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Es ist kompliziert Warum ich gewisse Menschen oft nicht sehen möchte, obwohl ich sie mag

Bild einer Frau in einer Herbstlandschaft
© MaryAnn / Adobe Stock
Wenn wir einen Menschen mögen, sind wir gerne mit ihm zusammen. Oder ist es doch etwas komplizierter? Für manche Leute vielleicht nicht – für unsere Autorin aber schon.

In meiner Vorstellung ist es ganz einfach: Ich mag einen Menschen, bin eng mit ihm befreundet oder in sonstiger Weise verbunden, also muss ich doch sicherlich gerne Zeit mit ihm verbringen. Muss mich auf Verabredungen mit ihm freuen, mich regelmäßig bei ihm melden und ihm signalisieren, wenn ich frei bin und etwas unternehmen möchte. Dieser Vorstellung habe ich zu verdanken, dass ich in der Realität immer wieder erstaunt und irritiert bin und mich selbst frage: Was ist eigentlich dein verdammtes Problem?

Generell würde ich mich eher als introvertiert einstufen und für mich bedeutet das in etwa Folgendes: Ich weiß, wie es sich anfühlt, zu viel unter Menschen zu sein, kenne aber nicht das Gefühl, zu viel allein zu sein. Ich achte in meiner Freizeitgestaltung stärker darauf, dass ich genügend Zeit für mich habe, als dass ich mich oft genug verabrede. Weil ich aus Erfahrung weiß: Ein Abend in Gesellschaft, an dem ich lieber allein gewesen wäre, kann mir mehr zusetzen als ein Abend allein, an dem ich gerne Gesellschaft gehabt hätte. 

Gleichzeitig genieße ich es, mit anderen Menschen Zeit zu verbringen. Ich liebe es, mich auszutauschen, gemeinsam etwas zu erleben und zu unternehmen, mich für andere zu freuen, um sie zu sorgen, mich ihnen anzuvertrauen und zu öffnen, ihnen zuzuhören und mich in sie hineinzuversetzen. Meine Familie und Freund:innen sind mir wichtiger als alles andere in meinem Leben. 

Obwohl ich jeden mir nahestehenden Menschen in meinem Leben auf eine eigene Art liebe oder mag, gibt es einige unter ihnen, die ich ganz besonders gerne um mich habe, fast immer sehen kann und möchte, für die es mir leicht fällt, auf Zeit allein zu verzichten. Und es gibt andere, mit denen ich Verabredungen manchmal beinahe schon als To Dos empfinde. Bei denen ich häufig zögere, sie zu fragen, ob wir uns sehen wollen, und mich selten freue, wenn sie mich fragen. Bei ihnen kann es sich anfühlen, als würde ich auf etwas verzichten, wenn ich mich mit ihnen treffe, auf einen freien Abend, den ich lieber allein mit einem Buch in meinem Lieblingsrestaurant verbringen würde als mit ihnen. Und, das sei noch einmal betont, dabei mag ich sie.

Mich hat diese Beobachtung genug erstaunt, um ihr nachzugehen, aufmerksamer in mich hineinzuhören, nach Unterschieden zwischen meinen "Gehen-immer"-Menschen und meinen "Gehen-nur-selten"-Menschen zu suchen sowie nach Gründen, die in mir zu dieser Unterscheidung führen. Folgende habe ich zum Beispiel gefunden.

Warum ich einige Menschen nur selten ertrage, obwohl ich sie mag

Sie merken nicht, wie ich mich fühle

Da ich nur meine Art zu fühlen wirklich kenne, kann ich nicht einschätzen, ob ich besonders empfindlich bin oder ein gutes Gespür dafür habe, wie es anderen geht. Ich weiß nur so viel: Ich kenne einige unfassbar liebe, treue, kluge Menschen, die es immer wieder schaffen, meine wundesten Punkte anzugreifen, mich zu verspotten und zu reizen, ohne es zu merken. Nun ist es eine meiner Schwächen, dass ich Wut nicht besonders gut zeigen kann, signalisiert habe ich aber diesen Menschen in entsprechenden Situationen schon öfter, dass sie mir gerade wehgetan haben. Bisher hat das nichts verändert. 

