Mut ist ein wagendes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die eigene Kraft - und genau dieses Gefühl muss man mobilisieren, wenn man vorankommen will. Wer sich nie überwinden kann, wer nie über seinen Schatten springt und mal etwas ausprobiert, der wird auch keine Erfolgserlebnisse haben - egal, ob im Job oder in der Liebe. Wer nicht mutig zur Chefin geht und eine Gehaltserhöhung fordert, der bekommt bestimmt auch keine. Und wer nie das Risiko eingeht, enttäuscht zu werden, wird sich nie richtig verlieben können.
Am besten damit, aus dieser Opferhaltung herauszukommen, rät Sibylle Tobler. Sie berät Menschen in Veränderungsprozessen und hat einige Jahre mit Langzeitarbeitslosen zusammengearbeitet. "Ein erster Schritt muss sein, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Man sollte aufhören, sich zu sagen: Ich bin eben so, ich kann daran ohnehin nichts ändern. Sich endlich ehrlich mit der eigenen Situation auseinanderzusetzen - das erfordert eigentlich den meisten Mut."
Stimmt: Ratgeberbücher mit Titeln wie "In drei Schritten zum Erfolg" kann man getrost in die Tonne treten, sagt auch Sibylle Tobler. Denn ein Veränderungsprozess ist langwierig und besteht aus vielen kleinen Schritten - egal, um was es geht. Das Wichtigste ist: Dranbleiben und nicht aufgeben, sobald es erste Hindernisse gibt. Nicht erwarten, dass alles ganz schnell passieren muss.
Das kommt darauf an. Man sollte nicht aus einem wagen Gefühl von Unzufriedenheit heraus alles hinschmeißen und mit Gewalt eine Veränderung erzwingen. "Wichtig ist, dass Sie sich nicht nur gegen etwas entscheiden, sondern auch für etwas Neues. Dass Sie wissen, in welche Richtung Sie wollen", sagt Sibylle Tobler. Vielleicht würde ja schon ein Gespräch mit der Kollegin über die Aufgabenverteilung den Job wieder interessanter machen. Oder ein Städtetrip übers Wochenende die eingeschlafene Beziehung beleben. Aber wer ein Ziel klar vor Augen hat und sich gut überlegt, wie er es erreichen kann, der sollte auch loslassen und das Neue wagen.
Risiko heißt ja nur, dass etwas unterschiedlich ausgehen kann. Vielleicht hilft es, eine Liste mit allen positiven und negativen Ausgangsmöglichkeiten zu schreiben. Sie wollen eine Surfschule in Portugal eröffnen? Denken Sie an die Sonne, das Meer, an neue Freunde und Herausforderungen. Dann denken Sie an all die Dinge, die schiefgehen könnten, und fragen Sie sich, ob das so schlimm wäre. Ob Sie nicht im schlimmsten Fall wieder nach Hause fliegen und in Deutschland neu anfangen könnten.
"Wenn Sie eine Veränderung wagen, dann konfrontiert das die Menschen in Ihrem Umfeld auch mit deren eigener Unzufriedenheit und ihrer Angst vor Veränderung", sagt Sibylle Tobler. Deshalb ist es wichtig, solche Reaktionen zu analysieren: Ist da jemand neidisch? Oder macht man sich wirklich Sorgen um mich?
Wer tut schon gern seinen Liebsten weh? So ein Gespräch stellt eine Freundschaft auf die Probe und erfordert ganz besonderen Mut. Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hat das in einem Gedicht einmal "Tapferkeit vor dem Freund" genannt. Deshalb ist die beste Strategie, die Wahrheit zu einem Schatz zu machen und zu sagen: Gerade WEIL ich deine Freundin bin, sage ich dir meine ehrliche Meinung. Eine gesunde Freundschaft sollte das aushalten - vorausgesetzt, Sie machen sich wirklich Sorgen um Ihre Freundin und sind nicht einfach nur eifersüchtig auf ihr Abenteuer.
