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Gender-Klischees: "Sie wirken eben wie ein Mann"

Gender-Klischees: "Sie wirken eben wie ein Mann"
© GaudiLab / Shutterstock
BRIGITTE-Autorin Diana Huth sieht nicht "typisch weiblich" aus. Dass sie häufig darauf angesprochen wird, nervt sie. Und sie fragt sich: Wann hören wir auf, in Klischees zu denken?

Gender-Klischees - Wenn eine Frau wirkt wie ein Mann

"Die Männertoilette ist dort drüben!" Diesen Satz habe ich schon unzählige Male gehört. Manchmal antworte ich dann, zugegebenermaßen etwas patzig: "Ja, und darum bin ich genau richtig hier."

Ich bin eine Frau. Ich habe nur lediglich kurze Haare, einen sportlichen Körper, manchmal verhalte und kleide ich mich sehr burschikos, die Modewelt nennt es "Tomboy". Das reicht offenbar aus, um nicht der klassischen weiblichen Geschlechterrolle zu entsprechen. Und somit offenbar auch, um genügend Mitmenschen im Alltag zu irritieren. Häufig entschuldigen sie sich dann etwas beschämt, wenn sie bemerken, dass sie einen Fehler gemacht haben. Aber ich höre auch genauso oft Rechtfertigungen im Stile von "Na ja, Sie wirken aber nun mal wie ein Mann." Und genau das stimmt eben nicht. Ich mag es einfach nur, aus einem breiten Spektrum von Verhaltensweisen und Modewelten zu schöpfen. 

Als ich sechs war, wollte meine Mutter, dass ich bei einer Hochzeit als Blumenmädchen ein Kleid trage. Ich wollte das nicht. Wir fanden einen guten Kompromiss: Ich trug das Kleid und durfte dafür später mit dem Bräutigam auf seinem Motorrad fahren. Bei meiner Konfirmation war ich dagegen die Einzige im Kleid - und zwar auf eigenen Wunsch. Ich bin heute im Auftreten sehr direkt und präsent, was erstaunlicherweise als "männlich" gilt, aber auch oft sensibel, was eher der weiblichen Geschlechterrolle zugeschrieben wird. Und ich frage mich: Wie kann es sein, dass nicht nur die Kleidung, sondern auch bestimmte Verhaltensweisen immer noch als "männlich" und "weiblich" eingeteilt werden? Und warum fühlen sich manche Leute dazu berufen, einen in teilweise übergriffiger bis unfreundlicher Weise darauf aufmerksam zu machen und zu bewerten, dass man die Rollenerwartungen ans eigene Geschlecht nicht erfüllt? 

"Es gibt immer noch ein sogenanntes ‚sameness taboo‘: eine kulturelle Basisanforderung, dass Männer und Frauen sich in jedem Fall unterscheiden und keinesfalls als gleich wahrgenommen werden dürfen", sagt die Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München auch Genderwissenschaften lehrt. "Das Geschlecht muss sofort erkennbar und verbindlich sein. Wenn Personen nicht eindeutig in ihrer Geschlechterrolle sind oder die eigenen Vorstellungen von Ordnung, Moral, von ‚So sollen die Dinge sein‘ herausfordern, dann ist das für viele Leute offensichtlich etwas, was sehr schwierig zu handhaben ist."

