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Leidenschaften: Und wofür brennen Sie?

Sie bescheren uns guten Sex und verhindern, dass wir drogensüchtig werden. Leidenschaften sind der Schlüssel zu absolutem Glück, und keiner kennt sich mit ihr besser aus als der Kanadier Robert Vallerand.

Robert Vallerand - der Passionierte

Robert Vallerand, zweifacher Familienvater, Mitte 50, gilt als bedeutendster Leidenschaftsforscher weltweit. Er ist Professor am Institut für Psychologie der Universität von Québec im kanadischen Montreéal und erhielt für seine Arbeiten bereits viele Preise, u.a. auch vom Internationalen Olympischen Komitee.

Leidenschaften: Und wofür brennen Sie?
© Juan Estey/istockphoto.com

BRIGITTE: Professor Vallerand, Sie behaupten, dass jede Leidenschaft unsere Ehe stabilisiert und uns bei allem, was wir tun, glücklich sein lässt. Wie kann denn beispielsweise eine Passion fürs Häkeln eine Ehe stärken?

Robert Vallerand: Da besteht ein indirekter Zusammenhang. Sprechen wir lieber vom Basketballspielen als vom Häkeln, davon verstehe ich mehr, weil es zu meinen persönlichen Leidenschaften gehört. Wenn Sie eine bestimmte Art der Leidenschaft fürs Basketballspielen haben, ist das etwas, was Freude in Ihr Leben bringt. Wann immer Sie Basketball spielen, fühlen Sie sich großartig. Und diese positive Stimmung bleibt Ihnen einige Stunden lang erhalten. Sie nehmen sie vom Spielfeld mit und bringen sie ein, wenn Sie draußen in der Welt mit anderen zu tun haben.

BRIGITTE: Etwa mit dem eigenen Partner...

Robert Vallerand: Genau. Sie haben ein Lächeln auf den Lippen, wenn Sie zu ihm nach Hause kommen, und das wiederum zaubert ein Lächeln auf seine Lippen. Ihr gemeinsamer Abend startet auf dem richtigen Fuß. Damit nimmt Ihre Basketball-Leidenschaft indirekt Einfluss auf die Emotionen Ihres Partners, und die werden wiederum auf andere Bereiche Ihres Lebens übertragen. Also wird Ihre Basketball- Leidenschaft einen indirekten Effekt auf Ihr Liebesleben haben.

BRIGITTE: Ist das wirklich so einfach?

Robert Vallerand: Ja, ist es! Vorausgesetzt, Sie haben eine bestimmte Art der Leidenschaft, die harmonische nämlich.

BRIGITTE: Es gibt mehrere Leidenschaften?

Robert Vallerand: Wir unterscheiden zwischen der harmonischen und der obsessiven. Wobei eine Leidenschaft grundsätzlich eine starke Vorliebe für eine Tätigkeit ist, die jemand liebt, wichtig findet und auf die er Zeit und Energie verwendet.

BRIGITTE: Was zeichnet die harmonische Leidenschaft denn aus?

Robert Vallerand: Bei ihr lieben Sie eine Aktivität einfach, weil Sie sie lieben - nicht weil sie Ihnen noch etwas anderes verspricht, etwa Ihr Selbstwertgefühl aufzupeppen. Deswegen leben Sie bei der harmonischen Leidenschaft auch in Harmonie mit anderen Aspekten Ihres Ichs und auch mit anderen Dingen, die Sie machen. Das heißt, Sie rasten nicht völlig aus, wenn Sie Ihrer Leidenschaft einmal nicht folgen können. Sie haben sie unter Kontrolle.

BRIGITTE: Die obsessive Leidenschaft kann ich nicht kontrollieren?

Robert Vallerand: Nein. Die muss ich ausüben, auch wenn es nicht vernünftig ist. Wenn ich für einen Test am nächsten Tag lernen muss, aber meine Freunde sagen: "Lass uns Musik machen", und ich jamme obsessiv leidenschaftlich gern, kann ich nicht antworten: "Sorry, heute lerne ich."

BRIGITTE: Sie gehen hin.