So sehr ich diese Personen nun grundsätzlich schätze und sie aus vielen Gründen in meinem Leben haben möchte: Sie um mich haben und ihre Gesellschaft genießen, kann ich nur, wenn es mir richtig, richtig gut geht. Wenn ich entspannt und ausgeglichen bin und über Dinge lachen kann, die mich an anderen Tagen verletzen. An all diesen anderen Tagen halte ich mich – aus Rücksicht auf mich selbst – lieber an meine Menschen, die mir erfahrungsgemäß nicht wehtun. 

Wir haben verschiedene Lebensrhythmen und -weisen

Diesen Punkt finde ich ehrlicherweise richtig dumm und ich schäme mich ein wenig dafür, ihn hier aufzuführen, aber zugegebenermaßen ist er wichtig: Wenn eine Person einen ganz anderen Rhythmus hat als ich oder anders plant und sich organisiert, ist mir die Überwindung und Unannehmlichkeit, darauf einzugehen, häufig zu groß. Möchte sich jemand zum Beispiel immer erst sehr spät treffen, bedeutet das für mich, dass ich mich zu einer Zeit aufraffen muss, zu der ich eigentlich keine Lust mehr habe, dass ich nicht genügend Schlaf bekomme und der nächste Tag anstrengend wird. Und mit Menschen, die sich nicht fest verabreden mögen, sondern am liebsten super spontan auf Zuruf "in einer halben Stunde da und da" finde ich tendenziell ebenfalls schwerer zusammen. 

Wir haben gegensätzliche Temperamente

Wie ich bereits andeutete: Ich zeige in der Regel keine Wut. Ich weine, lache, bin manchmal zu laut, wenn ich mich freue, rede eher langsam, brauche oft lange, um nachzudenken und zu antworten, möchte am liebsten über nichts reden, das aufregt oder frustriert. Wittere ich irgendwo auch nur den Hauch eines Konfliktpotenzials, tue ich alles, was ich kann, damit dieses Potenzial ja nicht zur Realität wird. Ich schätze Menschen, die in all diesen Punkten ein Gegenstück zu mir bilden, und ich weiß, dass ich von ihnen lernen kann. Aber wenn mir nach einem entspannten, harmonischen Wohlfühlabend ist, stehen solche Menschen meinem Bedürfnis eben im Weg. Sie fordern mich, locken mich aus der Reserve, führen mich aus meiner Komfortzone heraus und das finde ich toll und wertvoll ... allerdings nur ab und zu.

Fazit

Ich könnte diese Liste noch um einige Punkte ergänzen, doch mir genügen an dieser Stelle die genannten drei, um eine Vermutung zu äußern: Mit manchen Menschen kostet es mich offenbar mehr Energie, zusammen zu sein, als mit anderen. Und das liegt weniger an ihnen als an mir. Sie bereichern andere wie mich und sind überaus liebenswert. Wenn ich meine Zeit lieber beziehungsweise nur mit Personen verbringe, die mich weniger Energie kosten und mir eher sogar Energie geben, erkenne ich daran vor allem, dass meine Reserven nicht besonders voll sein können. Dass mir andere Dinge in meinem Leben so viel abverlangen, dass nicht genug für die eine oder andere Person da ist – obwohl sie mir etwas bedeutet. 

Vielleicht ist das in Ordnung und vielleicht genügt es, wenn ich bestimmte Menschen nur nach einem erholsamen Urlaub sehe oder wenn Mars gerade in meinem Zeichen unterwegs ist. Schließlich gibt es sie für mich, diese wundervollen Menschen, die "immer gehen". Doch spätestens wenn ich auch bei ihnen Zögern in mir bemerke und Gründe finde, sie nicht zu treffen, wird es an der Zeit sein, mich zu fragen, wofür in meinem Leben all die Energie draufgeht – und wieso sie ausgerechnet für das, was mir am wichtigsten ist, fehlt.

Brigitte

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