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„Nachricht aus dem Jenseits!“ – Was passiert eigentlich beim Gläserrücken?

„Nachricht aus dem Jenseits!“ – Was passiert eigentlich beim Gläserrücken?
© Getty Images
Können geheime Mächte einem die Zukunft vorhersagen? Unsere Autorin Stefanie Hellge hat es ausprobiert und bekam gleich zweimal Besuch von einem Geist
von Stefanie Hellge

Als ich 15 war, bin ich mehreren Geistern begegnet. Ich hatte damals so eine Phase, in der ich mich mit meinen Freundinnen zu Geisterbeschwörungen traf. Mit Kerzenschein und Gläserrücken, sehr intensiv. In meiner Erinnerung flog das Glas von Buchstabe zu Buchstabe und wusste so gruselige Dinge wie das Todesdatum meiner Großtante. Mehrmals nannte sich unser Geist Ivan, und ich stellte mir nachts im Dunkeln vor, wie die durchsichtige Gestalt des toten Russen durch mein Zimmer huschte.

Heute bin ich pragmatischer als früher, und an Geister glaube ich eigentlich nicht mehr. Trotzdem will ich versuchen, ob ich Ivan zur Rückkehr bewegen kann. Vielleicht weiß er ja etwas über meine Zukunft. Oder die meiner Kinder. Meine vorsichtige Anfrage bei ein paar Freunden wird mit Begeisterung beantwortet. Gibt offensichtlich mehrere Menschen, die ihre Teenagerjahre teilweise im Reich des Unerklärlichen verbracht haben.

Samstagabend, draußen ist tatsächlich Vollmond, beste Voraussetzungen also. Meine Gäste kommen in Schwarz, das muss so sein, sonst klappt es nicht. Es gibt überhaupt ein paar Regeln zu beachten – und, ehrlich gesagt, sind die Regeln der halbe Spaß: Es muss ein Holztisch sein, am besten ohne Nägel – meiner hat welche, aber es wird schon gehen. Die einzig erlaubte Beleuchtung: Kerzenschein. Alle Buchstaben des Alphabets werden auf kleinen Zetteln im Kreis angeordnet, dazu die Zahlen von 0 bis 9 und die Wörter JA und NEIN. Das ist fast schon alles, der Geist kann kommen.

„Geist, bist du da?“

Um ihn zu locken, legen wir alle den Zeigefinger leicht auf ein umgedrehtes Glas und rufen „Geist, bist du da?“ in die Dunkelheit meines Wohnzimmers. Machen Sie das mal. Mit mehreren Stimmen im Dunkeln gemeinsam Worte aussprechen. Es ist wirklich sehr, sehr gruselig. Und dann passiert: erst mal nichts. Es dauert geschlagene zehn Minuten und wiederholtes Rufen, bis sich das Glas plötzlich ganz zaghaft bewegt. Langsam rutscht es auf das Kärtchen zu mit JA. Jetzt bloß nicht rühren. Schnell machen wir weiter. „Geist, wie ist dein Name?“ Das Glas wandert langsam über den Tisch. Erst zum B, dann zum O. Dann bleibt es stehen. Unser Geist heißt Bo. Klingt ja nicht besonders russisch. Ist aber trotzdem unheimlich. Hendrik fragt: „Sind noch andere Geister hier im Raum?“, obwohl ich das eigentlich lieber nicht so genau wissen will. Trotzdem antwortet Bo eindeutig „JA“. Und ich frage schnell: „Bo, was wollen die hier?“ Die rätselhafte Antwort lautet: „M-Y-H-P-D.“ Und dann bewegt sich wieder lange nichts. „Äh, Geist, bist du noch da?“ Und Bo antwortet: „W-I-S-O.“ Wieso? Echt jetzt? Darf man lachen, wenn Geister anwesend sind?

Vor diesem Abend bin ich mehrfach gewarnt worden. Allein die Begriffe „Séance“ oder „Geisterbeschwörung“ lösen bei Arbeitskollegen und Freunden Ängste aus. Man solle sich nicht mit der bösen Seite einlassen, kriege ich zu hören. Und fast alle haben irgendeine fiese, aber total wahre Anekdote parat, die angeblich irgendeinem Freund mal passiert ist nach so einem Gläserrück-Abend. Ein paar kenne ich auch. Angeblich sei das benutzte Geister-Glas in der folgenden Nacht von selber zersprungen, oder der Geist sei nie mehr weggegangen und stromere jetzt jede Nacht durch den Flur – man hört es an den knarzenden Dielen. Ich liebe solche Geschichten.

