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Der Tag, an dem das Doppelleben meines Mannes aufflog

Der Tag, an dem das Doppelleben meines Mannes aufflog
© Lauralee Flores / Unsplash
von Andrea Tapper

War das wirklich sie? Die Frau, die da vor der Kita in Hamburg-Bramfeld stand. Sich hinter einem Busch versteckte, um nicht gesehen zu werden. Die Frau, die darauf wartete, dass die Kinder herausströmen würden, mit ihren Müttern oder den Au-pair-Mädchen, die sie abholten.

Oder waren es „Tatort“-Dreharbeiten, gruselig, irgendwie surreal? „Ich stand neben mir“, sagt Fiona, wenn sie sich an den Tag vor vielen Jahren erinnert, der ihr Leben veränderte: „Ja, ich war die Frau hinter dem Busch, aber irgendwie auch nicht.“

Und dann trippelte das Mädchen heraus. Geschätzte vier Jahre alt, an der Hand einer vielleicht 20-Jährigen. Kindermädchen, Tante, Schwester oder gar ...?

Aber nein, so hatte man ihr die Story nicht erzählt. Das hätte sie doch behalten, das hätte sie noch mehr aus der Fassung gebracht. Aber ging das überhaupt? Konnte irgendetwas sie mehr schocken als die Enthüllung – im Freundeskreis schon länger bekannte Wahrheit: „Dein Mann hat eine andere. Er hat auch ein Kind mit ihr.“

Als Fiona das erfährt, bricht in ihr alles zusammen. Aber statt ihn zu verlassen, bleibt sie.

Das Mädchen. Es war nicht so, dass sie ihm aus dem Gesicht geschnitten war. Aber „irgendwie spürte ich“, sagt Fiona „das ist sie.“ Den folgenden Freitag ging sie wieder hin, denn am Ende der Woche – so kalkulierte Fiona – würde wahrscheinlich die Mama selbst ihr Töchterchen abholen, in Wochenendlaune vielleicht.

Und genauso geschah es, ein Drama im Schnelldurchlauf: Zu den zwei, drei schicken Wagen, die bereits blinkend in zweiter Reihe vor der Kita standen, pirschte ein vierter dazu, ein SUV, beige, neu. Eine Frau mit braunem Bob stieg aus, schnell und gelenkig. Sie trug Jeans und einen engen grünen Pulli, unter dem sich pralle Brüste abzeichneten, verschwand in der Kita, kam wenige Minuten später mit der Kleinen wieder heraus. Sie heißt angeblich Veronica.

Mutter und Kind lachten.

Und Fiona wusste: So sieht mein Unglück aus. Die Enthüllung: jetzt nicht mehr nur Horrorgerücht, sondern fleischgewordene Realität. Der Moment der Wahrheit. „Als ich die Frau und das Kind sah, zerbrach etwas in mir“, erinnert sich Fiona, als sei es gestern gewesen. „Eisige Kälte machte sich in meinem Herzen breit. Eine Faust legte sich um meine Brust.“

Sie konnte kaum noch atmen. Ihr bisheriges Leben: wie durch einen Tornado zertrümmert. Die Fundamente ihrer Beziehung – Vertrauen, Übereinstimmung – wie vom Erdboden verschluckt. In jenem Sommer vor einigen Jahren, der so sonnig begonnen hatte und plötzlich so rabenschwarz wurde. Sie dachte: „Ich bin im falschen Film, ganz sicher. Das ist nicht mein Leben.“ Sie übergab sich. Das Kind hüpfte seiner Mutter hinterher.

Dabei haben sie doch selbst eins, Henry und sie, Max war damals zehn, und alles schien in bester Ordnung. Wie kann ein Mann ein solches Doppelleben führen, in ein und derselben Stadt?

Gab es Anzeichen für das Doppelleben?

Und warum war ihr nichts aufgefallen, „weder emotional noch im Bett, noch im Alltag?“ Sicher, als Bauingenieur internationaler Großprojekte war Henry viel unterwegs.

Und sie hatte ihre kleine Möbelboutique. An manchen Abenden war sie schon im Bett, wenn er kam. Aber sie flirteten doch noch. Und gerade hatte sie sich eine Aufwärmstation wie in Hotelbüfetts zugelegt, damit er sie nicht mehr mitten in der Nacht – manchmal beschwipst – bitten würde, ihr noch etwas zu essen zu machen.

An manchen Wochenenden war er verreist. Für einen Großauftrag in Peking, Hanoi oder Dubai auch schon mal wochenlang. „Phhh, Dubai! Sein Dubai hieß wohl eher Veronica“, dachte sie. Ihr, so erfuhr sie später, hatte er was von einer seelisch kranken Ehefrau erzählt, um sie ruhig zu halten. Nein, Henry wollte seine Ehefrau nicht verlassen, er wollte beide Frauen.