<antwort name = "Robert Vallerand">Ja. Denn die obsessive Leidenschaft ist eine eifersüchtige Leidenschaft. Sie will Sie für sich allein haben. Sie wird andere Interessen in Ihrem Leben abtöten. Die einzige Sache, an die Sie noch denken können, wird diese Leidenschaft sein.

BRIGITTE: Klingt zwanghaft - so einfach beschert uns die Leidenschaft also kein Glück.

Robert Vallerand: Sagen wir es so: Die obsessive Leidenschaft entfesselt die dunkle Seite der Macht. Nur mit harmonischer Leidenschaft kann man ein wirklich großartiges Leben führen.

BRIGITTE: Lassen Sie uns diesen Punkt vertiefen: Wie genau sorgt eine harmonische Leidenschaft für ein großartiges Leben?

Robert Vallerand: Hierfür ist es wichtig, eine Sache zu verstehen: Nur wer harmonisch leidenschaftlich ist, kann mehrere Leidenschaften in seinem Leben haben. Ich beispielsweise brenne fürs Basketballspielen, fürs Songwriting und Gitarrespielen, fürs Reisen mit meiner Frau und für meine Forschung. Und nur wer mehrere Leidenschaften in seinem Leben hat, zwei, vielleicht drei, hat ein wahrhaft großartiges Leben. Denn diese Menschen sind leidenschaftlich mit dem Leben selbst verbunden. Wann immer wir sie sehen, tun sie genau das, was sie tun sollten. Sie sind im richtigen Moment am richtigen Ort und haben dabei eine großartige Zeit. Nur harmonische Leidenschaft macht das mit Menschen: dass sie wirklich glücklich sind mit dem, was sie tun.

BRIGITTE: Das heißt, fürs absolute Glück im Leben brauchen wir zwei, drei harmonische Leidenschaften?

Robert Vallerand: Was nicht immer einfach ist - weil sie harmonisch sein müssen. Das Problem dabei ist, dass viele unserer Tätigkeiten von Natur aus konkurrenzorientiert sind. Und wir wissen über Konkurrenz, dass sie oft die dunkle Seite der Macht füttert: Wir wollen andere Leute besiegen...

BRIGITTE: Wenn Sie von der dunklen Seite der Macht sprechen, meinen Sie damit wieder die obsessive Passion?

Robert Vallerand: Ja. Wer obsessiv leidenschaftlich ist, konkurriert ausgesprochen hart. Ich habe vor Jahren mal Urlaub im "Club Med" in Cancun, Mexiko, gemacht und spielte dort zwei Wochen lang jeden Tag Basketball auf einem Außenplatz, alles wunderschön. Dann kam dieser Typ aus den Staaten. Er hat einen Wurf gemacht und mich gleichzeitig in den Magen geschlagen - in den Ferien im "Club Med". Das ist das Problem mit obsessiv leidenschaftlichen Menschen: Sie wollen dich schlagen und sind bereit, alles dafür zu tun. In meinen Studien habe ich das ebenfalls herausgefunden, und es betrifft nicht nur den Sport, sondern alle Lebensbereiche: Wer obsessiv leidenschaftlich ist, ist bereit zu betrügen und anderen weh zu tun - nur um zu gewinnen.

BRIGITTE: Weil zu gewinnen was genau verspricht?

Robert Vallerand: Dass man beispielsweise beliebt ist.

Nicht jede Form der Leidenschaft ist gleich gut

BRIGITTE: Obsessiv leidenschaftliche Menschen sind also verliebt in die äußeren Faktoren, die ihnen ihre Leidenschaft einbringt, den Applaus des Publikums etwa, den lobenden Blick der Eltern, Bonuszahlungen, soziales Prestige?

Robert Vallerand: Richtig - zusätzlich zu ihrer Leidenschaft.

BRIGITTE: Aber darf man diese Dinge nicht toll finden? Sind obsessiv leidenschaftliche Menschen deswegen schlecht?

Robert Vallerand: Wer eine obsessive Passion hat, wird zu einem Verhalten verleitet, das nicht optimal ist, wenn man Glück noch in anderen Bereichen seines Lebens erfahren will.

