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Am Existenzminimum leben - und es vertuschen

Am Existenzminimum leben - und es vertuschen: Frau mit leerem Geldbeutel
© Doucefleur / Shutterstock
Nicole Fischer*, 49, krebst als freie Mode- und Beauty-Journalistin am Existenzminimum herum. Das soll nur keiner wissen.

Auf ihren Posts sieht sie selbstbewusst und strahlend aus. Besucht Fashion-Events, macht Selfies mit Influencern, trägt Trend-Teile, als wären sie ihr auf den Leib geschneidert. Sie reist und lässt es sich an Strand und Pool gut gehen. Diese Frau – das bin ich. Was keiner sieht: Es ist nur das Becken des örtlichen Freibads, gut fotografiert. Die Dünen sind an der Ostsee und das blaue Edelkleid Secondhand. Pardon: Vintage. Als freie Journalistin für Mode und Beauty muss ich mein Image in den sozialen Netzwerken pflegen, das ist ein Teil meines Jobs. Die Wirklichkeit sieht leider anders aus.

Der tägliche Kampf um Aufträge

Es gab Zeiten, in denen ich auch mal fünfstellig im Monat verdiente. Lange her, die Honorare sinken, der einst so sichere Job ist ein täglicher Kampf um Aufträge. Aber meine Verzweiflung darf keiner sehen. Die Momente, in denen ich mit großer Sonnenbrille am Geldautomaten stehe und hoffe, dass er es gut meint. Mittlerweile kenne ich alle Tricks. Ich spare an Lebensmitteln. Ein paar Nudeln und Pesto. Brühe, geht auch. Meine Rechnungen zahle ich oft erst bei der dritten Mahnung.

Mein Privatleben leidet darunter, klar. Denn Freundeskreis, Kollegen, Auftraggeber: Das überlappt bei mir oft sehr. Weiß jemand, wie es hinter der Fassade aussieht, wissen es bald alle. Daher sage ich Verabredungen häufig mit Ausreden ab. Essen gehen, Gastgeschenke – das braucht zu viel von meinem Budget für Miete, Strom, Telefon auf. Ehrlichkeit ist keine Option, ich würde mir damit beruflich schaden. Der strahlenden Frau auf Instagram, der gibt man Aufträge. Nicht der ängstlichen, die verschämt und weinend am Geldautomat steht. Aber es ist ein täglicher, innerer Balanceakt, der viel Kraft kostet. Manchmal, wenn ich wieder allein zu Hause eine Brühe löffele, frage ich mich, wie lange ich noch so weiter machen kann und will.

*Name von der Redaktion geändert

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BRIGITTE 22/2019

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