beständige Freundschaften aufzubauen, selbst bei großer Aufgeschlossenheit. Denn sobald wir Schule oder Universität verlassen, tauchen wir ein in ein Umfeld, in dem wir nur von wenigen Menschen gleichen Alters und gleicher Ziele umgeben sind, die uns ganz unbefangen annehmen. Deswegen, und nur deswegen, ist es so leicht, im Kindergarten, in der Schule oder an der Universität neue Freunde zu finden, erklärt Beverley Fehr. "Alle sind in der gleichen Lebensphase. Alle haben noch wenig Angst vor Verletzungen und Zurückweisungen." Das Prinzip Versuch und Irrtum bestimmt diese Jahre. Gerade Kinder haben beim Kennenlernen keine Angst vor Fehlschlägen und daher einen größeren Pool, aus dem sie Freunde wählen können. Sie suchen sie beispielsweise danach aus, ob deren Spielsachen ihnen Spaß machen oder ein anderer so groß wie sie selbst.

Fehlendes Interesse an neuen Bekanntschaften durch das Umfeld

Je älter wir werden, desto mehr zählt jedoch das Prinzip Geben und Nehmen. Das verringert die Anzahl möglicher Freunde. "Hinzu kommt, dass neben der Freundschaftspflege kaum Zeit bleibt für neue Freunde", sagt Beverley Fehr. Ulla Bleeck hat diese Erfahrung nach jedem ihrer vielen Umzüge gemacht: "Wenn Leute in einem Ort verwurzelt sind, dort geboren wurden, geheiratet haben, ihre Kinder großzogen und sich aufgehoben fühlen im Kreis ihrer Menschen, dann haben sie oft kein großes Interesse daran, neue tiefe Freundschaften zu schließen", sagt sie. Sie kann das nachvollziehen. Offen für andere sei sie zwar, "aber noch eine zweite beste Freundin hier vor Ort, neben meinen beiden besten Freundinnen, die weiter entfernt leben - dafür fehlt mir die Zeit, ich habe ja auch noch meinen Partner, Kinder und Enkel und meine Hobbys."

Gemeinsame Erinnerungen - das Erfolgsrezept für eine langanhaltende Freundschaft?

Die meisten Menschen haben ein bis zwei beste und höchstens fünf enge Freunde. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Universität Chemnitz kommt im Schnitt sogar nur auf knapp drei soziale Kontakte, mit denen wir intime Gedanken und Gefühle teilen. Erst wenn man alte Freunde aus den Augen verloren hat, etwa nach einem Ortswechsel, wird emotionaler Raum frei für neue Annäherungen. 

"In der Jugend geschlossene Freundschaften allerdings", sagt Beverley Fehr, "halten fast immer ein Leben lang: weil gemeinsame Erinnerungen und Erlebnisse zusammenschweißen, gute wie schlechte. Weil man Lebenswege und -wünsche des anderen nicht nur begleitet, sondern auch beeinflusst hat." Das verbindet. Jahrzehntelange Freundschaften verkraften daher selbst Konflikte meist erstaunlich gut - auch da ist die Parallele zu einer langen und tiefen Paarbeziehung unverkennbar.

Ursula Paulsen zum Beispiel hat seit fast 40 Jahren eine enge Freundin, mit der sie eine Achterbahnfahrt von Gefühlsturbulenzen erlebt hat. "Einmal ist sie mir bei einem Zusammensein vor anderen Frauen ziemlich über den Mund gefahren. Sie kritisierte meine ganz allgemein formulierte Ansicht, dass man im Alter trotz Falten noch jung und vital wirken könne. Sie konterte aufgebracht, ich könne da nicht mitreden, weil ich einige Jahre jünger sei als sie", erzählt Ursula Paulsen. Ein andermal, als sie die Freundin und deren Mann zu einem Fest einlud, schrieb die zurück: "Wir können nicht kommen, da könnt ihr euch ja freuen."

An Freundschaften muss man arbeiten, wie an Liebesbeziehungen

Ruppiges Verhalten, Sarkasmus oder Zynismus hinterlassen Narben. Warum hat Ursula Paulsen keinen Schluss-Strich gezogen? "Die vielen gemeinsamen Jahre", sagt sie, würden milde stimmen. Außerdem überwiegen bis heute die guten gemeinsamen Erinnerungen.“ Und auch die Lebenserfahrung hat sie gelehrt: Menschen, die sich angespannt oder belastet fühlen, verhalten sich manchmal verstörend oder schlagen gar mit Worten um sich, um Druck loszuwerden. „Meine Freundin ist sehr sensibel, und diese Attacken sind nicht unbedingt persönlich gemeint. Wir reden dann über die Sache und versöhnen uns wieder.“

Freundschaften sind nie Selbstläufer, auch nicht in späten Jahren. Ist die Flitterwochenphase vorbei, die Zeit also, in der wir alles aneinander gut finden und großzügig übersehen, was irritiert oder stört, braucht eine innige Freundschaft das, was auch eine tiefe Liebe zusammenhält: Toleranz und Einfühlungsvermögen. Vor allem aber: den Mut zu vertrauen, trotz allem.
 

Brigitte WIR 01/2018

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