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Hausfreund gesucht! Kultivierter Zweitmann für die Ehefrau

Hausfreund gesucht: Mann mit Frau auf abj
© fokke baarssen / Shutterstock
BRIGITTE-Autor Stefan Schwarz liebt seine Frau. Gerade deshalb wünscht er ihr eine Art Hausfreund – jemanden, der freiwillig Kitschfilme guckt und staubige Klosterruinen besichtigt. Er wäre ein Gewinn für alle Beteiligten.

Die Tintern Abbey in Wales hat mich noch nie interessiert. Weder heute, noch damals, als man noch dahin reisen durfte. Null. Mich interessierte nicht, wie gut sie noch erhalten ist. Mich interessierte nicht, wie viele Poeten und Maler und andere nach Morbidität und Verfall Schmachtende sie inspiriert hat. Für mich war und ist es ein Haufen Steine. Ich langweilte mich also zu Tode.

Oh Gott, werden Sie jetzt sagen, was für ein Banause. Und wenn Sie dann noch erfahren, dass ich verheiratet bin, werden Sie sagen: Die arme Frau! Recht haben Sie. Meine Frau liebt Ruinen. Ich hasse Ruinen. Ich bin Mitte 50. Wenn ich etwas sehen will, das langsam kaputtgeht, stelle ich mich nackt vor den Spiegel. Aber meine Frau ist anders. Sie pirschte übers Gras im Kirchenschiff und machte "mystische" Fotos, allesamt erhabene Seufzer der Endlichkeit. Ich guckte derweil auf die Uhr. Die Cafés sahen alle so aus, als würde der Waliser früh schließen. Elende Ruinen ohne Blaubeermuffin im Magen wäre eins zu viel für diesen Urlaubstag. Also stöhnte ich. So laut, dass sich andere, natürlich deutsche Touristen nach uns umdrehten.

Wie hält die Frau es mit diesem Mann aus?, fragen Sie sich vermutlich. Oder denken: Den hätte ich längst in die Wüste geschickt. Zu meiner Verteidigung möchte ich hier festhalten: Ich bin ein exzellenter Koch. Ich bin belesen, informiert und eloquent. Und ich gehe gern in die Oper. Ich kann auf Turnier­niveau tanzen – Standard und Latein. So was schickt man nicht leichtfertig in die Wüste wegen eines Fünftels Unverträglichkeit.

Dennoch tut mir meine Frau ein bisschen leid. Sie hat sich damals mit mir auf ein Leben voller Urlaube eingelassen, ohne zu ahnen, dass ich Ruinen hasse. Da sie ohne moosbewachsene Keltenkreuze oder heimische Klöster jedoch nicht leben kann, wären solche Ausflüge besser – mit einem anderen Mann. Einem Verehrer. Einer Person, die von sich aus aufgeregt im Auto ruft: "Sehen Sie nur! Da hinten scheint ein altes verlassenes Gebäude zu stehen! Lassen Sie uns hinfahren, verehrte K…!" (Denn selbstverständlich würde er meine Frau mit ihrem Vornamen ansprechen, aber siezen.) Ja, ich bekenne: Ich wünsche meiner Frau einen Verehrer. Einen Hausfreund, wie man früher sagte, natürlich mit besten Manieren. Sie hat es verdient, dass jemand all die Passionen mit ihr teilt, die ich nicht teile.

Zum Beispiel guckt sie gern Filme mit Frauen, die eine tödliche Krankheit diagnostiziert bekommen und dann noch mal richtig anfangen zu leben. Auch hier hat ein Hausfreund seinen angemessenen Platz. An ihrer Seite. Sie könnte am unvermeidlichen Ende schluchzen und hätte eine Hand zum Drücken neben sich. Meine würde sie da nämlich nicht finden, weil ich seit anderthalb Stunden schweißgebadet meine Lymphknoten abtasten würde.

Eine weitere Einsatzmöglichkeit: Meine Frau besucht gern "Classic Open" auf offener Wiese. Ich halte Freiluftkonzerte mit klassischer Musik für auditive Barbarei. Nun wollen ja jetzt mehrere Bundesländer kleinere Open-Air-Konzerte in Erwägung ziehen. Wie wunderbar – also für meine Frau. Noch wunderbarer wäre es, sie hätte jemand anderen an ihrer Seite, der den Picknickkorb trägt und das Piccolöchen aufschraubt, während sie es sich im Gras, mit 1,5 Meter Abstand, versteht sich, vergeblich bequem zu machen versucht.

