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Entscheidungen treffen Warum es gut ist, auch mal falsch zu liegen

Entscheidungen treffen: Frau am Schreibtisch mit Notizbuch
© Vulp / Shutterstock
Egal, was wir tun, in Liebe, Job und Alltagsleben, alles verlangt einen Einsatz: Zeit, Geld, Gefühle. Manchmal mehr, als wir denken. Doch auch unökonomische Entscheidungen können genau richtig für uns sein.
von Verena Carl

In Minute eins geht es schon los. Nichtsahnend kommen wir auf die Welt, freuen uns darauf, endlich Licht und Bewegungsfreiheit zu haben, und schon folgt das dicke Aber: selber atmen, nach Nahrung schreien, und dann noch diese verdammte Schwerkraft! Man bekommt einfach nichts geschenkt im Leben. Die nächsten Rechenstunden folgen bald darauf: Vier Kugeln Eis kosten zwei Stunden Bauchweh. Lästern mit Marie (4a) kostet die Freundschaft mit Nadine (4b). Aber umgekehrt zahlt sich Einsatz auch aus, wie wir dann später feststellen: in besseren Noten, Jobchancen, und wenn die zeitraubende Unterschriftensammlung für einen neuen Fahrradweg endlich Gehör im Stadtrat findet.

Je emotionaler die Entscheidung, desto schwerer die Abwägung

Unsere gesamte Existenz folgt dem Prinzip der doppelten Buchführung: Wenn auf der einen Seite was reinkommt, geht auf der anderen was raus. Kann man von selbst darauf kommen oder vom Volksmund hören ("Ohne Fleiß kein Preis"). Manche Kosten können wir ungefähr abschätzen – in Gefühl, Zeit, Geld und menschlichen Beziehungen. Andere verstecken sich im Kleingedruckten oder kommen erst viel später zum Tragen.

Manchmal ist das recht übersichtlich. Wenn ich zum Beispiel ein Buch schreiben will, muss ich damit rechnen, nicht über Seite zehn hinauszukommen. Oder später zuzusehen, wie Literaturkritiker Denis Scheck mein Werk vor laufender Kamera in den Müllschlucker wirft. Auf der Habenseite kann alles Mögliche stehen: von der Erfahrung, es wenigstens versucht zu haben (Trostpreis) bis zur Weltkarriere als Bestsellerautorin (Hauptpreis). Doch je emotionaler eine Entscheidung, desto schwerer fällt oft das Abwägen. Und oft ist das Leben wie ein Ratenkauf: jetzt genießen, später zur Kasse.

Ein Mann mit Geld und Karriereambitionen kann uns vielleicht die Welt zu Füßen legen. Aber unter Umständen bezahlen wir später mit viel Alleinsein und dem Verzicht auf einen eigenen, interessanten Job, weil wir ständig ihm zuliebe den Wohnort wechseln. Umgekehrt: Wünschen wir uns eine Liebe auf Augenhöhe und Kinder dazu, heißt das eben nicht nur, sich beim Abholen von der Kita und beim Gutenachtliedersingen abzuwechseln. Sondern auch geteilte Verantwortung für Miete und Einkommen.

Was zählt in meinem Leben?

Nun wäre es unmenschlich, wenn wir jede Entscheidung von einer kühlen Kosten-Nutzen-Rechnung abhängig machen würden. Es kann völlig richtig sein, Dinge zu tun, die sich nach dieser Logik verbieten. Der Chefin die Stirn bieten, um die eigene Würde zu wahren, auch wenn es die Beförderung erschwert. Das schnucklige Haus kaufen, obwohl es renovierungsbedürftig ist und zu weit ab vom Schuss liegt. Weil nicht der objektive Preis einer Entscheidung zählt – wer sollte den auch festlegen? –, sondern die Frage nach unseren subjektiven Werten: Was zählt in meinem Leben, was brauche ich, um ich zu sein, auf was kann ich verzichten?

Die eine möchte endlich selbstständig sein und ihr Start-up gründen und bezahlt dafür mit sehr viel Arbeit, finanziellem Risiko und dem Verzicht auf manch lustigen Abend mit Freunden. Die andere verzichtet eher auf die ganz große sexuelle Erfüllung, wenn sie dafür jemanden hat, mit dem sie lachen kann und der ihre Interessen teilt. Und die dritte wiederum ist lieber Dauersingle, als Kompromisse zu machen. Entgegengesetzte Rechnungen, die trotzdem aufgehen. Eben nur nicht für jede.

Und dann gibt es noch jene Rechnungen, die wir beim besten Willen nicht im Voraus aufstellen können. Einfach, weil das Leben nicht ohne Risiko zu haben ist. Wenn eine sichere Berufswahl von vor 20 Jahren auf einmal zum Krisenmodell wird, eine geliebte Person schwer krank oder ein öffentliches Amt mehr und mehr zur Zielscheibe für Hass und Häme. Vielleicht gelingt es uns dann zumindest, die Rechnung zu teilen. Andere Menschen zu finden, die einen Teil der Last mittragen, die uns unterstützen, und sei es, weil sie Ähnliches erlebt haben und uns verstehen. Eine Art emotionales Crowdfunding für herausfordernde Zeiten. Denn das ist einfach unbezahlbar.

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