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Constanze Hill "Blind zu sein, hat viele Vorteile"

Constanze Hill: "Blind sein hat viele Vorteile"
© PR
Constanze Hill (44) ist von Geburt an blind. Falls sie wiedergeboren wird, möchte sie wieder blind sein. Wie kann das sein?

Constanze Hillhat einen Lebensgefährten, zwei Kinder (10 und 15), zwei Katzen und einen Hund. Und sie hat drei anspruchsvolle Jobs: Die Österreicherin ist eine der wenigen Coaches weltweit, die für den amerikanischen NLP-Trainer Tony Robbins arbeiten, sie hat eine eigene Radioshow und ist Miteigentümerin der Personalagentur "Hill International". Nebenher erledigt sie die Pressearbeit für den oberösterreichischen Blindenverband. Denn Constanze Hill ist blind.

Jetzt hat sie auch noch ein Buch geschrieben, und es ist nicht ihr erstes: In "Ich seh, ich seh, was du nicht siehst - denn ich bin blind" erzählt sie, wie sie lebt, und was sie so stark und erfolgreich macht. Ein Interview.

BRIGITTE.de: Wie wohl viele Sehende stelle ich mir ein Leben als Blinde wie ein Leben im Dunkeln vor. Liege ich falsch?

Constanze Hill: Das kann ich nicht beantworten. Ich habe diese Vorstellung nicht, denn ich hatte es nie hell. Mein Leben ist mein Leben, und es ist ein buntes, wunderbares und erfülltes Leben. Es kommt ja nicht darauf an, was man sieht. Es kommt darauf an, was man erkennt.

Über Ihre Arbeit als Coach mit Sehenden sagen Sie sogar: „Ich verhelfe Blinden zum Sehen“.

Menschen haben Augen, aber sie sehen das Naheliegende oft gar nicht. Und als Coach kann ich jemandem, der im Dunkeln tappt, helfen, klar zu sehen.

Machen Augen also in gewisser Weise blind? Sie behaupten ja, dass Blindsein viele Vorteile hat.

Augen verleiten zu Oberflächlichkeit und zum Aburteilen, und sie tragen zu einer Art Reizüberflutung bei. Blindsein hilft, sehr fokussiert zu sein. Dass Blindsein Vorteile hat, sage ich aber auch, weil alle glauben, dass das ein schweres Schicksal sei. Ist es aber nicht. Unter einem schweren Schicksal verstehe ich, einen Nine-to-Five-Job zu haben, den ich nicht mag, in einer lieblosen Ehe gefangen zu sein, 140 Kilo zu wiegen und auf dem Sofa zu sitzen, Chips zu essen und zu rauchen.

Sie haben selbst mal fast 100 Kilo gewogen …

Ich dachte früher, dass ich als Blinde keinen Sport treiben und nicht selbst kochen kann. So bin ich sehr dick geworden. Aber ich habe irgendwann verstanden, dass ich da einen Weg rausfinden muss. Ich habe früh gelernt, lösungsorientiert zu denken: Ich wusste, ich kann nicht joggen oder radfahren, also habe mir ein Mini-Trampolin in die Wohnung gestellt. Ich habe auch angefangen, zu kochen - um abzunehmen, aber auch wegen meiner Kinder, damit sie gesund aufwachsen.

Heute kochen Sie leidenschaftlich gern und können hören, wenn das Fleisch durch ist ...

Ja, das habe ich von einem Koch gelernt!

Auch Ihre Kinder profitieren von Ihrer Blindheit, schreiben Sie. Wie das?

Unter anderem lernen sie, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, etwas zu tun. Meine Tochter etwa hat schon mit 16 Monaten ganze Sätze gesprochen, weil ihre Mutter nicht sehen konnte, wo sie hinzeigt.