Weg von klassischer Weiblichkeit - hin zu Androgynität

Dabei könnte man denken, dass wir doch eigentlich längst weiter sind. Als in den 70ern die sozialdemokratische Abgeordnete Lenelotte von Bothmer in Hosen in den Bundestag ging, war das ein Skandal, den man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Neben dem Tumult - sie wäre fast aus dem Plenarsaal geworfen worden - gab es bundesweit Schlagzeilen: Jegliche Ordnung und Moral seien dadurch gefährdet. Seitdem sind nicht nur die Kleidervorschriften deutlich lockerer geworden. Ein gewisses Spiel mit Geschlechterrollen gilt sogar als so schick, dass es die Modewelt und die Werbung längst für sich entdeckt hat: Das amerikanische Model Rain Dove wird sowohl für Männer- als auch für Frauenmode gebucht, auf Instagram haben androgyn auftretende Frauen wie Brittenelle und Mads Paige Hunderttausende Follower, erfolgreiche Models wie Cara Delevingne oder die Schauspielerin Ruby Rose entsprechen nicht dem klassischen Bild von Weiblichkeit. Auch männliche Beispiele gibt es, zum Beispiel Jaden Smith; der Sohn von Will Smith designt selbst Mode und tritt auch mal im Rock auf. 

Und auch das ist nicht mal eine ganz neue Entwicklung, meint Paula-Irene Villa: "Gerade die Welten von Popkultur, Hollywood und Filmen haben immer schon diese grenzspielerischen und grenzüberschreitenden Verkörperungen gehabt. Die 20er-Jahre in Berlin und Paris waren schon voll von schillernden, fluiden Genderpersonen, Inszenierungen, Bars und Subkulturen." Auch die 60er- und 70er-Jahre mit Glamrock und Hippies waren in diesem Punkt sehr fortschrittlich. Und heute, sagt die Soziologin Villa, hätten wir eine gesellschaftliche Situation, in der die Darstellung von Individualität als Wert an sich gilt: "Alles, was wir sind, soll so sein, weil es unser Wille ist." Nur heißt das trotzdem nicht, dass im normalen Alltag alle so liberal und offen sind, wie es den Anschein hat. 

Kinder werden oft unbewusst genderspezifisch geprägt

Die Sängerin Conchita Wurst alias Tom Neuwirth, die im Abendkleid und mit Vollbart den Eurovision Song Contest 2014 gewann, mag für viele eine mutige und spannende Persönlichkeit sein. Aber wenn sich die eigenen Kinder "abnormal" verhalten - also eben "abseits der Norm" - kommen so manche Eltern dann doch insgeheim ins Grübeln, ob denn alles in Ordnung sei (oder werden ganz unverhohlen von anderen Eltern darauf angesprochen): Der Junge will mit angemalten Fingernägeln in die Schule gehen? Das Mädchen hat mit 14 kein Interesse an Jungs und an Schminke?

Wie stark wir Kinder genderspezifisch prägen und uns dessen teilweise nicht einmal bewusst sind, zeigt ein britisches Experiment: Erwachsene griffen beim Spielen mit fremden Kindern automatisch zu geschlechtsspezifischen Spielzeugen. Und auch, wenn sich zum Beispiel das englische Kaufhaus John Lewis an neutraler Kindermode versucht - der Trend geht, ganz im Gegenteil, zu immer mehr sinnlos vergeschlechtlichten Produkten wie dem pinken Überraschungsei oder "Lego friends", dem Lego "für Mädchen". Und wir glauben wirklich‚ aufgeschlossen und modern zu sein - aber traditionelle Vorstellungen sind einfach fest verankert: "80 Prozent der heterosexuellen Paare, die sagen ‚Wie wir das zu Hause mit der häuslichen Arbeitsteilung machen, hat mit Geschlecht überhaupt nichts zu tun‘, machen das in Wahrheit genauso konservativ wie ihre Eltern und Großeltern", sagt Soziologin Paula-Irene Villa. Was natürlich bedeutet, dass Hausarbeit in der Realität immer noch Frauensache ist. 

Fortschrittlich ist das alles nicht. Und während die Chinesen gemeinsam über einer Rinne hocken, wird in Deutschland immer noch heiß darüber diskutiert, ob man eine dritte Toilette für Menschen braucht, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen. Braucht man übrigens nicht. Ich jedenfalls könnte gut mit einer Unisex-Toilette leben. Denn so unterschiedlich die Bedürfnisse eines Menschen, egal welchen Geschlechts, sind: Beim Besuch auf diesem Örtchen dürften sie ziemlich ähnlich sein.

Brigitte 11/2018

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