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Glass Child Syndrom Wer als "gläsernes Kind" aufwächst, spürt die Folgen noch im Erwachsenenalter

Zeichen, dass du ein vernachlässigtes Kind bist
© kishivan / Adobe Stock
Zerbrechlich, verletzlich, einsam: Das gläserne Kind wünscht sich nichts sehnlicher, als gesehen zu werden.

Das "Glass Child" (etwa "Das Glaskind") ist ein Begriff, mit dem ein Mensch beschrieben wird, der in einem von wenig elterlicher Aufmerksamkeit geprägten Haushalt aufwuchs. Das "Glass Child" lebte in seiner Kindheit zumeist in einer Familie mit einem Geschwisterkind, dass sehr krank war oder eine Behinderung hatte. Der Begriff erlebt gerade eine Art Renaissance auf sozialen Medien wie TikTok – Grund genug, sich mit dem Phänomen genauer auseinanderzusetzen.

Denn ein Kind, das von den Eltern oder anderen Bezugspersonen "gläsern" behandelt wurde – als wäre es durchsichtig – und sich nicht gesehen oder gehört fühlte, ist leider keine Seltenheit in unserer Gesellschaft. So eine Kindheit wirkt sich auf das gesamte restliche Leben einer Person aus, wie die folgenden Anzeichen deutlich machen.

Was "Glass Child" meint

Laut "Charlie Health", einer US-amerikanischen Online-Beratungsstelle für mentale Gesundheit, handelt es sich bei dem Glaskind-Syndrom nicht um eine medizinische Erkrankung oder gar Diagnose. "Es ist ein umgangssprachlicher Begriff, der häufig verwendet wird, um die Herausforderungen und einzigartigen Stärken von Geschwistern von Kindern mit chronischer Erkrankung oder einer Behinderung zu beschreiben", heißt es auf der Internetseite. 

Das Phänomen wurde 2010 bei einem TEDx-Vortrag von Rednerin Alicia Arena benannt: "Glaskinder übernehmen die Fürsorgepflichten und wir sind natürlich darauf konditioniert, keine Probleme zu haben. Wir sollen perfekt sein. Wenn uns jemand fragt, wie es uns geht, lautet die Antwort immer: 'Mir geht es gut.'"

Immer funktionieren, die eigenen Bedürfnisse hintenanstellen, nicht auffallen – "gläsern" sein: Glaskinder wollen ihren Eltern keine zusätzliche Last aufbürden, übernehmen zumeist schon früh Aufgaben in der Familie, die eher für Erwachsene geeignet sind, wie eine Studie feststellte. "Infolgedessen können sie viel schneller erwachsen und reifer werden als ihre Altersgenossen", heißt es in der Studie. Doch die oftmals einhergehende emotionale Vernachlässigung und eine Kindheit, die nicht als Kind verbracht werden konnte, hinterlassen ihre Spuren.

Wie sich so eine Kindheit auf das Erwachsenenleben auswirkt

Wie könnte man die eigenen Bedürfnisse über eine Schwester stellen, die nicht allein essen kann? Wie über die eines Bruders, der nur noch wenige Jahre zu leben hat? Ein gläsernes Kind bemerkt oftmals sehr früh, dass das Geschwisterkind mehr Aufmerksamkeit erhält, empfindet Trauer, Wut und Neid – und Schuldgefühle. Rednerin Arena erklärte in ihrem Vortrag, dass sich gläserne Kinder so anpassen, wie es für die Familie passt, was Studien untermauern. In jedem Fall bleibt eine Kindheit als "Glass Child" nicht folgenlos für die betroffene Person – im Guten wie im Schlechten.

Gläserne Kinder sind sensibler als andere

Ein gläsernes Kind hat eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber den eigenen Gefühlen sowie äußeren Reizen. Das meint zum einen, dass es möglicherweise leicht von geäußerter Kritik oder negativen Kommentaren verunsichert sein kann. Gleichsam kann sich die erhöhte Sensibilität auch darin zeigen, dass es ein stark ausgeprägtes Einfühlungsvermögen und Mitgefühl gegenüber anderen hat. 

Sie empfinden Emotionen sehr intensiv

Glück, Trauer, Wut, Angst – gläserne Kinder empfinden jedwede Emotion sehr stark. Auch hierbei gibt es mehr als eine Seite: Es kann sehr schön sein, "positive" Emotionen wie Freude so intensiv zu erleben. Gleichzeitig fällt es solchen Menschen oftmals schwerer, ihre eigenen Emotionen zu regulieren und ein emotionales Gleichgewicht beizubehalten.

Ein Hang zum Perfektionismus

Perfekt sein um jeden Preis – ein vollkommen unmöglicher Maßstab, den sich viele gläserne Kinder ein Leben lang setzen. Schließlich wollen sie für ihre Mitmenschen keine Last, keinen weiteren Grund für Kummer darstellen. Doch der Hang nach (im Leben nahezu nie erreichbarer) Perfektion führt oftmals zu einem Teufelskreis der überzogenen Selbstkritik und Enttäuschung. 

Wichtig ist: Es ist absolut keine Schwäche, ein gläsernes Kind zu sein. Sicherlich können gewisse Konsequenzen aus so einer Kindheit in bestimmten Situationen eine hohe Belastung darstellen. Doch wie so oft im Leben ist auch das Glaskind-Syndrom eine Sache der Perspektive: Letztlich war die Kindheit wie sie war. Sie führte aber eben auch zu einem einzigartigen Aspekt der Persönlichkeit, unter anderem dazu, dass diese Menschen sehr feinfühlige Empathie entwickelt haben.

Die Frage ist letztlich: Was damals war, lässt sich nicht mehr ungeschehen machen – doch wie kann ich damit heute umgehen? Wie kann ich das Erlebte für mich nutzen, um etwas Gutes für mein Hier und Jetzt und meine Zukunft zu schaffen? Wir sind keine Kinder mehr, wir sind den Situationen nicht mehr in dieser Art hilflos ausgeliefert, auch wenn es sich manches Mal so anfühlen mag. 

Verwendete Quellen: metro.co.uk, k.at., psych2go.net, hitc.com, repository.canterbury.ac.uk, charliehealth.com, publications.aap.org, siblingleadership.org

csc Brigitte

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