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Coronakrise: Wie gehe ich mit Verschwörungstheorien um?

Corona aktuell: Zwei Frauen unterhalten sich
© Antonio Guillem / Shutterstock
Selten waren so viele Verschwörungstheorien im Umlauf wie in der aktuellen Coronakrise. Warum das so ist und wie du mit Verschwörungstheoretikern in deinem Umfeld umgehen kannst.
  • "Die Coronakrise ist dazu da, das Bargeld abzuschaffen und die Impfpflicht durchzusetzen."
  • "Demokraten haben China beauftragt, das Virus in Umlauf zu bringen, um Donald Trumps Wiederwahl zu verhindern." 
  • "Und natürlich hat Bill Gates seine Finger im Spiel, weil er endlich den großen finanziellen Durchbruch in der Impfstoffbranche schaffen möchte."

Wenn ich solche Verschwörungstheorien lese, z. B. in sozialen Medien oder zweifelhaften Blogs und Portalen, bin ich in der Regel erstaunt, doch es lässt mich weitestgehend kalt. Höre ich davon von einem entfernten Bekannten oder einem Kollegen, der wirklich an das glaubt, was er mir erzählt, überrascht und bewegt mich das zumindest ein bisschen. Wenn jedoch eine Person, die mir nahesteht, beispielsweise meine Mutter, Schwester oder beste Freundin, von einer Verschwörungstheorie überzeugt ist, fühlt sich das für mich in etwa so an wie ein Schlag in die Magengrube – tut also ganz schön weh. 

Warum ist die Coronakrise so ein guter Nährboden für Verschwörungstheorien?

Zur Coronakrise gibt es zahlreiche Verschwörungstheorien und das sogar aus unterschiedlichen politischen Lagern. Während rechts orientierte Menschen eher dazu neigen, das Virus als Komplott gegen Trump zu sehen oder als Mittel, den weltweiten Kommunismus einzuführen, meinen manche Linken, es solle der ohnehin drohende Kollaps des Kapitalismus vertuscht und mithilfe der staatlichen Unterstützungen ein neues kapitalistisches System etabliert werden, in dem große Konzerne noch mehr Macht und Geld haben, während kleine Unternehmen gar keine Rolle spielen. Gemeinsam haben sämtliche Theorien vor allem eines: Sie liefern eine Erklärung für diese Krise und benennen einen Schuldigen (oder mehrere). Sie vereinfachen die aktuelle Situation und ordnen das derzeitige Chaos. Und genau das macht es für viele Menschen so reizvoll, daran zu glauben.

Umgang mit Verschwörungstheoretikern

1. Verstehen

"Verschwörungstheorien sprechen insbesondere diejenigen Menschen an, die schlecht mit Unsicherheit und Ambivalenz umgehen können", erklärt der Amerikanist Michael Butter, der im Rahmen seiner Arbeit über Verschwörungstheorien forscht, im Interview mit "Deutschlandfunkkultur". "Ganz offensichtlich ist es so, dass es für viele Menschen einfacher ist zu akzeptieren, dass jemand Böses im Hintergrund die Strippen zieht, als zu akzeptieren, dass niemand die Strippen zieht, und die Dinge einfach so passieren und sich auch nicht immer klar in gut und böse unterteilen lassen."

Wer an Verschwörungstheorien glaubt, sei Butter zufolge außerdem nicht unbedingt psychisch krank. "Verschwörungstheorien sind viel zu weit verbreitet, als dass man das als Paranoia oder Psychose abtun könnte", so der Experte. Ebenso kann und sollte man Anhänger von Verschwörungstheoretikern nicht einfach als "dumm" abtun. Viele stoßen zum Beispiel überhaupt erst dadurch auf ihre alternativen Gedankenkonstrukte, dass sie Dinge kritisch hinterfragen und Antworten suchen, die anderen Leuten vielleicht nicht einmal fehlen. Was ein Mensch glaubt oder bezweifelt, lässt keine Rückschlüsse auf seine Intelligenz zu – deshalb wird es auch in IQ-Tests in der Regel nicht abgefragt. 

