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Diplomatin verrät Wie du dich auch mit einer leisen Stimme gegen laute Menschen durchsetzen kannst

Heidi Tagliavini: Ein Zaunkönig sitzt singend auf einem Ast
© Manfred Stöber / Adobe Stock
Die Schweizer Top-Diplomatin Heidi Tagliavini saß schon mit Putin am Verhandlungstisch. Sie weiß, warum bei höchster Anspannung ein Witz oft Wunder wirken kann.

Brigitte: Frau Tagliavini, wie geht gute Auseinandersetzung?

Heidi Tagliavini: Wenn Sie mit Kriegsparteien an einem Tisch sitzen – nachts wird geschossen, am Tag wieder verhandelt –, kommen bei allen Beteiligten ganz starke Emotionen hoch. Während meiner ersten Friedensmission 1995 in Tschetschenien dachte ich manchmal, jetzt zieht einer die Waffe und schießt wild drauflos. Wir konnten die Delegationen, die an den Verhandlungen teilnahmen, ja nicht kontrollieren, wir waren nicht bewaffnet. Es gab aber einen russischen Unterhändler, der die Ruhe nie zu verlieren schien. In Momenten höchster Anspannung setzte sich dieser ältere, etwas korpulente Herr komfortabel zurück und sagte ruhig lächelnd: "Ihr kommt mir alle vor wie in diesem Witz." Den erzählte er dann. Alle mussten sehr lachen. Danach war die Spannung weg und wir machten Kaffeepause.

Unglaublich, ein Witz hat den Druck völlig rausgenommen?

Es war die relativierende Kraft des Witzes, aber auch die Tatsache, dass dieser Mann so selbstbeherrscht war und sich von der angespannten Stimmung im Raum nicht mitreißen ließ.

Sie saßen meist allein unter Männern am Verhandlungstisch. Schwierig?

Oh ja, ich musste mir als Frau in jeder Mission, 20 Jahre lang, meinen Platz erkämpfen. Natürlich war ich oft unsicher. Ich habe aber mit der Zeit gelernt, mir ein Arsenal an Techniken zuzulegen. Zum Beispiel einen anschuldigenden Monolog zu unterbrechen, indem ich den Redner laut und deutlich mehrmals beim Namen nannte. Doch dann muss man genau wissen, was man entgegnet und ohne zu zögern Sprechregeln verordnen.

Was sind gute Sprechregeln?

Keine verbalen Angriffe. Keine fiesen Unterstellungen oder Gemeinheiten. Zweite wichtige Regel: Keine Monologe, nach spätestens drei Minuten ist Schluss. Wer das nicht respektiert, erhält Sitzverbot am Tisch.

Was haben Sie noch gelernt?

Ich habe als Frau bisweilen auch auf die Waffe Charme gesetzt. Es ist verrückt, aber selbst in einer Gruppe von Macho-Militärs zeigt das Wirkung. Und es war von Vorteil, dass ich keine laute Stimme habe: Es gab keine Mikrofone, man musste mir also genau zuhören. Das wirkt natürlich bloß, wenn man anerkannt wird, solide Fachkompetenz besitzt und konkrete Friedensvorschläge macht: Man muss den Parteien etwas anbieten.

Wie schafft man es, in so einer Konstellation auf Charme zu setzen?

Was ganz wenige Menschen in Konflikten tun: dem Gegenüber in die Augen schauen und nicht vergessen zu lächeln. Das habe ich immer beherzigt. Seine eigenen Gefühle sollte man für sich behalten und auf keinen Fall Feindseligkeit oder Hass durchblicken lassen. Deshalb habe ich immer versucht, jeden, der dort saß, a priori als Mensch wahrzunehmen und ihm dieses Gefühl auch zu vermitteln. Und wenn er noch so ein übles Gegenüber war. Ich habe mir vorgestellt, dass er Familie hat, dass in seinem Umfeld auch Menschen umgekommen sind, dass er sich um jemanden Sorgen macht. In all den Konflikten, die ich begleitet habe, hat bei aller Unversöhnlichkeit die Menschlichkeit eine Rolle gespielt.

Was, wenn jemand ganz einfach dreist lügt?

Da habe ich dann gefragt: "Sind Sie sich ganz sicher, dass das genau so passiert ist?" Wenn man das zwei- oder dreimal langsam, fragend macht, wird ziemlich schnell relativiert.

Man weiß aus Ihrer Biografie, dass Sie als junges Mädchen Unfrieden schlecht aushielten. Trotzdem sind Sie Diplomatin geworden. Was hat sich bei Ihnen verändert?

Vielleicht gar nicht so viel. Die Sehnsucht nach Harmonie, die ja oft eher uns Frauen antreibt, betrachte ich nicht als schlechte Eigenschaft. Sie hat mich dazu bewegt, in Konflikten nicht lockerzulassen. Sondern weiterzumachen, die Parteien möglichst aus der gegenseitigen Ablehnung herauszuholen. Gerade in sehr zerrütteten Verhältnissen, in denen sich die Gegner immer noch sehr kämpferisch geben, es gleichzeitig aber auch satt haben, sich immer als Feind positionieren zu müssen. Denn eines ist klar: Sobald nicht mehr verhandelt wird, kann das kleinste Scharmützel zur Eskalation führen.

Frauen sind ja oft Zielscheibe von Wut und abwertendem Verhalten. Wie könnten wir dem besser begegnen?

Auch ich war manchmal ratlos, wie man dreisten, frauenfeindlichen Äußerungen begegnet. Deshalb habe ich manchmal gar nicht reagiert – und dadurch eher gewonnen. Ich habe auch meine Stimme nie erhoben. Die Frau ist hysterisch, hätte es geheißen, mit der können wir nicht arbeiten.

Das wutvolle Zurückzischen bringt nichts?

Nein.

Ihre disziplinierende Wirkung wurde Heidi Tagliavini bewusst, als ein General beklagte, in ihrer Gegenwart nicht so grob fluchen zu können, wie er es gern täte.

Brigitte

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