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Psychologin Christine Syrek verrät So wichtig ist Urlaubsvorfreude

Frau im Sonnenstuhl lacht
© Rido / Adobe Stock
Ob wir uns im Urlaub erholen, hängt auch davon ab, mit welchen Erwartungen wir losfahren. Psychologin Christine Syreküber Ferien zwischen Zumutung und Allheilmittel.

BRIGITTE: Eine Bekannte sagte neulich, für sie sei Urlaub eher Stress und am liebsten würde sie zu Hause bleiben. Andere sehnen die Urlaubsreise als schönste Zeit des Jahres herbei. Was machen diese Erwartungen mit uns?

Prof. Dr. Christine Syrek: Positive Erwartungen und Vorfreude sind extrem wichtig. Wir haben eine Studie dazu gemacht und Personen, die sich in den Wochen vor dem Urlaub besonders darauf freuen, erholen sich auch besser und profitieren mehr vom Urlaub. Es ist eine Art sich selbst erfüllende Prophezeiung. Mit einem negativen Mindset werde ich immer etwas finden, das mich bestätigt – und sei es der Vogel, der morgens zu laut vor dem Fenster singt. Wenn ich den Urlaub positiv gestimmt angehe, bin ich dagegen offener und werde auch Schönes entdecken.

Aber kann man es mit der Erwartung nicht auch übertreiben?

Natürlich. Auf einer Skala von "Ich erwarte gar nichts" bis "Das wird der Urlaub meines Lebens" sind Werte im mittleren bis oberen Bereich am günstigsten für die Erholung. Denn wenn ich diesem einen Urlaub, der jetzt alles richten soll, was sonst schiefläuft oder fehlt im Leben, zu viel Gewicht gebe und es passiert etwas Unvorhergesehenes – das Gepäck kommt nicht mit im Flugzeug oder ein Zug fällt aus –, dann besteht die Gefahr, dass ich sofort ins Katastrophieren komme und mir sage: So, das war’s jetzt. Das Gleiche gilt, wenn ich mich durch die 100 Fotos, die es online vom Hotel gibt, und die 100 Rezensionen zu sehr auf etwas versteife. Ich sehe mich dann zum Beispiel in genau diesem Liegestuhl an genau diesem Infinitypool sitzen und verzweifle, wenn die Realität dann nicht eins zu eins dieser Vorstellung entspricht.

Zu verbissen sollte man die Sache demnach ebenfalls nicht angehen.

Prof. Dr. Christine Syrek
Prof. Dr. Christine Syrek ist Psychologin und Professorin an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Sie forscht zu Erholung und Stress.
© Christian Liepe / PR

In vielen Bereichen ist es richtig und motivierender, sich möglichst konkrete Ziele zu setzen und diese genau auszuformulieren. Im Urlaub aber ist die Sache ein bisschen anders gelagert. Da geht es eher um allgemeinere Erwartungen, dass es schön werden und man neue Erfahrungen machen wird.

Zu den hohen Erwartungen gehört also auch Flexibilität ins Gepäck.

Genau. Sich überraschen zu lassen, ist ganz wichtig. Sogenannte Mastery Experiences sind entscheidend für die Erholung und produzieren oft die schönsten Erinnerungen. Also, dieses Raus aus der eigenen Komfortzone, mal etwas machen, womit man nicht gerechnet hat, mal mit dem Koch oder anderen Menschen ins Gespräch kommen, sich in einer fremden Stadt ein bisschen verlaufen und so neue Dinge entdecken. Es ist gut, sich diese Offenheit zu bewahren. Das setzt noch mal mehr Ressourcen frei, aus denen man nicht nur im Urlaub, sondern auch zurück im Alltag schöpfen kann.

Viele starten allerdings so gestresst in den Urlaub, dass sie sich über Unvorhergesehenes eben nicht freuen können, sondern dann komplett zusammenklappen.

Das passiert oft, wenn wir die Erholung nur auf den Urlaub schieben. Dabei gibt es noch andere Erholungszeiträume, und die sollten wir auch nutzen: Feierabend, Wochenende, Mittagspause. Die Haltung "Nur in diesem einen Jahresurlaub kann und darf ich mich erholen" ist schwierig. Insbesondere wenn es dann auch noch ein sehr langer Urlaub ist und ich mir völlig unrealistische Erwartungen setze, was ich vorher alles noch erledigen muss.

Das kenne ich auch. Trotz aller Vorfreude habe ich oft einen Moment, an dem ich angesichts der tausend Dinge, die ich zu tun habe, bevor es losgeht, denke "Eigentlich kannst du gar nicht fahren".

Wir alle haben ein Bedürfnis nach kognitiver Geschlossenheit. Es geht uns besser und wir können besser abschalten, wenn wir Dinge abschließen. Aber der Preis dafür darf nicht sein, dass ich aus dem letzten Loch pfeife, den Urlaub dann nicht genießen kann und frustriert nach Hause komme. Etwa jeder Zehnte wird im Urlaub sogar erst mal krank, weil der Stresshormonspiegel vorher so hoch war, dass man nun quasi auf Entzug ist und darum anfälliger für Krankheiten.