Nur, wenn man Mut missversteht. Wer ständig sein Leben auf den Kopf stellt und alle Brücken abbricht, um seine Träume zu verwirklichen, handelt nicht mutig, sondern rücksichtslos. Tatsächlich kann es aber vorkommen, dass man durch eine mutige Entscheidung Freunde vor den Kopf stößt. Und wenn man spürt, dass die Kritik an der Entscheidung aus Missgunst geschieht, muss man Freundschaften manchmal auch für eine Weile auf Eis legen.
"Nein, es gibt kein Mut-Gen", sagt die Psychologin Anne Frey von der Universität München. Trotzdem spielen Veranlagung und vor allem Erziehung eine große Rolle: "Wer als Kind ermutigt wird, sich auszuprobieren, wer auch mal einen Fehler machen durfte, der hat größere Chancen, ein mutiger Mensch zu werden", sagt Frey. Überbehütete Kinder haben es schwerer - wer gar nicht erst auf den Baum klettern darf, wird nie das Erfolgserlebnis haben, es ganz allein geschafft zu haben.
Natürlich, man kann jederzeit damit anfangen. Mutig sein trainiert man am besten in kleinen Schritten, indem man sich jeden Tag vornimmt, ein kleines bisschen über seinen Schatten zu springen: sich gegen Vordrängler an der Kasse zu wehren, zum Beispiel. Dem Hausmeister sagen, dass man seine rassistischen Sprüche voll daneben findet. Oder endlich den Typen ansprechen, der einen an der Bushaltestelle immer so nett anlächelt. "Am besten stellt man sich zu Hause vor den Spiegel, legt sich ein paar Sätze zurecht und spricht sie laut aus. Oder man übt das in einem Zivilcourage-Kurs", sagt Anne Frey, die auch eine Akademie für Kompetenztraining betreibt.
Mut ist eine innere Haltung, ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Und je mehr Erfolgserlebnisse ich mit mutigem Handeln habe, umso mehr steigt mein Selbstvertrauen. Eine kleine Mutprobe pro Tag wirkt wie eine Art mentales Hanteltraining. Wichtig dabei ist: Mut ist etwas sehr Individuelles. Für den einen ist es mutig, einen fremden Menschen anzulächeln, für den anderen einen Kopfsprung vom Fünfmeterbrett zu machen.
Tatsächlich ist der typisch weibliche Perfektionismus eher hinderlich, wenn es darum geht, mutig zu sein. Die Psychologin Anne Frey nennt als Voraussetzung für mutiges Handeln "Fehlerfreundlichkeit" - und das ist oftmals nicht gerade eine weibliche Spezialität. "Wer mutig sein will, muss lernen, sich selbst Fehler zu verzeihen und es noch mal zu versuchen", sagt sie. Gerade Frauen haben oft einen hohen Anspruch an sich selbst - und versuchen deshalb gar nicht erst, etwas zu erreichen, aus Angst, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden.
Männer bringen oft ein größeres Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten mit und nehmen Misserfolge nicht so schwer. Wenn es aber darum geht, Zivilcourage zu zeigen, also etwa jemandem zu helfen, der in der U-Bahn belästigt wird, oder sich für eine Kollegin einzusetzen, die von den anderen gemobbt wird, dann sind Frauen und Männer gleichermaßen mutig. Allerdings helfen Frauen und Männer aus verschiedenen Motiven: Eine Befragung von Menschen, die in der Nazizeit Juden geholfen haben, hat ergeben, dass die Männer vor allem aus einem Gerechtigkeitsempfinden heraus halfen, während für Frauen das Mitleid mit den Opfern ausschlaggebend war.
Natürlich, man stelle sich einfach einen Gorilla vor, der auf seine stolz nach vorn gereckte Brust trommelt, strotzend vor Kraft und Mut. Oder einen Samurai, der jede Muskelfaser seines Körpers genau kontrolliert. Eine aufrechte, ausladende Körperhaltung signalisiert dem Feind: Leg dich nicht mit mir an! Also: Brust raus, groß machen.
