Anzeige

Hallo Baby, hallo Krise? "Paare brauchen ungefähr fünf Jahre, um sich in die Eltern-Rolle einzufinden"

Beziehungen scheitern: Papier-Familie
© sewcream / Adobe Stock
Schlafmangel, Geschrei und wenig Zeit – Kinder können euer Leben ziemlich auf den Kopf stellen. Warum das auch für eine gefestigte Beziehung eine ziemliche Belastungsprobe darstellt, darüber hat uns die Sozialpädagogin Sonja Sidoroff aufgeklärt.

Kinder gehören für viele Menschen zum i-Tüpfelchen einer Partnerschaft. Sie haben den Menschen gefunden, mit dem sie den Rest ihres Lebens teilen wollen – dann fehlt nur noch das Kind, um das Glück zu vollenden. Vielen Paaren, die zum ersten Mal Eltern werden, ist jedoch nicht bewusst, welche Auswirkungen Kinder nicht nur auf den Alltag, sondern auch auf die eigene mentale Verfassung haben.

Natürlich stellen sich die meisten angehenden Eltern darauf ein, anfangs wenig Schlaf zu bekommen, dass sie sich an den Rhythmus des Babys anpassen müssen und dass ihre Zweisamkeit erst mal auf der Strecke bleibt. Elternschaft bringt aber noch so viel mehr mit – und auf das meiste lässt es sich gar nicht so einfach vorbereiten.

Die Expertin

Sonja Sidoroff ist Sozialpädagogin und hat sich auf die mentale Gesundheit von Familien, insbesondere Müttern spezialisiert. Im Interview erklärt sie, warum viele Paare sich auseinanderleben, sobald Kinder da sind. Außerdem gibt sie Tipps, wie ihr Krisen früh erkennen und bewältigen könnt. 

Daher rührt die Unzufriedenheit

BRIGITTE: Welche Probleme führen häufig zu einer Beziehungskrise?

Sonja Sidoroff: In der Anfangszeit ist bei vielen Eltern der Schlafmangel ein Hauptgrund für ihre Gereiztheit. Dazu kommen Gefühle von Überforderung und Verunsicherung. Es heißt, dass Paare ungefähr fünf Jahre brauchen, um sich komplett in die neue Rolle als Eltern einzufinden. Kein Wunder, dass davor bereits einige Beziehungen in die Brüche gehen. In Stresssituationen ist sich in der Regel jede:r selbst am nächsten und die Kompromissbereitschaft und das Verständnis für den:die andere:n nicht mehr ganz so groß wie in Zeiten, in denen alles rund läuft. 

Auf Schlafmangel und Co. stellen sich die meisten Eltern aber doch sicher ein?

Das schon. Der wahre Grund, warum Kinder so eine riesengroße Veränderung anläuten, liegt aber viel tiefer. Ein Kind bringt die Glaubenssätze, die du – oftmals schon in der Kindheit – erlernt hast, an die Oberfläche. Und das ist weder Thema bei einem Geburtsvorbereitungskurs noch in Ratgebern für Schwangere und in der Regel auch nicht beim Austausch mit anderen Eltern.

Jeder Mensch, mit dem wir in Beziehung stehen, hält uns einen Spiegel vor.

Durch diesen Spiegelungseffekt kommen unsere eigenen unbearbeiteten Themen hervor und wir fühlen uns von unserem Gegenüber getriggert. Im Alltag können wir Menschen oder Situationen, mit denen wir nicht klar kommen, aus dem Weg gehen. Wir können den Job oder den:die Partner:in wechseln, Freundschaften beenden... Doch das Baby bleibt da. 

Das Baby hält den Eltern also einen Spiegel vor. Und sie sind gezwungen hineinzusehen. Hast du ein Beispiel dafür? 

Manche Menschen ertragen es nicht, wenn ein Baby schreit. Bist du jedoch ein Elternteil dieses Babys, kannst du in der Regel die Situation nicht verlassen. Wenn Menschen das Schreien kaum aushalten, kann es durchaus sein, dass sie als Kleinkind schlechte Erfahrungen gesammelt haben. Sie wurden schreien gelassen, wurden nicht emotional aufgefangen, wenn es ihnen schlecht ging. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit brennt sich tief ins Unterbewusstsein ein und kommt in einer solchen Situation zum Vorschein. Jede:r schleppt unbearbeitete Themen mit sich herum. Es kann also sein, dass das Baby bei dir etwas ganz anderes triggert als bei deinem:r Partner:in.

Veraltete Rollenbilder und Care Arbeit

Ist die Veränderung für die Mutter größer, weil sie das Gefühl hat, entweder ihre Mutterrolle oder ihren Beruf aufgeben zu müssen oder zumindest Abstriche machen zu müssen?