Was also hilft?

Sich zu hinterfragen: Was muss wirklich vorher fertig sein? Bei welchen Dingen wäre es zwar schön, sie vom Tisch gehabt zu haben, aber ist es letztendlich auch egal. Natürlich halten wir uns alle für unverzichtbar, aber in den meisten Fällen hängen eben nicht Leben und Tod davon ab, wenn Dinge liegen bleiben. Da sollten wir gnädiger mit uns sein.

Und was hilft, um dann nicht im Urlaub immer wieder zu denken: "Das hätte ich doch eigentlich noch machen wollen"?

Sich die Dinge notieren. Das klingt banal, aber es hilft wirklich. Etwas, das ich schriftlich festhalte – für die einen reicht da ein Stichwort, für die anderen muss es etwas konkreter sein –, kann ich gedanklich loslassen. Es ist auch in Ordnung, sich im Urlaub eine Notiz zu machen, wenn einem etwas Wichtiges einfällt, etwa mit einem kleinen Heft, das dann in die Schublade wandert, oder einer dieser "To do"-Apps. Man muss sich bloß am Riemen reißen, dass man sich ums Umsetzen erst nach dem Urlaub kümmert. Eine Ausnahme würde ich da nur machen, wenn es wirklich schnell zu erledigen ist und ich danach den Kopf wieder frei habe.

Die meisten Menschen fahren nicht allein in den Urlaub. Was ist, wenn Erwartungen auseinandergehen? Ein Kollege meinte mal, Urlaub mit Kindern sei gar kein Urlaub.

Wenn man die Erwartungshaltung hat, dass man sich auf die gleiche Art und Weise erholt wie vor den Kindern, nämlich indem man entspannt in der Sonne döst, haut das natürlich nicht hin. Aber zum Glück wissen wir aus der Erholungsforschung, dass man sich nicht nur über passive Aktivitäten erholt, sondern auch, indem man aktiv Ressourcen aufbaut. Im Urlaub haben Familien die Chance, gemeinsame Erlebnisse zu schaffen, und daraus lässt sich ganz viel Stärke in den Alltag mitnehmen. Natürlich kostet diese aktive Erholung auch ein bisschen Energie. Auch deswegen ist es nicht gut, wenn ich eigentlich schon nicht mehr kann, bevor es überhaupt losgeht.

Was raten Sie?

Vorher mit allen darüber zu reden und sich einen Plan zu machen. Wenn zwei Erwachsene dabei sind, kann man sich fragen, ob man wirklich immer alles zusammen machen muss. Der Anspruch "Jetzt ist Familienzeit" ist ja nicht gesetzt. Jeder, der Erholung im Sinne von Entspannung braucht, kann dafür ein Zeitfenster bekommen. Oder es fährt sowieso nur einer mit den Kindern. Wenn ich mit der Grundhaltung mitkomme, dass es sowieso ultra anstrengend wird, setzt direkt ein Priming Effekt ein. Dann bin ich schon im Zug die Erste, die keine Lust mehr hat und total genervt ist, weil ich ja wusste, dass es schrecklich wird. Und selbst wenn das Kind mal eine halbe Stunde Hörbuch hört, denke, das kann ja nicht lange gut gehen. In Sachen Erholung bekommt man ein Stück weit das, was man erwartet.

So erholst du dich richtig

Erholung ist sehr individuell. Was die eine zum Auftanken braucht, stresst die andere. Grob gesagt, regenerieren wir am besten mit dem, was im Kontrast zum Alltag steht. Die folgenden sechs Faktoren tragen zur Erholung bei. Am erholsamsten ist der Urlaub, wenn möglichst viele von ihnen erfüllt sind.

Entspannung

Für viele ist sie das Synonym für Erholung. Entspannung lädt unseren leeren Akku oft gut wieder auf, neue Ressourcen aber bauen eher die aktiveren Faktoren auf.

Herausforderung

Dazu gehört alles, was uns aus der Komfortzone und dem Gewohnten bringt. Das kann das große Abenteuer sein, aber auch ein neues Gericht zu probieren.

Gedankenfreiheit

Um sich gut zu erholen, ist es wichtig, vom Job abschalten zu können und den Kopf wirklich frei zu kriegen.

Sinn

Etwas zu tun, das für uns wichtig ist und Bedeutung hat, ist extrem erholsam.

Verbundenheit

Sich anderen Menschen nah und mit ihnen verbunden zu fühlen, fördert ebenfalls die Regeneration.

Selbstbestimmung

Egal, wie der Urlaub aussieht – wir sollten selbst entscheiden können, was wir wann tun. Selbstbestimmung bedeutet ein großes Erholungs-Plus.

Brigitte

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