Doch, es gibt einen wissenschaftlich nachweisbaren Zusammenhang zwischen Körperhaltung und Mut. Wer aufrecht sitzt, entwickelt mehr Mut und Führungsstärke als jemand, der sich klein macht - das hat ein Forscherteam an der Northwestern University im US-Staat Illinois herausgefunden. Die Versuchsleiter gaben einer Gruppe von Studenten je zwei Dollar und sagten ihnen, dass sie diese behalten oder bei einem Würfelspiel verdoppeln oder verlieren konnten. Dann ließ man einen Teil der Probanden gekrümmt auf kleinen Stühlen sitzen, während der andere Teil sich auf Bürosesseln fläzte. Die zweite Gruppe zeigte eine um 45 Prozent größere Risikobereitschaft.
Kampfsportler zum Beispiel benutzen häufig einen Kampfschrei - und zwar aus gutem Grund. Ein Schrei schüchtert nicht nur den Gegner ein, er bündelt auch die innere Kraft, kontrolliert den Atem, schafft Selbstvertrauen und verstärkt den Schlag. "So ein lauter Schrei ist eine Öffnung, die gerade bei Frauen häufig großen Mut erfordert", erzählt Stuntfrau Tanja de Wendt, die auch Selbstverteidigungskurse leitet.
Im Gegenteil, Mut und Angst gehören eng zusammen. Als Stuntfrau lässt sich Tanja de Wendt von Autos überfahren - trotzdem bezeichnet sie sich als ängstlichen Menschen: "Durch meinen Job spüre ich viel öfter Angst als andere Menschen. Aber die Angst ist meine Messlatte. Ab einem gewissen Grad von Angst weiß ich: Ich bin nicht so weit, ich mache diesen Stunt nicht."
"Natürlich muss ich körperlich fit sein und bestimmte Techniken so lange trainiert haben, bis sie sitzen - zum Beispiel für Stürze aus sehr großer Höhe. Aber das Wichtigste beim Stunt spielt sich im Kopf ab", sagt Tanja de Wendt. "Bevor ich einen Stunt zusage, setze ich mich innerlich genau damit auseinander, gehe jeden einzelnen Schritt durch - erst dann sage ich zu. Kurz davor habe ich dann Lampenfieber, ich konzentriere mich auf meinen Atem und auf dieses innere ›Ja, ich kann das!‹ Das ist fast wie ein Mantra."
Das hat sogar Suchtpotenzial! Viele Extremsportler brauchen den Kick, den sie beim Bungeejumping oder Freiklettern spüren. Aber es geht dabei um mehr als Adrenalinausschüttungen, erklärt Tanja de Wendt: "Was ich am Stunt so liebe, ist das Gefühl des absoluten Seins. Dieser Moment, in dem man seine Angst überwindet und mit Haut und Haaren präsent ist."
Übermut fängt immer da an, wo die Angst ignoriert wird - egal, ob man sich als Stuntfrau mit dem Auto überschlägt oder als Skianfänger eine Buckelpiste hinunterstürzt. Da haben Frauen den Männern einiges voraus: Sie kennen ihre Grenzen und bringen sich seltener in Gefahr.
Da ist was dran, das liegt sicher auch daran, dass uns Castingshows und Ratgeber ständig suggerieren, dass wir alles erreichen können, wenn wir es nur stark genug wollen. Oft erfordert es aber genauso viel Mut, Nein zu sagen. "Wer sein Leben verändert, der sollte die eigene Motivation hinterfragen ", rät Sibylle Tobler. Entscheidend ist die Frage: Will ich das, weil es mich interessiert und weil es gut für mich ist? Oder tue ich es, weil ich glaube, nur so Anerkennung von anderen zu bekommen? Sich Erwartungen anderer zu entziehen ist vielleicht das Mutigste, was wir im Leben tun können.