Sie füllen gleich drei anspruchsvolle Jobs aus – als Coach, Radiomoderatorin und bei der Personalberatung Ihres Vaters „Hill International“. Auch beruflich sagen Sie, „Mein Erfolgsgeheimnis ist: Ich bin blind.“

Als Blinde habe ich gelernt, sehr, sehr genau zuzuhören. Mein Gehirn ist dafür geschult und ich lasse mich nicht ablenken. Und es ist meine Berufung und meine Leidenschaft, Menschen zu helfen, ihre Ziele zu erreichen. Ich habe auch gelernt, meine Komfortzone zu verlassen und das zu genießen. Ich weiß: Wenn man seine Komfortzone nicht verlässt, verpasst man das Leben.

Wie hat Ihr Blindsein dazu beigetragen?

Ich bin auf ein ganz gewöhnliches Gymnasium gegangen, und da bist du als Blinde automatisch draußen. Kinder können ja sehr grausam sein. Ich bekam auch meine Schulbücher ein halbes Jahr später als alle anderen, weil sie erst in Brailleschrift übersetzt werden mussten. Ich fand es schrecklich in der Schule, doch ich wusste: Wenn ich das hier weiterhin blöd finde, habe ich acht blöde Jahre vor mir. Ich muss es schaffen, das geil zu finden! Dadurch habe ich etwas Entscheidendes gelernt: Ich kontrolliere, wie ich mich fühlen möchte, und ich kontrolliere meine Einstellung.

Was haben Ihre Mitschüler denn mit Ihnen gemacht?

Blinde werden ignoriert, bemitleidet und beleidigt, übrigens wie dicke Menschen auch. Dadurch habe ich früh gelernt, die Beleidigungen und Erniedrigungen anderer nicht persönlich zu nehmen und in Herausforderungen umzuwandeln. Ich habe Selbstachtung und Disziplin in sehr hohem Maße kultiviert.

Neben Ihren drei Jobs haben Sie zwei Kinder, zwei Katzen und einen Blindenhund. Wie schaffen Sie dieses Pensum, an dem schon viele Sehende scheitern würden?

Planung und Struktur sind bei mir unglaublich wichtig. Gleichzeitig habe ich den Mut, flexibel und spontan zu reagieren, wenn es erforderlich ist. Ich würde zum Beispiel nie einkaufen gehen, ohne genau zu wissen, was ich will. Was in die Tüte kommt, bestimme ich. Ich sehe ja auch die ganzen Verlockungen nicht, ich bekomme nur mit, wenn meine Begleiter sagen: „Oh wow, das gibt es jetzt auch!“

Wie finden Sie beim Einkaufen, was Sie benötigen?

Dabei brauche ich Hilfe, ich nehme meinen Partner oder eine Freundin mit. Die Angestellten im Handel sind oft überfordert und wahnsinnig grantig.

Sie waren zweimal verheiratet und sind zurzeit in einer glücklichen Partnerschaft. Sie schreiben, dass Sie ganz sicher sind, wieder jemanden zu finden, falls auch diese Liebe zerbricht. Woher nehmen Sie Ihre Zuversicht?

Weil es mir extrem wichtig ist. Ich bin nicht dazu geboren, allein zu sein, ich möchte in einer Beziehung sein. Und wenn einem Menschen etwas wichtig ist, kriegt er das auch. Mein Opa hat weinend an meiner Wiege gestanden und gesagt: „Die bekommt nie einen Mann.“ Ich habe beweisen, dass er falsch lag. Aber ich habe nicht etwa meine Ansprüche heruntergeschraubt, sondern immer ganz tolle Männer gefunden. Es kommt ja auf die Herzensbildung an und auf das Hirn.

Sie selbst bezeichnen sich als „sehr selbstbewusst“. Es gibt nicht viele Frauen, die das von sich sagen können …

Meine Mutter meint, das sei mir in die Wiege gelegt worden, ich hätte schon als Baby gestrahlt. Ich habe einfach einen großen Hunger und eine Neugierde aufs Leben!

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Buchtipp: "Ich seh, ich seh, was du nicht siehst - denn ich bin blind" von Constanze Hill (Carl Ueberreuter Verlag, 22,95 Euro).

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