Ich hatte mal eine Nachbarin, die sich ein altes Mütterchen nach Hause bestellte, das dann ihre Wohnung mit Kräutern ausräucherte, weil angeblich ein Geist bei ihr spukte und Möbel verrückte. Diese „Reinigungszeremonie“ war wochenlang Flurgespräch im Haus, weil sich die sehr christlich eingestellte Dame aus der Wohnung gegenüber durch das „Hexenwerk“ persönlich angegriffen fühlte. Ich fand das damals alles sehr unterhaltsam, Angst gemacht hat es mir nicht. Die gläubige Dame ist inzwischen ausgezogen, und ich glaube, das ist auch gut so. Das Haus ist wirklich sehr hellhörig, ich wette, man kann unser „Geist, bist du da?“ noch zwei Stockwerke tiefer vernehmen.

Im Moment hören die Nachbarn aber hysterisches Lachen. Bo hat uns nämlich gerade wissen lassen, dass die größte Herausforderung im Jahr 2018 die Straßenverkehrsordnung sein wird. Gut, er schrieb: S-T-V-O, aber Bo ist offensichtlich eher wortkarg. Außerdem behauptet Bo, er wolle mir persönlich etwas sagen, weil er mich über meinen P-A-P-A kenne. Nur sagt er danach leider gar nichts mehr. Und zwar eine geschlagene Stunde lang. Es ist nicht so, dass sich nichts bewegt, das Glas wandert fröhlich auf dem Tisch herum. Dabei kommt aber nichts weiter raus als Buchstabensalat. Wir schaffen es noch, Bo zu entlocken, dass die Jamaika-Koalition wohl nie zustande kommt – dann geben wir auf. Es ist ziemlich ermüdend, im Dunkeln sinnloses Kauderwelsch zu entziffern. Wir sind alle ein bissen enttäuscht, dass nicht mehr dabei rumgekommen ist.

Dabei sollten wir uns freuen, dass es überhaupt geklappt hat. Und es gibt sogar eine Art wissenschaftliche Erklärung dafür, die man findet, wenn man sich geduldig durch all die Webseiten geklickt hat, die sich auf höchst seltsame Weise mit paranormalen Phänomenen befassen.

Unterbewusste Schwarmintelligenz

Die Wissenschaftler sagen: Jede Emotion löst minimale Muskelkontraktionen aus. So gering, dass man sie nicht wahrnimmt. Wenn sich dann mehrere Menschen emotional auf eine gemeinsame Sache konzentrieren, verbinden sich die Minimalbewegungen so, dass davon ein Glas in Bewegung geraten kann. Der Rest ist Schiebung. Ungewollt, natürlich. So eine Art unbewusste Schwarmintelligenz. Ich finde es viel spannender, mir vorzustellen, dass wirklich echte Geister am Werk sind.

In der Nacht knarzen unsere Dielen, aber die Gläser bleiben heil. Und in der Frische des nächsten Morgens beschließe ich kühn, den Geistern ein paar reine Seelen zu präsentieren. Vielleicht klappt das Ganze dann besser.

Die reinen Seelen sind meine Kinder. Mit 12 und fast 15 sind sie alt genug, um noch als ‚rein‘ durchzugehen – aber keine Albträume zu bekommen. Pragmatisch verlegen wir die Séance an den Küchentisch, als Glas dient uns der Plastikschraubverschluss der Pfefferdose. Er rutscht einfach besser. Und das tut er dann. Und zwar sofort und ohne Aufwärmphase, dabei ist es nicht mal Nacht. Bo ist zurück! Er möchte nur in V-E-R-BE-N mit uns reden, lässt dann aber doch raus, dass das dicke Auto, das mein Sohn als Erwachsener besitzen wird, ein G-O-L-F sein wird. Sehr enttäuschend. Im nächsten Urlaub fahren wir angeblich nach F-U-TE-V-E-N-T-U-E, was wir großzügig als Fuerteventura auslegen, und ich sage: Nur über meine Leiche fahre ich auf diese langweilige Vulkaninsel. Aber am Schönsten ist dann doch, dass Bo zum Schluss wieder politisch wird. Wir fragen: „Was twittert Donald Trump als Nächstes?“ Der Geist schreibt glasklar: F-U-C-K.

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