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Enkelkinder aufmuntern: So hilft man an trüben Tagen

Enkelkinder aufmuntern: Großmutter mit Enkelin
© Ollyy / Shutterstock
Die Gesellschaft wandelt sich, doch das ist kein Grund zur Sorge. Hier erklären Expert*innen neue Ansätze und sagen, wie Großeltern den Enkeln helfen können, gut ins Leben zu starten. Dieses Mal: Licht an trüben Tagen.

Ein Junge, der lustlos im Essen stochert. Ein Mädchen, das nachmittagelang weint. Ein Junge, der nachts wach liegt. Ein Mädchen, das vor Klausuren zusammenklappt, obwohl es immer gute Noten schreibt. Das alles können Gesichter einer Depression sein. Gerade in meiner Generation glauben viele, dass Kinder nicht depressiv werden. Das stimmt nicht! Tatsächlich entwickeln rund sechs Prozent der Kinder und Jugendlichen Depressionen, rund zehn Prozent eine Angststörung; bei etwa 20 bis 30 Prozent dieser Kinder diagnostizieren Psychiater eine Erschöpfungsdepression. Konkret: In jeder zweiten Schulklasse sitzt ein Kind mit Burn-out. Wüssten alle Eltern und Großeltern, dass schon Kinder an Depressionen leiden können, würden die Betroffenen wohl früher professionelle Hilfen erhalten. Als Daumenregel gilt: Verhält sich ein Kind länger als vier bis sechs Wochen auffällig, ist es etwa lustlos, antriebslos, weint es oft, sollte es einem Arzt vorgestellt werden.

Zuhören und Nachfragen

Doch auch Eltern und Großeltern können viel tun. Ein Kind muss in seiner Not ernst genommen werden, aber bitte nicht erst, wenn es bereits erkrankt ist. Leider neigen Erwachsene immer noch oft zu der Meinung: Je kleiner ein Kind ist, desto kleiner sind seine Probleme. Anne spielte heute nur mit Lisa? Cem fand deine Jacke doof? Es gibt viel, das uns Erwachsenen banal erscheint. Doch nur weil es auf uns so wirkt, ist es das noch lange nicht. Der Schmerz ist vielleicht nicht geringer als der, der im Büro erlebt wird, weil die Chefin einen vor den Kollegen rundmacht.

Der Satz "Morgen ist das vergessen" verstärkt ihren Schmerz eher, als dass er beruhigt. Denn er signalisiert: Du wirst weder verstanden noch angenommen. Noch fieser ist ein "Jetzt lach doch mal". Dieser Satz spricht dem Kind seine Gefühle ab. Würde man das bei einem Beinbruch sagen? Wohl kaum. Bei einer tatsächlichen Depression verstärkt er die Symptome. Denn genau das, lachen, können diese Kinder nicht mehr. So sehr sie es auch selbst wollen. Was hingegen hilft, ist vorurteilsfreies und nicht bewertendes Zuhören und Nachfragen: "Wie geht es dir? Was beschäftigt dich? Und, wenn es etwas gibt, das dich bedrückt: Hast du eine Idee, wie du das lösen möchtest?"

Für dieses Zuhören sind Großeltern geradezu prädestiniert. Denn sie stehen außerhalb des engsten familiären Zirkels. Ein Vorteil etwa bei einer reaktiven Depression, die besonders oft durch die Trennung der Eltern ausgelöst wird. Ebenso bei Erschöpfungsdepressionen. Diese entstehen durch verinnerlichten Leistungsdruck, Schüler haben heute ein unglaubliches Arbeitspensum. Mit Schule und Hausaufgaben kommen viele auf 50 bis 60 Wochenstunden.

Erfolg ohne Leistungsdenken und Druck

Das Gute: Großeltern sind nicht primär für den schulischen Erfolg der Enkel verantwortlich, und sie sind kein Teil des täglichen Hamsterrads. In dem stecken nämlich auch viele Eltern. Auch sie leben permanente Höchstleistungen und werden so unbewusst zum Vorbild. Wer nichts leistet, hat verloren, das lernen Kinder heute von klein auf.

Großeltern können aber sagen: "Ich verstehe, dass dir die Schule wichtig ist, und ich halte das auch für einen guten Zug an dir." Sie können gemeinsam mit den Enkeln überlegen, wie die Kinder zwar einerseits ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden, aber dabei trotzdem achtsam mit ihren körperlichen und seelischen Bedürfnissen umgehen lernen. Dabei helfen schöne gemeinsame Erlebnisse – ohne Leistungsdenken und ohne Druck.

Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort, 63, leitet die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, hat zwei Kinder und ist Supervisor der kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis Paidion in Hamburg. Buch: "Familienjahre. Wie unser Leben mit Kindern gelingt" (Droemer, 19,99 Euro). 

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