Das kann der Fall sein. Ich bin zwar der Meinung, dass sich mittlerweile immer mehr Papas in das Familienleben einbringen, als es vielleicht noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Trotzdem stimmt es, dass in der Regel die Mütter während der Elternzeit zu Hause bleiben, unabhängig davon, welchen beruflichen Status sie zuvor hatten und wie gleichberechtigt die Beziehung bis dato war.

Nicht jede Frau ist ausschließlich durch die Mutterrolle erfüllt.

Streit in der Partnerschaft entsteht oftmals auch durch Unzufriedenheit oder dem Gefühl von wenig Wertschätzung. Das trifft vor allem den:die Partner:in, der:die den Job für das Kind aufgegeben hat – meistens die Mutter. Viele möchten beruflich wieder Gas geben. Dann sollte gemeinsam mit dem:der Partner:in eine Lösung gefunden werden. 

Das Problem der Care Arbeit ist ja unter anderem, dass sie nicht von außen wertgeschätzt wird. Wenn ich mich als Mutter oder Vater dafür entscheide, für meine Kinder da zu sein, ist das eine Selbstverständlichkeit. Ich bekomme weder Geld noch Lob dafür. 

Genau. Viele Mamas, die ihren Job aufgegeben haben, um für die Kinder da zu sein, beschleicht das Gefühl, dass sich im Leben des Papas nicht viel geändert hat. Er geht noch immer seinem Job nach, hat dort seine sozialen Kontakte, Hobbys und trifft sich am Wochenende mit seinen Jungs, während bei den meisten Mamas zumindest in den ersten zwölf Monaten das Leben außerhalb der eigenen vier Wände und ohne Kind quasi zum Erliegen kommt. Schnell stellt sich das Gefühl des Neids gegenüber dem Partner ein. 'Er hat noch sein altes Leben und ich bin an das Haus gefesselt.' (Das gilt natürlich nicht nur für cis-geschlechtliche Beziehungen)

Beziehungen festigen: Das könnt ihr tun

Was kann hilfreich für Paare sein, wenn sich Probleme anbahnen?

Vor allem, wenn die Kinder noch klein sind, leben sich Paare auseinander, weil sie aufgehört haben, miteinander zu sprechen. Die meisten Menschen haben in der Anfangszeit ihrer Beziehung sehr viel miteinander gesprochen – romantische Dates, stundenlange Telefonate und SMS-Austausch. Das geht bei vielen im Laufe der Zeit immer mehr verloren und nähert sich bei Eltern so ziemlich dem Nullpunkt. Kein Wunder, dass sich die Partner einsam und nicht gesehen fühlen und es dadurch oft zu Missverständnissen und Vorwürfen kommt.

Das Zauberwort heißt also: reden

Manchmal ist es ja gar nicht so einfach, sich einander wieder anzunähern.

Das stimmt. Um tiefgründigere Gespräche aufzubauen, sollten alltäglichen To-dos auf jeden Fall außen vor bleiben. Es geht darum, den:die andere:n in die eigene Gefühlswelt mitzunehmen. 

Und was ist mit dem körperlichen Kontakt, der Paare nun mal in gewisser Weise zusammenschweißt – der Intimität?

Ich merke immer wieder, dass Paare, die sich körperlich auseinandergelebt haben, sich zuvor bereits auf emotionaler Ebene entfremdet haben. Das Familienleben kann jedoch nur funktionieren, wenn es auch in der Partnerschaft funktioniert. Diese muss gepflegt werden. Regelmäßige Dates sind eine gute Möglichkeit. Um den Alltag möglichst gut zu meistern, ist es wichtig, dass die Eltern als Team zusammenarbeiten. Leider ist es häufig so, dass viele Elternteile eher Einzelkämpfer sind.

Dann ist die Beziehung nicht mehr zu retten

Nehmen wir einmal an, es kriselt. Beide Partner denken über eine Trennung nach. Woran kann man erkennen, dass eine Beziehung nicht mehr zu retten ist?

Eine Beziehung kann nur zu retten sein, wenn die Basis stimmt. Das bedeutet, dass man ähnliche Ziele, Werte und Vorstellungen von einem Familienleben hat. Ist das der Fall, dann besteht noch eine Chance für die Partnerschaft. Am besten mit externer Hilfe. Die Beteiligten selbst sind in der Regel nicht in der Lage, die Muster zu erkennen, die bisher immer wieder zu Streitigkeiten geführt haben und effiziente Lösungen zu finden. Sobald die Partner merken, dass die Beziehung eher eine Belastung als eine Bereicherung darstellt und sich dauerhaft negative Gefühle gegenüber dem:der Partner:in einstellen, kann dies ein Zeichen sein, dass eine Trennung der sinnvollere Weg wäre. 

Verwendete Quellen: Interview mit Sonja Sidoroff 

Brigitte

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel