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Ego-Talk: Wenn Menschen nur über sich reden

Ego-Talk: Zwei Leute mit Kaffee-Tassen in der Hand
© Grigoryeva / Shutterstock
Manche Menschen stellen zwar Fragen, doch die Antworten interessieren sie wenig. Lieber wollen sie selbst zum Thema reden. Unsere Autorin hat genug davon, neben Gesprächs-Entführern zu sitzen.

Einladungen meiner Freundin K. sind immer ein Highlight. Zwischen den unterschiedlichen Frauen aus ihrem sozialen Biotop fühle ich mich wie in einem bunten Garten, durch den sich ein munterer Redefluss zieht. An seinen Ufern gedeihen die verschiedensten Gewächse: Extrovertierte, die immer gerade von Kreta oder aus Paris angereist scheinen und frischen Wind in jede Konversation bringen; oder stille Pflänzchen, die sich nur mit etwas Geduld öffnen, dann aber fantastische Blüten treiben.

Ich habe an solchen Abenden schon die fruchtbarsten Gespräche erlebt. Es sei denn, ich wurde zum Essen neben Poison Ivy an den Tisch gepflanzt - neben einen menschlichen Gift-Efeu also, der heftige allergische Reaktionen hervorrufen kann.

Ja, schlimm, aber das ist NICHTS im Vergleich zu dem, was MIR neulich passiert ist ...

Diesen Typ Frau kennt fast jede, oft hat man selbst so eine als Freundin. Es dauert, bis man erkennt, dass sie trotz ihrer freundlichen Fragen nicht an Austausch interessiert ist. Ihr geht es um etwas anderes: um feindliche Gesprächsübernahme. Eine Erwiderung ist für sie nur eine Gelegenheit, jeden zarten Gesprächskeim unter ihren eigenen Satzranken zu ersticken. Auf toten Kommunikationsresten lebt sie so richtig auf.

Poison Ivy der Profi-Opfer? Die zwei Typen von Gesprächs-Entführern

Poison Ivy funktioniert wie eine Schlagwortsuchmaschine im Internet: Sie hört so lange (beziehungsweise so kurz) zu, bis ein Begriff kommt, an dem sie einhaken kann: "Männer! Also, das ist ja MEIN Thema ..." - und zwar NUR ihres. Gesteht an einem Frauenabend eine, sie würde sich nach einem liebevollen Lebenspartner sehnen, holzt Poison Ivy los: "Ach, sentimentaler Quatsch. Ich habe mehrere Liebhaber, kann ich dir nur empfehlen." Man kommt auf keinen grünen Zweig mehr.

Eine gemeine Unterart von Poison Ivy ist das Profi-Opfer: Wann immer eine Freundin erzählt, ihr wäre etwas Schlimmes zugestoßen, wird sie vom Profi-Opfer unterbrochen: "Ja, schlimm, aber das ist NICHTS im Vergleich zu dem, was MIR neulich passiert ist ..." Jemand wird gemobbt? Das Profi-Opfer ist gemobbter. Jemand wurde verlassen? Das Profi-Opfer kennt eine, die verlassen UND finanziell ruiniert wurde. Ein nahestehender Mensch ist sehr krank? Das Profi-Opfer kennt einen, der noch kränker ist. Oder tot. Toter als alle anderen. Oder prominenter. Am besten beides. Damit geht der Vortrag dann ungefragt weiter zu dem Film, den man ihrer Meinung nach gesehen haben muss, weil darin auch einer stirbt. Und alle anderen fragen sich stumm, ab welcher Generation die Evolution endlich Lider für die Ohren hervorbringen wird.

Respekt fängt beim Zuhören an

Ein gutes Gespräch ist ein schützenswertes Gebiet, in dem Worte, Empathie, Humor, Feingefühl, Wein und Vertrauen ihren Platz finden können. Andere zum Reden bringen zu können, sodass sie sich gehört und verstanden fühlen, ist eine wunderbare Eigenschaft, die leider auf der roten Liste menschlicher Kommunikationsformen gelandet zu sein scheint.

Der Philosoph Wilhelm Schmid sagt:

Beim Älterwerden wächst das Bedürfnis nach Erzählen - gleichzeitig schwindet die Bereitschaft zuzuhören. Das ist so ein krasses Missverhältnis, dass dies in persönlichen Beziehungen, aber auch gesellschaftlich für Probleme sorgt. 

Tatsächlich liegt genau hier die Wurzel vieler Kommunikationsprobleme unserer Zeit: Wir hören nicht mehr zu, um zu verstehen, sondern um selber antworten zu können. Ohne Rücksicht auf den Geschichtsverlust der anderen. Denn wir sind nicht mehr neugierig auf das, was Mitmenschen zu sagen haben, weil wir glauben, es eh schon (besser) zu wissen. Im Extremfall kommt dann das dabei heraus, was Poison Ivy perfekt beherrscht: Conversation Hijacking, wie Amerikaner das Phänomen nennen, eine Gesprächs-Entführung.

Natürlich gibt es auch männliche Gesprächs-Entführer. Selbst wenn man sich kaum bis gar nicht kennt, reißen sie kurz nach der Vorstellung das Gespräch an sich: "Sorry, dein Name sagt mir jetzt gerade nichts, aber kennst du meinen Freund Hubert? Den Geschäftsführer von Wichtig-PR? ..." Der Unterschied ist nur: Männer tun erst gar nicht so, als würden sie etwas von einem wissen wollen.

Die, die es immer besser wissen

Leider kann man Kommunikationskillern, egal welchen Geschlechts, selten ins Gewissen reden. Sie haben keins. Andere Menschen sind für sie nicht Gesprächspartner, sondern Publikum ihrer Ego-Talkshow. Sie hauen, als wären sie auf Facebook, zu allem Kommentare raus - ob die nun zum Thema passen oder nicht.

Die giftigste Art unter den Gesprächsschlingpflanzen ist übrigens die Ratschlägerin: Jedes geäußerte Problem knüppelt sie nach drei Sätzen mit der frohen Botschaft nieder, man müsse doch "einfach nur" wahlweise die Ernährung auf vegan umstellen oder das Bett an die Nordwand, die alte Mutter oder die nervigen Kinder ein paar Wochen ignorieren oder sich von seinem Mann trennen.

Und während man noch sprachlos, unverstanden und verletzt schweigt, schwelgt die Ratschlägerin in dem stolzen Gefühl, einem so richtig auf die Sprünge geholfen zu haben. Was soll man dazu sagen? Man weiß es nicht mehr. Man nimmt sich nur plötzlich vor, auch den eigenen Sozialgarten mal wieder gründlich zu jäten. Bei der nächsten Einladung werde ich nicht mehr gelähmt neben Poison Ivy sitzen bleiben. Denn wo die ist, wächst kein gutes Wort mehr.

Brigitte WIR 06/2018

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