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Detrans-Menschen Wenn nach der geschlechtsangleichenden OP plötzlich Zweifel kommen

Geschlechtsangleichende Operation: Frau mit Unterwäschenbild
© LightField Studios / Shutterstock
Sie wollte als Mann leben. Nele nahm Testosteron und ließ sich die Brüste amputieren. Dann aber kamen ihr Zweifel.

Das Unbehagen begann mit der Pubertät. "Ich habe nicht verstanden, warum ich plötzlich meine Brüste bedecken sollte", erinnert sich Nele. "Und natürlich habe ich die dann doof gefunden." Die Ablehnung ihres weiblichen Körpers wächst, aber äußerlich passt sie sich an. Lange blonde Haare, kurzes Blümchenkleid: So lächelt sie von ihrem Abiturfoto. "Sich hübsch machen, bei den Jungs beliebt sein – ich habe gemerkt, dass das von mir als Frau erwartet wurde."

Hass auf den eigenen Körper

Der Cut, wie sie es nennt, kommt mit 19, als ihr klar wird, dass sie auf Frauen steht. Vor dem Begriff "lesbisch" schreckt sie dennoch erst mal zurück: "Bisexuell erschien mir sicher." Sich die Haare abzurasieren erlebt sie als Befreiung. Ihr Inneres aber hinterfragt sie erst, als sie bei der Internetrecherche, wie sie ihre ungeliebten Brüste loswerden könnte, auf das Thema Transidentität stößt. Kann es sein, dass sie im falschen Körper geboren ist? Wirklich sicher ist sie sich nicht.

Gleichzeitig geht es ihr immer schlechter: Sie entwickelt eine schwere Essstörung, hat Suizidgedanken, verletzt sich selbst. Ein Jahr später beschließt sie zu transitionieren. Sie outet sich als Peer und nimmt schon ein paar Monate später Testosteron. "Eigentlich war ich damals psychisch nicht in der Lage, eine solche Entscheidung zu treffen", sagt Nele heute. "Und was ich bei dem Therapeuten bekommen habe, war nicht das, was ich gebraucht hätte." Vorwürfe macht sie ihm trotzdem nicht – er habe sich schließlich nur an den sogenannten trans-affirmativen Ansatz gehalten, also bestärkt, ohne zu hinterfragen. Auch vor der OP, in der ihr die Brüste entfernt wurden, sei sie sich zu "200 Prozent" sicher gewesen: "Ich habe mich darauf gefreut und war hinterher total glücklich. Sicher würde ich heute anders entscheiden, aber ein Körperteil, den ich unglaublich gehasst habe, ist nicht mehr da. Das ist schon eine Erleichterung. Bis heute habe ich Albträume, dass ich wieder Brüste habe."

Doch der Zweifel wächst. Peer hat Eliott kennengelernt, sie verlieben sich. Eliott ist ebenfalls ein Trans-Mann, aber lebt bald wieder als Ellie, nachdem sie die männlichen Hormone zunächst vor allem wegen gesundheitlicher Probleme abgesetzt hat. "Wir haben viel darüber diskutiert, ob man wirklich im falschen Körper geboren wird und die Transition dann eigentlich nur eine Korrektur ist", sagt Nele. "Und ich habe mich gefragt: Wenn ich nicht von Geburt transgender wäre, warum hätte ich eine Transition machen wollen? Plötzlich waren die Antworten einfach: Weil ich meinen Körper gehasst habe – und zwar auch durch männliches Verhalten und sexuelle Belästigung. Und weil ich nie weibliche Vorbilder hatte." Nele ist sich sicher, ihre Geschichte wäre anders verlaufen, wäre sie mit einem vielfältigeren Rollenbild aufgewachsen. "Ich bin Illustratorin, aber als Frau habe ich nur gesagt ,Ich zeichne Bilder‘. Erst als Mann habe ich mich selbstbewusst als Profi gesehen. Heute kann ich das hinterfragen und auch, da ich wieder als Frau lebe, mich selbst ernst nehmen."

Ein hoher Preis

Eins der Dinge, die sich nicht mehr ändern, auch wenn Nele schon mehrere Monate kein Testosteron mehr nimmt, ist ihre Stimme. Sie ist tiefer, rauer und irgendwie monotoner, als man es bei einer jungen Frau erwarten würde. Nele macht das traurig: "Ich habe meine Stimme immer gemocht und auch gern gesungen. Das kann ich jetzt nicht mehr. Während der Transition war ich mir sicher: Ich gebe meine Stimme auf, um als Mann leben zu können. Mittlerweile wünschte ich, ich hätte diesen Preis nicht zahlen müssen." Warum sie dann noch kein Stimmtraining gemacht hat, um zumindest etwas höher und "weiblicher" zu sprechen? "Damit würde ich doch wieder meinen Körper verändern, um dem zu entsprechen, wie eine Frau angeblich zu sein hat. Und damit bin ich durch."

Inzwischen haben Ellie und Nele das Projekt "Post Trans" ins Leben gerufen: "Wir wollen niemanden davon abhalten zu transitionieren. Aber wir wollen sichtbar machen, dass es auch die Möglichkeit von negativen Effekten gibt. Das sollte kein Tabu sein." Ob sie Reue empfindet? "Eigentlich nicht. In der Situation, in der ich damals war, war die Transition meine Rettung. Ich habe getan, was ich konnte, um zu überleben. Natürlich wünschte ich, es wäre nicht passiert, aber letztendlich hat es mich dahin gebracht, wo ich jetzt bin."

Nele, 24, und ihre Freundin Ellie sammeln Geschichten von Detrans-Menschen, die wie sie zu ihrem Geburtsgeschlecht zurückgekehrt sind. 

Mehr Infos über Transidentität findest du unter post-trans.com.

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