BRIGITTE: Inwiefern?

Robert Vallerand: Wenn Sie etwa zum Musikmachen gehen müssen, sobald Freunde Sie anrufen, steht das im Konflikt mit Ihrer Examens-Vorbereitung. Sie werden sich nach dem Jammen schuldig fühlen, wahrscheinlich haben Sie sogar während des Musikmachens gar nicht so viel Spaß gehabt, weil Sie die ganze Zeit ans Lernen denken mussten. Also setzen Sie sich an den Schreibtisch, wenn Sie spät abends nach Hause kommen. Das wird nicht effektiv sein, weil Sie müde sind, und am nächsten Tag werden Sie noch müder sein. Ihre Gesundheit könnte sogar darunter leiden, weil Sie bis zwei oder drei Uhr morgens gelernt haben.

BRIGITTE: Und woran liegt es, dass der eine Mensch eine harmonische Leidenschaft entwickelt, der andere aber eine obsessive? Ist das eine Frage der Persönlichkeit?

Robert Vallerand: Der Unterschied liegt im Prozess der Verinnerlichung einer Leidenschaft. Das bedeutet für obsessiv leidenschaftliche Menschen: Obwohl sie eine Aktivität lieben, finden sie diese nicht nur wichtig, weil sie sie um ihrer selbst willen lieben, sondern weil diese Tätigkeit ihnen noch etwas anderes gibt, was außerhalb der Aktivität liegt - etwa ein höheres Selbstwertgefühl.

BRIGITTE: Wie kann ich denn aber verhindern, bei etwas obsessiv leidenschaftlich zu werden?

Robert Vallerand: Am besten, indem Sie Ihr Ego hintanstellen, wann immer Sie sich Ihrer Leidenschaft widmen. Lassen Sie es an der Tür stehen, wenn Sie zum Musikmachen gehen, und wenn Sie zurückkommen, ist es hoffentlich nicht mehr da. So kann das Ego verschwinden. Versuchen Sie außerdem, in Ihrem Terminplan eine zweite Aktivität unterzubringen, die Sie lieben. Es wird Sie zwingen, weniger besessen von der ersten zu sein. Außerdem erhält das zweite Interesse so die Möglichkeit, zu einer Leidenschaft zu werden.

BRIGITTE: Viele haben das Problem, dass sie zwar einige Interessen haben, aber keine Leidenschaften. Wie kann man seine ganz persönliche Leidenschaft finden?

Robert Vallerand: Konzentrieren Sie sich auf Ihre Stärken. Studien haben gezeigt, wenn sich Menschen auf ihre Stärken konzentrieren, also auf das, was sie am besten können, werden irgendwann gute Dinge passieren. Eine andere Untersuchung fand heraus, wenn sich Menschen bei der Arbeit auf ihre Stärken fokussieren, wächst die harmonische Leidenschaft für ihren Job. Wenn Sie also Ihre Leidenschaft finden oder wachsen lassen wollen, schauen Sie in sich hinein, erkennen Sie sich selbst: Wer bin ich? Was bevorzuge ich? Was kann ich am besten? Was mag ich am liebsten? Dann wird die Antwort da sein.

BRIGITTE: Woran erkenne ich die Antwort?

Robert Vallerand: Sie müssen ausprobieren, was Sie am besten können. Wenn Sie etwa denken, Sie haben viel Energie, und Sie wollen Sport für sich testen, könnten Sie gut im Joggen oder Schwimmen sein oder in ähnlichen Disziplinen, die viel Zeit beanspruchen. Wenn Sie fühlen, dass Sie gut darin sind, die Dinge präzise zu machen, versuchen Sie's mit Basketball.

BRIGITTE: Und wenn man all Ihre Fragen beantwortet hat und trotzdem noch völlig ratlos ist, wofür man brennen könnte: Ist der Fall dann aussichtslos, oder kann jeder eine Leidenschaft finden?

Robert Vallerand: Wir haben herausgefunden, dass ungefähr 85 Prozent aller Menschen eine Leidenschaft haben für was auch immer, die Arbeit, eine Beziehung, das Lesen, die Fotografie, für Sport, die Musik.