Wenn ich so darüber nachdenke, hätte meine Mutter auch schon einen Hausfreund gut gebrauchen können. Ein einziges Mal, ich war damals vier Jahre alt, hatte sie ein verwegen schnauzbärtiger Zirkusartist auf der Straße angesprochen und sie angefleht, mit ihm durchzubrennen, aber meine Mutter hatte nicht zugegriffen. Sie war auch nicht ganz frei in der Entscheidung. Ich stand daneben. Sie sagte oft: Man kann nicht alles haben im Leben. Das hieß, dass mein Vater zwar ein netter Ehemann war, aber leider dazu neigte, bei Festlichkeiten Bier und Weinbrand zusammen zu trinken, in schneller Folge. So hatte meine Mutter, wenn alle nach Hause gingen, noch den Abtransport einer hilflosen Person zu organisieren. Mit einem Hausfreund im Hintergrund hätte sie vielleicht den Mut gefunden, die an der Bushaltestelle liegen zu lassen und noch einen Mondscheinspaziergang mit Hans-Werner zu machen.

Meine Frau nimmt jetzt den Fotoapparat herunter und sieht mich an. Die Sonne sinkt und macht perfektes Licht für die super romantischen, verwitterten gotischen Bögen der Tintern Abbey. Für mich sinken mit der Sonne die Chancen auf einen Blaubeermuffin mit Cream-Tea. "Los, reiß dich jetzt mal noch eine Viertelstunde zusammen!", sagt sie. Ich mag es nicht, wenn meine Frau mit mir wie mit einem Kleinkind spricht. Deswegen sollte hier ein anderer stehen. Jemand, der niemals Hunger hat und der sie hernach an den Händen fasst und sagt: "Mir ist an diesem Ort, als wären wir uns schon einmal in einem längst vergangenen Leben begegnet." Dann würde meiner Frau ein romantischer Schauer über den Rücken ­prickeln.

Wenn ich so was sage, würde sie nur gezwungen lächeln, weil sie wüsste: Ich meine es nicht ernst. Ich kann es nicht ernst meinen, denn wir sind uns ja in der Vergangenheit begegnet – und zusammengeblieben. Ein Verehrer hingegen meint alles ernst. Er bringt die Frische der Erwartung, des "Wer weiß …?" ins Spiel. Meine Frau könnte sich alle möglichen Sachen mit ihm vorstellen und ein bisschen mit dem Feuer spielen, ohne gleich die ganze Hütte abzufackeln. Denn anders als einen echten neuen Partner begleitet einen Hausfreund eine herrliche Un­verbindlichkeit. Man muss ihn nicht seinen Kindern vorstellen, und es gibt auch keinerlei Informationspflicht gegenüber Eltern oder Freundeskreisen.

Ehe Sie jetzt rufen: Stopp! Wie wäre es, wenn der gelangweilte Ehemann sich mal selbst aus der Komfortzone bewegt und ein anderer wird, damit seine Frau wieder Vibrationen bekommt!? Dann kann ich Ihnen sagen: Das ist ein populärer Rat in unserer an Selbstmanagement glaubenden Welt, aber er hat ein paar Haken. Der erste ist die Zeit, die das braucht. Wenn die Klospülung kaputt ist, kann man sich zum Klempner "weiterentwickeln" oder einen bestellen. (Ich bin für Letzteres.) Und ganz sicher ist es in unseren Zeiten leichter, einen Hausfreund zu finden, der William Wordsworths walisische Wanderungen aus dem Kopf zitieren kann, als einen Klempner, der Termine vor 2022 anbietet.

Das zweite Problem ist, dass viele Frauen sich von ihrem Mann wünschen, er möge sich verändern, aber entsetzt sind, wenn er es dann tut. Wenn Sie zum Beispiel als Mann im Bett nie "Dirty Talk" gemacht haben, können Sie nicht einfach so damit anfangen. Im besten, aber unwahrscheinlichen Fall ernten Sie nur ein überraschtes "So kenne ich dich ja gar nicht!", im schlimmeren Fall ein "Was ist nur in dich gefahren!?". Und hier ist mein eigentlicher Hintergedanke: Hausfreunde passen eben nur in die passgenaue Lücke.

Darüber hinaus würde meine Frau schnell merken, dass Romantik anstrengend sein kann. Immer die Spannung halten, sich nie gehen lassen. Nebenbei würde sie merken, dass ihr Verehrer auch Macken hat, er affig die Lippen schürzt, bevor er seinen Wein schlürft, oder gern "Wunderbärchen!" sagt. Das will man vielleicht doch nicht das ganze Jahr über haben. Und des­halb würde meine Frau dank des Hausfreundes meine Muffligkeiten vielleicht mal mit freundlichen Augen ­sehen. Womit am Ende alle etwas davon hätten.

Stefan Schwarz ist Journalist, schreibt Theaterstücke und fürs Fernsehen, außerdem Romane und Sachbücher; zuletzt ist "Der kleine Gartenversager" erschienen (Aufbau Verlag). Er lebt mit Frau, Kindern und Kleingarten – aber noch ohne Hausfreund für die Gattin – in Leipzig.

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BRIGITTE 14/2020

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