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Filter, Retusche und Co. Wie verträgt sich der Feminismus mit Schönheitsoptimierungen?

Schönheit: Frau im Spiegel
© Drazen / Adobe Stock
Schönheit: Individuell ausgeführt und gesellschaftlich vorgelegt. Wir werden damit konfrontiert, unser Äußeres an ein Idealbild anzupassen. Und das jeden Tag. Perfektionierte Filter in den sozialen Medien lassen die Realität verschwimmen – bin ich das noch? Die Person im Spiegel? Ein Optimierungswahn durch Weichzeichner, Retusche, Schönheitsoperationen und andere Absurditäten zum Leben erweckt. Kann das noch feministisch sein? Kann ich noch Feministin sein?

Instagram. Frontkamera. Foto. Moment. Das sieht blöd aus. Filter! Schon besser. Gut genug? Nein. Leicht nach links drehen. Blick in die Kamera. Kopf gebeugt. Unterlippe leicht nach vorne strecken. Lippen spitzen. Besser. Gut genug. 10 Minuten später. 300 Views. Reaktionen. Herzen, Flammen, Kommentare. "Wow, siehst du toll aus". "Viel zu sexy". Zufrieden. Zurücklehnen. Aufatmen. 20 Minuten später. Noch mal anschauen. Mehr Views. Moment. Innehalten. Bin ich das?

So sind Veränderungen leicht. Mit Instagram-Filtern. Keine Sekunde vergeht. Kein Aufwand. Ich schaue in mein Abbild der Frontkamera. Meine Nase ist kleiner, die Lippen voller. Wimpern bis zum Mars und eine porenreine Haut. Ich schwenke das Handy zu meiner Mitbewohnerin. Das Gleiche. Der Filter legt sich über ihr Gesicht und ich erkenne sie kaum wieder. Schwenke das Handy wieder zurück zu mir. Ich erkenne mich kaum wieder. "Ist das jetzt schön?" frage ich mich, das Handy und das illusionierte Abbild meiner Selbst noch immer vor meiner Nase haltend.

Wie verträgt sich der Feminismus eigentlich mit Schönheitsoptimierungen?

Die Instagramfilter sind heute anscheinend das Idealbild von Schönheit, was uns jeden Tag buchstäblich ins Gesicht projiziert wird. Klar, dass dann andauernde Veränderungswünsche des Äußeren folgen. Denn wenn der Blick in einen echten Spiegel fällt, verschwindet die Verschönerung des Instagram-Filters. Eine Lösung scheint für viele: Unters Messer legen. Schönheitsoperationen. In der heutigen, feministisch geprägten Gesellschaft scheint der Wert, der noch immer auf Schönheit gelegt wird für ein Ungleichgewicht zu sorgen. Deswegen stellt sich mir die Frage: Kann Feminismus gemeinsam mit Schönheitsoperationen in einem Boot sitzen oder wird der Feminismus durch die Beauty-Eingriffe und andere Schönheitsoptimierungen verraten?

Grundsätzlich setzt der Feminismus voraus, dass jede und jeder das tun kann, was sie oder er verdammt noch mal möchte. Ohne dafür verurteilt zu werden. Dazu zählen auch Schönheitsoperationen. Was aber ist der Grundstein des Wunsches nach Perfektion? Das heutige Schönheitsideal. Das Heutige deshalb, weil sich ebendieses über die Jahre und Jahrzehnte immer wieder verändert hat und sich auch fortwährend verändern wird. Als "schön" galt die Frau von 1400 bis 1700, wenn sie kurvig war. Der "perfekte" Körper in den 90ern? Extrem dünn! Schönheit ist also eine klassische popkulturelle Prägung.

Einmal verändert und dann: Operation zurück?

Was außerdem hinzukommt, ist, dass wir in einer Welt leben, in der die Veränderung des vermeintlichen Ideals tagtäglich erfolgen kann. Mit "Keeping up with the Kardashians" wurden die Hintern dicker, die Taillen schmaler und die Lippen voller. Nur kurze Zeit später sah man das Hinterteil von Kim Kardashian wieder schrumpfen. Ob und welche Eingriffe für solche Veränderungen notwendig sind, bleiben unbeantwortet. Fakt ist, dass der größte Teil der Menschheit bei einer so unfassbar rasanten Bewegung nicht mithalten kann – und möchte?

Was wollen wir wirklich und wovon denken wir nur, dass wir es wollen, weil das Patriarchat, in dem wir leben, genau das von uns erwartet? Niklas Luhmann, ein deutscher Soziologe, bezeichnet dieses Phänomen in seiner gesellschaftskritischen Systemtheorie als die sogenannten "Erwartungserwartungen". Wir beugen uns also einer Gesellschaft und dem, was sie voraussetzt oder für richtig hält. Und warum? Weil wir denken, dass sie das von jeder:jedem Einzelnen von uns erwartet.

Ich selbst suche die Besonderheit in anderen Gesichtern

"Body Positivity" ist momentan in aller Munde. "Liebe deinen Körper", sagen sie. Ich soll also einen Körper lieben, an dem ich nicht alles lieben kann? Die Beziehung zu meinem Körper ist toxisch. Mir geht es gut. Ich bin gesund. Trotzdem, und das gestehe ich mir selbst ein, renne ich dem produzierten Idealbild blind hinterher. Blind so lange, bis ich in den Spiegel gucke und meine Zähne sehe. Dabei sind es die Besonderheiten, die ich in anderen Gesichtern suche. Besonderheiten, die ich finde. Besonderheiten, die ich mag! Wieso ich meine eigenen "Makel" nicht lieben kann? Was bringt es, den eigenen Körper zu lieben, wenn die Gesellschaft und die Sozialen Medien trotzdem ein anderes Idealbild produzieren?

Diversität findet ihren Ursprung garantiert nicht in mir selbst. Diversität muss in der Gesellschaft ihren Anfang finden. Dieser Anfang kann aber erst gefunden werden, wenn kein Wert mehr auf "Body Positivity" gelegt wird. Wenn generell kein Wert mehr auf den Körper als Bewertungsmerkmal eines Menschen gelegt wird. Wenn kein Körper mehr verurteilt wird. Wenn Körper nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich akzeptiert werden als das, was sie sind: Körper. Nicht mehr und nicht weniger.

Das Problem liegt in der Gesellschaft selbst

Können Schönheitsoptimierungen und Feminismus nebeneinander existieren? Beim ersten Hinschauen auf jeden Fall. Denn das ist es, wofür Feminismus steht: Bedingungslose Akzeptanz einer jeden Person. Beim genaueren Hinschauen liegen die Ablehnung des eigenen äußeren Erscheinungsbildes und der Wunsch nach Schönheit und Perfektion zu streben, in der Gesellschaft. Im Ursprung. Im Patriarchat. Und das ist es, was eben gar nicht feministisch ist.

Brigitte

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