BRIGITTE: Was ist mit den übrigen 15 Prozent?

Robert Vallerand: Diese Gruppe untersuchen wir gerade, haben aber noch keine Ergebnisse. Wir wissen also nicht, ob sie sich prinzipiell überhaupt nicht binden oder ob sie statt einer Leidenschaft vielleicht verschiedene Interessen haben.

BRIGITTE: Kann denn aus einem Interesse eine Leidenschaft werden?

Robert Vallerand: Dafür müssen Sie regelmäßig Zeit in eine Tätigkeit investieren, die Sie mögen und wertschätzen. Auf diese Weise erhält sie die Chance, sich in eine Passion zu verwandeln.

BRIGITTE: Leidenschaft hat noch einen weiteren ganz großen Vorteil: Sie versorgt uns mit Unmengen von Energie. Wer leidenschaftlich bei einer Sache ist, übt, trainiert oder macht Überstunden - ganz automatisch und ohne dabei müde zu werden. Wie kommt das?

Robert Vallerand: Diese Energie kommt aus uns selbst. Wir sind so gebaut, dass wir diese Energie haben und dass wir ihr in Aktivitäten hineinfolgen, die es uns erlauben, psychisch zu wachsen. Wir haben diese angeborene Neigung, dass wir wachsen wollen. Genau das passiert auch, wenn wir für etwas leidenschaftlich brennen. Wir wollen ein Experte auf diesem Gebiet werden. Also stecken wir unsere Kraft immer weiter in die geliebte Tätigkeit, weil wir von ihr begeistert sind. Allerdings gehen wir nur bei einer harmonischen Leidenschaft mit mehr Energie heraus, als wir in die Sache hineingesteckt haben.

BRIGITTE: Ist das auch der Grund, warum Leidenschaft uns angeblich so erfolgreich macht?

Robert Vallerand: Genau. Vor allem Langzeit-Erfolg und nachhaltige Leistung, wofür man sehr, sehr lange am Ball bleiben muss, gehen auf ihr Konto. Studien haben gezeigt, dass man 10 000 Stunden Übung braucht, um eine international anerkannte Expertise auf egal welchem Gebiet zu erlangen. Das bedeutet, dass man sich zehn Jahre lang vier Stunden am Tag, sechs Tage die Woche und 50 Wochen im Jahr einer Sache widmen muss. Das ist nicht immer einfach. Um das zu tun, muss man leidenschaftlich sein.

BRIGITTE: Übt das nicht ungeheuren Druck auf Menschen aus?

Robert Vallerand: Kommt darauf an, was Sie wollen. Leidenschaft wird Sie auf ein bestmögliches Niveau bringen - aber wenn etwas anderes gut genug für Sie ist, ist das großartig. Etwas werden Sie von einer Tätigkeit haben, auch wenn Sie sie mit Interesse betreiben. Ich denke, es ist besser, in irgendeine Aktivität involviert zu sein, als in gar keine.

BRIGITTE: Kann ich eigentlich mein Kind dabei unterstützen, eine Leidenschaft für sich zu entdecken?

Robert Vallerand: Dafür müssen Sie Ihr Kind kennen und mit ihm in Kontakt stehen. Versuchen Sie zu sehen, was es von sich aus tut, was sein Interesse weckt, was es zu mögen scheint. Dann können Sie es ermutigen, sich Tätigkeiten zu widmen, die es liebt. Schenken Sie ihm außerdem die Möglichkeit, eine Vielzahl verschiedener Dinge auszuprobieren. Auf diese Weise haben Sie die Chance herauszufinden, was es am liebsten mag, und schlussendlich wird Ihr Kind selber darum bitten, etwas weiterverfolgen zu können.

BRIGITTE: Mehr als 100 Einzelstudien zum Thema Leidenschaft gehen auf Ihr Konto - wie hat das Erforschen der Passion Ihr Leben verändert?

Robert Vallerand: Es hat dazu geführt, dass ich mich fürsorglich um meine eigenen Leidenschaften kümmere und darauf achte, dass sie harmonisch bleiben.

Interview: Christine Koischwitz BRIGITTE 11/2013

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