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"Poor Things" Finde die Bella Baxter in dir

Poor Things: Bella Baxter
© ZUMA Wire / imago images
Im Kinofilm "Poor Things" taucht Emma Stone auf faszinierende Art in die Rolle der Bella Baxter ein. Schaffen wir das auch?

Feminismus trifft Frankenstein

Ihr Schöpfer nennt sie ein Experiment. Sie selbst sich ein "wandeliges Wesen". Bella Baxter, gespielt von Emma Stone, ist die Hauptfigur der Films "Poor Things", der derzeit in den Kinos läuft, und bereits für elf Oscars nominiert ist. Der Beschreibung nach geht es um eine Weiterentwicklung Frankensteins, eine Frau, die tot und dann wieder lebendig ist, die versteckt gehalten wird und sich befreit. Im Kinosaal merkt man: wir haben es vielmehr mit einem feministischen Märchen der Neuzeit zu tun. Mit bunten Bildern schleicht sich die Gesellschaftskritik in den Kopf, mit außergewöhnlichen Klängen bleibt sie hängen.

Farblos bis farbenfroh

Bella bewegt sich anders. Was heißt das schon? Ihre kindlichen Bewegungen passen nicht zu ihrem erwachsenen Körper, ebenso wenig ihre ruckelige Sprache. Sie lebt in einem dunklen Haus, umgeben von Halbenten mit Schweinekopf, einer Haushälterin und ihrem Schöpfer Godwin. Ihr Welt ist, ebenso wie die ersten Minuten des Films, farblos. Sie darf das Haus nicht verlassen, ob aus Schutz oder Scham vor all der Andersartigkeit, vermutlich beider Willen. Doch Bella entwickelt sich. Und je erwachsener ihr Hirn wird, desto neugieriger wird sie. Da reichen auch Selbstexperimente mit Früchten in Körperöffnungen am Esstisch irgendwann nicht mehr aus. Bella will raus. Und sie geht.

Wir erleben ihr Erwachsenwerden als Emanzipation – von ihrem Zuhause, vor allem aber von der Gesellschaft, deren Konventionen sie nie kennenlernen musste. Wozu Smalltalk? Wieso nur ein Törtchen essen statt acht? Warum Enthaltsamkeit? Und was hat es eigentlich mit dem eigenartigen Besitztum auf sich, den Männer ganz selbstverständlich an Frauen zu stellen scheinen?

"Dein trauriger Blick lässt mich wütende Gefühle finden für dich"

Bella entdeckt in Portugal, auf See und in Paris ihren freien Willen. Und lebt ihn aus, ohne ihn nur eine Sekunde in Frage zu stellen. Statt an sich selbst, zweifelt sie an den Widerständen, die ihr begegnen. Sie braucht Geld und liebt Sex (oder wildes Aufeinanderhüpfen, wie sie es formuliert), also geht sie kurzerhand ins Bordell. Und fragt verblüfft: wieso suchen die Sexworker:innen denn nicht selbst ihre Kund:innen aus – statt andersherum? Und was hat ihr Reise- und Bettgefährte eigentlich dagegen, wie sie über ihren Körper verfügt? 

"Dein trauriger Blick lässt mich wütende Gefühle finden für dich", erwidert Bella in ihrer verqueren Sprache auf die Vorwürfe, die ihr Männer an den Kopf werfen, wenn sie tut, was ihr gefällt – ihnen aber nicht. "Wieso etwas im Mund behalten, wenn es widerlich ist?", vertritt sie ihre Essens- und Genitalvorlieben und wovon sie überzeugt ist, ist, "es ist das Ziel aller, sich zu entwickeln und zu wachsen“, also tut sie es.

Was ist Scham?

Ausgerechnet die Schauspielerin, die laut dpa-Interview früher ihrer Scham "wie einer Sucht" verfallen gewesen sei, befreit sich und uns in ihrer Rolle in "Poor Things" nun vollständig von ihr. Sie verdreht auf der Leinwand ihren Körper, tanzt ekstatisch, lacht und weint und gibt sich beidem hin. Der SPIEGEL berichtet, Emma Stone habe dabei erfahren, "wie sehr es sich lohnt, Dinge zu wagen, von denen ich vorher nicht mal geahnt habe, dass ich je den Mut dafür finden würde." 

Bella Baxter entzieht sich auf selbstverständliche Art der Kontrolle von Männern, Sitten und Scham. "Ich bin eine fehlbare und experimentierfreudige Person", beschreibt sie sich. Sind wir das nicht alle, wenn wir uns trauen?

Brigitte

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