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Mental Talk mit Anna Kunze "Schizophrenie ist eine seelische Behinderung"

Mental Talk mit Anna Kunze : "Schizophrenie ist eine seelische Behinderung"
© Salim Hanzaz / Shutterstock
Mobbing, Depressionen, Schizophrenie und zwei Suizidversuche: Mit Mitte 20 hat Anna Kunze schon viel erlebt. Heute klärt die junge Frau andere über ihre Erkrankung auf. Ihr Ziel: Sie will die öffentliche Stimme der Schizophrenen werden. Mit der Interviewreihe will BRIGITTE psychische Erkrankungen entstigmatisieren.

Mit 16 Jahren hört Anna Kunze während des Badputzens Stimmen – doch niemand ist zu Hause. Eine Horrorvorstellung, die real wird. Anna hat panische Angst und versteht die Welt nicht mehr. Mit 19 erhält sie die Diagnose paranoide Schizophrenie. Anna ist geschockt, denkt, ihr Leben sei nun vorbei, wie sie im "Mental Talk"-Gespräch erzählt.

In der Psychiatrie hätte sie sich eine Genesungsbegleiterin gewünscht, die ihr zeigt, dass man mit der psychischen Erkrankung leben kann. Anna findet sich in Kliniken wieder, macht zwar ihr Abitur, bricht dann aber ihr Studium ab und hat keine Jobperspektive.

Anna erlebt Wahnvorstellungen und Halluzinationen

Als Schizophrene fällt man durch das Raster. Das Jobcenter schickt Ann in eine Werkstatt für Behinderte. Sie fühlt sich unterfordert; sie könne doch viel mehr. Heute klärt Anna über Schizophrenie auf, denn es gibt etliche Vorurteile.

BRIGITTE: Wie würdest du Außenstehenden deine Erkrankung beschreiben?
Anna Kunze: Es gibt da mich, meinen Empfindungen, Gefühle und Eindrücke, die mir vertraut sind. Dann ist da die Erkrankung – ein Teil von mir, den ich nicht kenne. Ich höre oder sehe Dinge und bin überzeugt davon, dass sie wahr sind. Es kam zum Beispiel schon mal vor, dass ich eine Türklingel gehört habe, mein Partner aber nicht. Als er mir das sagte, merkte ich erst, dass mir mein Gehirn mal wieder einen Streich gespielt hat.

Mit 19 Jahren bekam Anna Kunze die Diagnose Schizophrenie.
Mit 19 Jahren bekam Anna Kunze die Diagnose Schizophrenie.
© privat

Hinzu kommen Wahnvorstellungen. Das sind Gedanken, die bei mir oft mit der Angst vor Verfolgung, Kontrolle oder Manipulation zu tun haben. Von denen kann man mich nur schwer abbringen. Ich denke dann zum Beispiel, dass meine Wohnung verwanzt sei. Wenn mein Partner sagt, dass das nicht stimmt, denke ich im Wahn, dass er mit "denen" unter einer Decke steckt und misstraue ihm.

Welchen Vorurteilen in Bezug auf Schizophrenie bist du schon begegnet?
Ich werde oft gefragt, wie viele Persönlichkeiten ich habe. Das ist aber eine ganz andere Erkrankung.

Was viele nicht wissen: Es gibt neben körperlichen und geistigen Behinderungen auch seelische Behinderungen – die Schizophrenie ist eine davon.

Außerdem ist nicht jeder der Stimmen hört schizophren. Die akustische Halluzination kann auch bei anderen Erkrankungen auftreten. Viele denken, dass Schizophrene gewaltbereiter sind. Die Gewalt wenden Betroffene aber eher gegen sich selbst.

Es herrscht auch das Vorurteil, dass schizophrene Menschen nicht richtig arbeiten können. Viele werden dann in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt oder erhalten die Frührente. Es gibt aber auch viele Gegenbeispiele, bei denen es klappt und die sogar studieren.

Mit circa 14 Jahren hattest du deinen ersten Selbstmordversuch und Psychiatrieaufenthalt – damals wegen einer Depression.
2009 ist meine Oma, die mir sehr nahe stand, gestorben. Zeitgleich wurde ich in der Schule und nach Schulschluss im Internet extrem gemobbt. Beides belastete mich so sehr, dass ich erst angefangen habe, mich selbst zu verletzen und später versucht habe, mich mit Tabletten umzubringen. Es ist zum Glück nichts passiert. Meine Mutter hat mich dann in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen. Ich habe danach dann die Schule gewechselt. Seitdem bin ich durchgängig in Therapie.

Anna hört Stimmen, doch es ist keiner zu Hause

Die ersten schizophrenen Symptome hattest du mit 16. Du hast beim Badputzen auf einmal Stimmen gehört.
Das waren Frühwarnsymptome. Die treten Jahre vor dem Ausbruch der Schizophrenie – im sogenannten Prodromalstadium – auf. Als ich gemerkt habe, dass keiner zu Hause war, hatte ich totale Angst. Ich wusste überhaupt nicht, was mit mir los war. Ich habe auch jetzt immer noch Angst, wenn ich Stimmen höre. Zuletzt habe ich sofort meine beste Freundin angerufen, weil ich eine reale Stimme brauchte, um mich abzulenken.