2. Respekt wahren

Besonders vor diesem Hintergrund sollten wir weder (ver)urteilen, noch den Respekt verlieren oder enttäuscht sein, wenn uns jemand mit einer Verschwörungstheorie konfrontiert – gerade in einer so verrückten Zeit wie der Coronakrise, in der selbst seriöse Politiker*innen und ausgewiesene Expert*innen regelmäßig ihre Meinung ändern. Das Bedürfnis nach Antworten, Sicherheit und Kontrolle ist bei vielen Menschen gerade einfach riesengroß – und das ist überhaupt keine Schande. Außerdem: Wie wollen wir mit einem Verschwörungstheoretiker konstruktiv und auf Augenhöhe sprechen und ggfs. positiv auf ihn einwirken, wenn wir ihn nicht respektieren? Sofern wir das überhaupt möchten ...

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3. Drauf eingehen oder ignorieren?

Grundsätzlich müssen wir mit Menschen, die an eine Verschwörungstheorie glauben, gar nicht diskutieren. Es ist nicht unsere Aufgabe, andere zu bekehren, belehren oder aufzuklären – genauso wenig wie sie beispielsweise von unserer Meinung zu überzeugen. Einfach das Thema zu wechseln, ist absolut legitim. Gerade bei Personen, die uns sehr nahestehen, sollten wir sehr genau abwägen und überlegen: Ist das Thema es wert, dass wir uns dazu auseinandersetzen? Könnte es unter Umständen zwischen uns stehen, wenn wir es nicht tun? Oder würde die Auseinandersetzung unsere Beziehung nur unnötig belasten? Besonders mit Verwandten aus einer älteren Generation, z. B. Eltern, Großeltern usw., kann es waaaahnsinnig schwer sein zu diskutieren, denn oft sehen sie sich aufgrund ihrer Lebenserfahrung per se im Recht ...

4. Fragen statt streiten

Wenn wir uns allerdings für eine Auseinandersetzung entscheiden, sollten wir vor allem durch Fragen versuchen, unseren Gesprächspartner zum Zweifeln und Reflektieren anzuregen. Butter rät im Deutschlandfunkkultur-Interview: "Auf jeden Fall darf man da nicht sagen, nein, das stimmt nicht, das ist eine Verschwörungstheorie, und so und so ist es, und du glaubst das aus dem und dem Grund, sondern man sollte dann eher offen sein. Man sollte Fragen stellen, man sollte bei Details einhaken, sollte versuchen, dass die Leute ihre eigene Argumentation vielleicht beginnen zu hinterfragen und auf Widersprüche aufmerksam werden." Ebenso kann die Frage nach der genauen Quelle sinnvoll sein. Direkte und offensichtliche Widerlegungsversuche lösen dagegen oft Widerstand aus und festigen Personen in ihrer Meinung und Position. Auch Spott und Ironie sind absolut kontraproduktiv – denn damit verunsichert man sein Gegenüber nur noch.

Also alles ganz einfach ... oder?

Verstehen, respektvoll bleiben, sich nicht automatisch als Aufklärer zuständig fühlen und durch clevere Fragen zum eigenen Hinterfragen bringen – zugegeben: Das ist leichter gesagt als getan! Mich nervt und ängstigt es jedenfalls trotzdem extrem, wie viele Menschen generell und besonders aktuell an Verschwörungen glauben. Schließlich bin ich zu allem Überfluss selbst total verunsichert. Immerhin: Diese Vielen kann ich aus meinem Alltag weitestgehend ausblenden (solange sie nicht irgendwelche Proteste anzetteln oder extremistische Parteien in Regierungen wählen ...). Doch bei denen, die ich liebe, muss ich mich zum Teil seeehr zusammenreißen, um meinen Impuls zu unterdrücken, sie zu schütteln oder anzuschreien, wenn sie mich davor warnen, dass der Staat mich nun anhand von bargeldloser Zahlung und Impfnotwendigkeit kontrolliere. Aber was bleibt mir anderes übrig? Schütteln und motzen hilft nun einmal nicht gegen Unsicherheit. Lächeln, Handhalten, in den Arm nehmen und Dasein wiederum schon. Und: Davon gehen meistens auch meine Magenschmerzen relativ schnell wieder weg ...

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