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Mary Scherpe und ihr Leben mit einem Stalker

Mary Scherpe und ihr Leben mit einem Stalker
© Christian Werner
Die Mode-Bloggerin Mary Scherpe verdient ihr Geld im Internet. Bis ein Stalker sie im Netz verfolgt. Doch sie findet eine ungewöhnliche Lösung.

Das Kabinett hat am 13. Juli 2016 den Gesetzentwurf "zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen" von Bundesjustizminister Heiko Maas beschlossen. Der Entwurf schließt eine Lücke im Strafrecht, die dazu geführt hat, dass Stalker nur in Ausnahmefällen bestraft wurden.

Mary Scherpe hat sich lange dafür eingesetzt

Ein prominentes Stalking-Opfer ist die Mode-Bloggerin Mary Scherpe. Seit Jahren kämpft sie dafür, dass Stalker zur Rechenschaft gezogen werden können. Dafür hat sie eine Online-Petition ins Leben gerufen, die fast 90.000 Mal unterschrieben wurde.

Das ist ihre Geschichte

Die Berlinerin betreibt die sehr erfolgreiche Website Stil in Berlin. Daher trifft es sie umso härter, als ein Stalker beginnt, sie im Netz zu verfolgen. Er eröffnet Instagram- und Twitter-Accounts unter ähnlichem Namen und lässt die Menschen glauben, Mary Scherpe hätte die Beleidigungen darauf veröffentlicht. Dazu kommen wüste E-Mails, ständige SMS und Anrufe. Und Paketsendungen mit Produkten, die sie nie bestellt hat.

Mary Scherpe geht zur Polizei, spricht mit Anwälten. Doch gegen Stalker vorzugehen, ist ein mühsamer Prozess, bei dem sie sich bald ohnmächtig fühlt.

Statt sich zurückzuziehen, wie viele es ihr raten, leistet sie Widerstand. Sie dokumentiert alle Attacken des Stalkers auf dem Blog EigentlichjedenTag, den sie extra dafür einrichtet. Und der Stalker erhält auf einmal mehr Aufmerksamkeit, als ihm recht ist. Anfangs schreibt er weiter SMS, ruft an und schickt Post. Doch es wird weniger. Vorbei ist es trotzdem nicht. Immer, wenn sie glaubt, dass er aufgehört hat, liegt wieder Post im Briefkasten.

Scherpe hat ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben: "An jedem einzelnen Tag: Wie ich mich gegen einen Stalker wehre" (Bastei Lübbe, 14,99 Euro).

Das Interview von 2014 erklärt, was Stalking-Opfer erleben und worum es bei der Gesetzesänderung geht:

BRIGITTE: Seit Jahren werden Sie von einem Stalker verfolgt. Ganz spontan: Welche Frage, die Ihnen seitdem gestellt wurde, nervt Sie am meisten?

Mary Scherpe: Wahrscheinlich die: "Was glauben Sie, wie er auf das Buch reagiert?". Aber nicht, weil ich sie nicht nachvollziehen könnte, sondern weil ich mich selbst mittlerweile so weit davon entfernt habe, zu überlegen, was er jetzt über das, was ich mache, denkt. Es war für mich ganz wichtig, mich aus dieser Spirale heraus zu bewegen, nur darüber nachzudenken, was er als nächstes tut.

Abgesehen vom Stalking selbst - was hat Sie noch verletzt?

Das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Mit meinem Anliegen immer wieder gegen Wände zu laufen, sei es aus Unverständnis, sei es aus schierer Hilflosigkeit.

Sie haben vielfach mit Social-Media-Plattformen wie Instagram und Twitter sowie mit der Polizei und Anwälten Kontakt gehabt, um sich zu wehren. Wer Ihr Buch liest, spürt vor allem die Ohnmacht, weil Ihnen so wenig geholfen wurde. Wie sind Sie damit umgegangen?

Es hat mich immer wieder sehr zurückgeworfen in dem, was ich selber über das Stalking gedacht habe. Jede Absage, jede Zurückweisung hat erstmal dazu geführt, dass ich mein Recht, mich zu beschweren, mein Recht, mich zu wehren, angezweifelt habe. Weil ich das als Herabsetzung der Schwere meines Problems begriffen habe. Ich musste erst das Selbstbewusstsein finden, mein Problem vor anderen zu verteidigen und für mein Leid einzustehen.

Auf Ihrem Blog EigentlichjedenTag haben Sie alles dokumentiert. Was hat dieser Schritt bei Ihnen verändert?

Allein schon die Idee hat mir geholfen, weil ich gespürt habe, dass es ein Schritt aus der Hilflosigkeit war. Denn so konnte ich endlich aktiv werden und hatte das Gefühl, meine Lage wieder besser kontrollieren zu können. Ich musste das nicht mehr allein ertragen, sondern konnte zwischen mich und den Stalker diese neue Wand schieben. Ich hatte mit dem Blog ein Ventil, eine Möglichkeit, alles von mir abzuwenden. Das hat mir mehr Freiheit im Denken und im Fühlen verschafft.

Mit einer Online-Petition wollten Sie erreichen, dass Stalking vom "Erfolgsdelikt" zum "Eignungsdelikt" geändert wird. Was bedeutet das?

Im Moment sagt das Gesetz, dass Nachstellung erst dann gegeben ist, wenn beim Opfer "schwerwiegende Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung" erkennbar sind. Diese Formulierung ist natürlich schwammig. Nach verschiedenen Urteilen hat es sich etabliert, unter dieser Beeinträchtigung einen Wohnungswechsel, einen Arbeitsplatzwechsel oder -verlust und die Angst, das Haus zu verlassen, zu verstehen. All dies muss vom Opfer glaubwürdig vorgebracht und nachgewiesen werden, ansonsten kann man mit einer Anzeige kaum Erfolg haben. Das heißt, Stalking ist im Moment ein "Erfolgsdelikt", es muss ein bestimmter "Erfolg" der Tat gegeben sein, damit sie verfolgbar wird. Das ist ein massives Problem in der Rechtsprechung. Es legt die Verantwortung in die Hände der Opfer, statt die Taten des Stalkers zu bewerten. Die Änderung zu einem "Eignungsdelikt", bei dem die Taten "lediglich" geeignet sein müssen, um die Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen, wird seit Jahren gefordert.

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