Mit 19 Jahren hast du dann die Diagnose Schizophrenie bekommen. Warst du erleichtert oder geschockt?
Einerseits war ich geschockt, andererseits war es irgendwie beruhigend. Ich habe dann Medikamente bekommen, wodurch die Symptome besser wurden. Ich habe viel über die Erkrankung gelesen und habe erfahren, dass sie mit Therapien und Medikamenten gut behandelbar ist. Das hat mir Hoffnung gegeben. Nicht jede Schizophrenie verläuft chronisch. Ich gehöre zu dem Drittel, bei dem eine Psychose phasenweise vorkommt, aber auch wieder weggeht.

Behindertenwerkstatt: Anna fühlt sich wie eine Versagerin

In deiner schwersten Krise, als du acht Monate in der Klinik warst, hast du dir eine Genesungsbegleiterin gewünscht, die dir deine Erkrankung besser erklärt und dir die Gewissheit gibt, dass alles wieder gut wird.
Genesungsbegleiter sollen zwar vermehrt in Kliniken eingesetzt werden, aber die Realität sieht komplett anders aus. In der Klinik hat man ein- bis zweimal die Woche Visite für wenige Minuten und wenn man Glück hat, einmal wöchentlich ein psychologisches Gespräch. Den Rest der Zeit ist man größtenteils auf sich gestellt.

Mit 18 Jahren dachte ich, dass ich unheilbar krank bin und mein Leben vorbei sei. In dieser Zeit hätte ich gerne jemanden gehabt, der mir zeigt, dass man mit einer Schizophrenie leben kann.

Du hast eine Perspektive gebraucht, bist aber durchs Raster gefallen …
Total, ich war monatelang in Kliniken. Ich musste das Studium abbrechen, meine Ausbildung wurde gekündigt, beim Bundesfreiwilligendienst schaffte ich das Pensum ebenfalls nicht. Vom Jobcenter hieß es später, dass ich krank sei und in eine Werkstatt für Behinderte müsse. Die Arbeitstherapie hat mich unterfordert. Ich habe mich wie eine Versagerin gefühlt. Dabei habe ich ein sehr gutes Abitur und habe soziale Arbeit studiert.

Ehrenamtliche Arbeit schafft Perspektiven

Was hilft dir, mit der Erkrankung besser umzugehen?
Bei der Psychoedukation habe ich viel über meine Erkrankung gelernt. Beim metakognitiven Training wurde mir dann beigebracht, meine psychotischen Gedanken zu hinterfragen. Zum Beispiel: Wie wahrscheinlich ist es, dass der Bundesnachrichtendienst hinter mir her ist? Das ist natürlich sehr unwahrscheinlich. Außerdem habe ich einen Krisenpass, auf dem die Nummer meiner Therapeutin und von der Klinik steht. Was mir auch guttut, ist der Austausch mit anderen und meine ehrenamtliche Arbeit in zwei Vereinen.

Genau, du hast das Selbsthilfenetzwerk EX-IN LV Sachsen e.V. mitgegründet und gehst für das Projekt "Verrückt? Na und!" in Schulklassen, um über Mobbing aufzuklären. Woher kam bei dir dieser Entschluss?
Teenager sind die Zielgruppe, die ich erreichen möchte. In dem Alter wurde ich gemobbt und wurde psychisch krank. Ich will Jugendlichen klarmachen, was Mobbing auslösen kann und dass es im schlimmsten Fall Leben zerstören kann.

Ich möchte die Stimme der Schizophrenen sein. Viele trauen sich nicht, in der Öffentlichkeit darüber zu reden, weil man schnell abgestempelt wird.

Gerade mache ich zudem eine Ausbildung zur Genesungsbegleiterin. Ich möchte gerne andere unterstützen.

Annas Lebensziele: Hochzeit und Ausbildung abschließen

Du hast eine sogenannte Löffelliste, die du nach deinem zweiten Suizidversuch geschrieben hast. Was genau ist das?
Die Idee stammt aus dem Film "Das Beste kommt zum Schluss". Da lernen sich zwei kranke Männer im Krankenhaus kennen, die noch Dinge erleben wollen, bevor sie den Löffel abgeben. Ich habe mir also bestimmte Lebensziele gesetzt, die ich noch erreichen möchte. Das ist ein Anreiz, um in schwierigen Phasen weiterzumachen.

Welche Wünsche oder Ziele hast du noch für die Zukunft?
Einer der schönsten Momente meines Lebens war, als ich die Nordlichter auf Island gesehen habe. Was ich noch machen will? Ich möchte definitiv heiraten und meine Ausbildung zur Genesungsbegleiterin abschließen.


Verwendete Quellen: eigenes Interview

Brigitteonline

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