„Heute kann ich darüber lachen“, sagt Fiona, fügt aber nachdenklich hinzu: „Es ist kein richtig freies Lachen, es hat etwas Schales. Es tut immer noch weh.“

Als ihre Welt in Scherben lag, brach bei ihr zunächst eine Schreckstarre aus. Eine ganze Woche hatte sie ihr Kita-Geheimnis für sich behalten, bevor sie ihren Mann zur Rede stellte: „In meinem Innern war zu viel Chaos“, sagt sie: „Mordgedanken, Selbstmordgedanken. Gedanken an Scheidung."

„Scheidung, Rauswurf? Was sollte die Lösung sein“?

"Rauswurf, abhauen, die andere fertigmachen. Ihn fertigmachen. Ich fühlte mich verletzt wie ein Reh, dann wieder hinterhältig wie eine Hyäne. Ich konnte meinen eigenen Gefühlen nicht trauen.“

An einem Sonntagnachmittag schließlich passte sie ihn ab. Im Schlafzimmer. Er bestritt nichts.

Sie weinte. Er war still. Sie schrie: „Wie soll es denn jetzt weitergehen?“ Er schwieg. Sie fragte: „Zahlst du etwa für sie? Auch den dicken Wagen?“ Er sagte: „Ja.“ Sie sagte: „Ich kann mich scheiden lassen.“

Er sagte: „Ja.“ Ihre Ehe war eine Luftnummer, aus der jemand den Stöpsel gezogen hatte. Platt, unnütz, am Ende. Der Mann, ein Schwein. Kann ein Schwein einen trösten?

Der Gefühlstornado hatte ganze Arbeit geleistet. Der Vertrauensbruch alles klitzeklein geschlagen. Und Fiona merkte: „Es war alles offen. Kontrollverlust auf ganzer Linie. Er hätte sogar mich verstoßen und die andere heiraten können.“

Da sagte sie gar nichts mehr.

Nicht: „Hau ab!“, und auch nicht: „Warum?“ Er zieht aus dem Schlaf- ins Gästezimmer und Fiona sich in den Kreis ihrer Freundinnen zurück.

Recherchiert: Findet alles heraus über die Nebenbuhlerin, kaum jünger, dünner, Sekretärin in einer Reifenfirma. Sie stellt sicher, dass die andere erfährt, dass sie aufgeflogen ist – über die Freundin einer Freundin, die ein Kind in derselben Kita hat. „Wenn du sie bedrohst, geh ich“, kontert Henry. Was er wirklich will, sagt er nicht.

"Fiona entscheidet sich für das Aushalten. Und bezahlt einen hohen Preis"

Im Wechselbad der Gefühle muss es Fiona allein aushalten. Tausend Fragen martern sie: Wäre eine Trennung Genugtuung – oder Niederlage?

Was sagt es über dein Selbstwertgefühl, wenn du dich mit einem Schwein versöhnst? Liebte er sie überhaupt noch – und sie ihn? Wie fühlt sich Liebe denn an, wenn dieser Tornado durch sie hindurchgebraust ist. „Grübel nicht, lenk dich ab“, sagen die Freundinnen.

In einem Biergarten lernt sie Mr. Ablenkung kennen, der Sex ist gut, er schenkt ihr sogar ein Armband. Henry sieht es. Und sagt nichts.

Max haben sie aufs Internat geschickt. Henry magert ab, die Geschäfte laufen schlecht. Die Geliebte drängt. Jetzt oder nie. Fiona hält weiter das Essen warm; Henry geht kaum noch auf Dienstreise. „Sitz es aus“, sagt ihre innere Stimme, erst ganz leise, dann immer deutlicher.

Denn eins spürt sie bei aller Unsicherheit: Sie will ihre Familie nicht zerstört sehen. Schon gar nicht von einer anderen. Das ist ihr Motor. Über Jahre. Und plötzlich gibt es wieder kleine Momente. „Das Kleid steht dir“, sagt Henry, und sie lacht, weil seine Hose rutscht. Er ist so dünn geworden.

Die Ehe hat gehalten. Die Geliebte wollte irgendwann nicht mehr, für das gemeinsame Kind kommt er weiter auf. Ein paar Jahre nach dem Fauxpas wurde Fiona unerwartet noch mal schwanger, mit über vierzig. Ein süßes Mädchen. Das Happy End? „Irgendwie schon“, sagt Fiona, „aber mein Herz ist nie wieder richtig warm geworden. Ein kleines Eisklümpchen ist geblieben. Will einfach nicht schmelzen. Früher war ich anders happy.“

Namen und Orte wurden zum Schutz der Beteiligten von der Redaktion geändert.

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