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Lebensentscheidungen Hauptsache entscheiden: Selbstständigkeit aufgeben oder nicht?

Hauptsache entscheiden: Frau arbeitet am Laptop
© 4Max / Adobe Stock
Im Leben stehen wir immer wieder vor Entscheidungen, die über unseren weiteren Weg bestimmen. Janna bekam als Selbstständige das Angebot einer Vollzeitstelle – wie ist sie damit umgegangen?
Protokoll: Narimaan Nikbakht

Die Entscheidung:

Janna, 39 und Mutter von 6-jährigen Zwillingen, arbeitet als selbständige Marketing-Beraterin. Bislang lief es gut, seit ein paar Monaten bekommt aber auch sie die Folgen der Energiekrise deutlich zu spüren. Sie muss um Aufträge bangen, fühlt sich immer unwohler. Da bietet ihr ein kleines Start-up eine feste Vollzeitstelle an. Auf den ersten Blick mehr Sicherheit – aber ist sie wirklich bereit ihre mühsam aufgebaute Freelancer-Existenz aufzugeben?

Die Hintergründe:

"Vor gut einem Jahr zog ich mit meiner Familie von Hamburg nach Meppen, eine kleine Kreisstadt in Niedersachsen - zurück in die Heimat. Zuvor hatte ich jahrelang in den besten Werbeagenturen Deutschlands gearbeitet – ein Job mit Prestige. Aber er bedeutete auch, bis spät abends zu arbeiten, oft 50 Stunden pro Woche. Mit Mitte Zwanzig war das okay. Inzwischen aber war ich Mutter und hetzte durchs Leben: Schnell zum Einkaufen, die Kinder holen, die Wäsche machen. Auch in der Agentur setzte ich mich unter Druck, arbeitete noch strukturierter - stets mit dem Ziel vor Augen, um Punkt 15 Uhr den Stift fallen lassen zu können. Schließlich wollte ich meine Kinder nicht verzweifelt wartend vor der Kita vorfinden. Dafür erntete ich im Hipster-Büro oft schiefe Blicke – die anderen saßen ja wieder mal bis 22 Uhr da. Ich fühlte mich erschöpft und ausgelaugt.

Dann kam der Tag, an dem ich eine Zigarettenmarke betreuen sollte. Schlagartig wurde mir klar, dass in meiner Karriere der Sinn allzu oft auf der Strecke geblieben war. Den wünschte ich mir aber. So machte ich mich selbstständig. Das war beängstigend und verlockend zugleich. Würde ich genügend Kunden finden? Reichten meine Kontakte aus? War ich für die Solo-Nummer geschaffen? Doch alles lief gut. Ich genoss es im Homeoffice zu arbeiten, meine Zeit frei einzuteilen und mir die Kunden auszusuchen: Yogalehrer:innen, Ernährungsberater:innen, Caféhaus-Gründer:innen. Ich unterstützte sie dabei, im Internet sichtbarer zu werden. Baute ihre Homepages auf - und fand das erfüllender, als Zigaretten zu vermarkten. Ich verdiente sogar mehr. Und nachmittags konnte ich nun mit meinen Söhnen Ausflüge unternehmen. Darum ging es ja auch: trotz Beruf mehr freie Stunden mit der Familie zu verbringen. In Hamburg wurde es uns in unserem Reihenhaus zu eng. So zogen wir für mehr Platz zurück in die Nähe meiner Eltern.

Willst du deine Freiheit aufgeben, alles, was du dir bis jetzt aufgebaut hast?

Dann kam die Energiekrise und die Aufträge ließen merklich nach. Ich fing an, mir Sorgen zu machen – auch wenn mein Mann als Festangestellter gut verdient. Als ich hörte, dass das Start-up "Greenflash" freie Mitarbeiter suchte, machte mich das neugierig. Mir gefiel, dass die Firma dafür kämpft, riesige Dachflächen von Unternehmen mit Solaranlagen auszustatten. Der Elan der jungen Kollegen beeindruckte mich. Als man mich fragte, ob ich als Marketing-Managerin in Teilzeit anfangen wollte, schlug ich ein – und arbeitete weiter frei dazu. Nun aber liegt mir ein Angebot in Vollzeit vor. Zum einen finde ich die Idee gut, da ich dazu neige, ohnehin mehr zu arbeiten, als geplant und ausgemacht. Ich kann mich irgendwie schlecht abgrenzen. Und ein sinnvoller Job ist es auch. Dann aber kommen wieder diese Stimmen: Aber willst du wirklich deine Freiheit aufgeben, alles, was du dir bis jetzt aufgebaut hast? Ich bin hin- und hergerissen…

Die Expertin:

Ragnhild Struss ist Psychologin und Gründerin von Struss & Claussen Personal Development, einer der führenden Karriereberatungen in Deutschland, sagt:

"Das Wichtigste ist, dass Janna sich bessere Fragen stellt und ihren inneren Dialog darauf ausrichtet, ins Gestalten zu kommen. Momentan begibt sie sich mit ‚Ob‘-Fragen, ‚Entweder oder‘- und ‚Ja aber‘-Aussagen in eine Entscheidungsstarre. Statt sich zu fragen, „ob sie sich voll anstellen lassen soll?", könnte sie mit einer Wie-Frage ansetzen. Zum Beispiel: "Wie schaffe ich es, die Vorteile der Selbständigkeit in die Festanstellung zu übertragen?" Durch diese Formulierung wird ihr Inneres nach kreativen Lösungen suchen und automatisch Folgefragen stellen, z. B.: "Welche Aspekte stressen mich und binden unnötig viel Energie?", "Wie lassen sich diese minimieren?" oder "Mit wem arbeite ich besonders gut zusammen? Und warum?"

Wer im Einklang mit seiner Persönlichkeit lebt, ist zufriedener im Leben. Da sich unsere Werte und Bedürfnisse stetig wandeln, ist es wichtig, sie immer wieder aufs Neue zu betrachten und sich zu fragen, was man will, braucht und wie man leben möchte. Als Janna Mutter wurde und aus der Großstadt wegzog, haben sich auch ihre Bedürfnisse geändert. Sobald sie sich die bewusst macht, weiß sie, wie sie ihren Job gestalten muss, damit er ihr entspricht.

Eine kleine Übung zur Werteklärung:
1. Lies dir eine Liste mit Werten durch. Im Internet findest du dazu unzählige Seiten, von A wie Abenteuer bis Z wie Zuverlässigkeit.
2. Wähle nun fünf positive Werte aus, für die du im eigenen Leben viel Energie aufbringst.
3. Hinterfrage, warum dir gerade diese Werte so wichtig sind. Welche Konsequenzen haben sie für dein Leben? Die Antworten zeigen dir deine persönlichen Ideale, die dich im Inneren antreiben. Alternativ hilft es auch, sich zu fragen, welcher Mensch man sein möchte. Im Fall von Janna z. B.: Will ich jemand sein, der alles für eine Firma tut? Die Familie an oberste Stelle setzt? Sich über den Erfolg im Job definiert? Die Welt ein Stück besser macht?

Sie meint zudem, die Teilzeit aufgeben zu müssen, da sie sich schlecht abgrenzen kann. Hier sollte sie sich bewusst machen, dass sie dieses Problem auch in jeder anderen Situation haben wird – ob in Vollzeit oder als Freiberuflerin. Auch als sie früher in der Werbeagentur pünktlich das Büro verließ, konnte sie sich innerlich nicht gegen die schiefen Blicke der anderen abgrenzen. Die Lösung liegt daher nicht im Außen, sondern im Innen – also darin, zu lernen, sich besser abzugrenzen – vielleicht mithilfe eines Coaches. Auf ihre Entscheidung aber sollte diese ‚vermeintliche Schwäche’ keinen Einfluss haben.

Das Fazit:

"Der Ansatz mit den Wie-Fragen hat mir die Augen geöffnet: Die Vorteile, die ich als Selbstständige habe, ließen sich vielleicht wirklich ganz gut in die neue Vollzeitstelle transportieren. Das Start-up setzt nämlich auf das ‚New-Work-Prinzip – mit flexiblen Arbeitszeiten und flachen Hierarchien. Seit ich dort in Teilzeit arbeite, spüre ich, wie gut mir das tut: Der Chef begegnet uns auf Augenhöhe und lässt uns frei entscheiden, wann und wo wir arbeiten wollen. Wenn mir danach ist, bleibe ich im Homeoffice oder aber ich fahre zu den Kollegen ins Büro und arbeite dort. Genau dieser Austausch hat mir als Selbständige gefehlt.

Und die Werteklärung hat mir ganz grundlegend gezeigt, was mir gerade am wichtigsten ist: Zeit für die Familie und Sinn im Job finden. Aber auch Freiheit, Sicherheit und Karriere. Sinnstiftend ist meine Arbeit bei ‚Greenflash‘ allemal – schließlich sind wir uns dort alle klar, warum wir morgens aufstehen und was uns antreibt: Wir wollen die Energiewende realisieren. Die Karrierechancen sind auch super, denn als Marketing-Managerin in Vollzeit dürfte ich mir ein eigenes Team zusammenstellen. Allerdings wäre das dann nicht für meine eigene Marke, sondern eben für ein Unternehmen. Das kratzt zugegebenermaßen noch an meinem Ego. Ich habe nämlich auch schon davon geträumt meine eigene Werbeagentur aufzumachen, musste aber feststellen, dass der Bedarf hier in Meppen nicht so groß ist wie gedacht. Darum habe ich die Idee verworfen, was mich manchmal traurig macht.

Dennoch tendiere ich dazu 'Ja' zur Festanstellung zu sagen. Mein Job in der neuen Firma fühlt sich jetzt schon besser an, weil ich viel in Eigenregie arbeite. Der Chef hat mir zudem das Go gegeben, meine früheren Stammkunden weiter nebenberuflich betreuen zu können. Und da ich zukünftig nur 38 Stunden statt wie früher 40 bis 50 Stunden arbeite, bleibt da auch noch ein wenig Luft. Dafür sollte ich dann aber vielleicht auch mal das Abgrenzungsthema angehen… Aber eins nach dem anderen."

Brigitte

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