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Charakterstärke Liebe dich selbst – und ändere dich trotzdem

Frau umarmt sich selbst im Sonnenlicht
© Hector / Adobe Stock
Wie sehr können wir unseren Charakter verändern? Im Interview verrät die Psychologin Eva Asselmann wie du die Balance zwischen Selbstliebe und Persönlichkeitsentwicklung findest.

Entwickeln wollen wir uns alle. Aber der Grat zwischen gesundem Wachstum und schädlichem Optimierungswahn ist schmal. Eva Asselmann ist Professorin für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie an der HMU Health and Medical University in Potsdam. In ihren Forschungen geht sie unter anderem der Frage nach, wie sich persönliches Wachstum effektiv fördern lässt. Außerdem hat sie Erfahrung als Coach und Trainerin. Ihre Erkenntnisse hat sie in ihrem Buch "Woran wir wachsen. Welche Lebensereignisse unsere Persönlichkeit prägen und was uns wirklich weiterbringt" zusammengefasst. Im Interview spricht sie über Persönlichkeitsideale in unserer Gesellschaft und die Wichtigkeit von Selbstakzeptanz. 

BRIGITTE: Wie viel unserer Persönlichkeit ist festgelegt? Können wir an den Grundzügen unseres Charakters überhaupt etwas ändern?

Eva Asselmann: Unsere Persönlichkeit ist eine Mischung aus genetischer Prägung und Umwelteinflüssen. In Abhängigkeit unserer Gene unterscheiden wir uns darin, wie wir auf Umweltfaktoren wie etwa Lebensereignisse reagieren. Grundsätzlich ist die Persönlichkeit nicht in Stein gemeißelt, wir können uns bis ins hohe Alter aktiv verändern. Das passiert durch einschneidende Erfahrungen oder auch durch Therapien und Coachings. Insofern sind wir keine Opfer unserer Gene oder Kindheitserfahrungen. Wir können ein Leben lang an uns arbeiten. Sich um 180 Grad zu drehen und ein völlig anderer Mensch zu werden, ist allerdings sehr unwahrscheinlich.

Wieso wünschen wir uns oft anders zu sein, als wir sind?

So wie es bestimmte Schönheitsideale für den Körper gibt, haben viele Menschen auch eine Idealvorstellung davon, wie ihre Persönlichkeit zu sein hat. Das gilt zum Beispiel für die "Big Five", fünf grundlegende Merkmale: Offenheit für neue Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit, und emotionale Stabilität. Höhere Ausprägungen darin sind in unserer Gesellschaft positiv konnotiert und sozial erwünscht. Die meisten Menschen möchten deshalb höhere Werte in ihnen haben.

Ist es sinnvoll, sich aktiv zu verändern oder ist Selbstakzeptanz der bessere Weg?

Akzeptanz und Veränderungsbereitschaft schließen sich nicht aus. Grundsätzlich hilft es, sich so anzunehmen, wie man ist. Trotzdem kann man ja gezielt an denjenigen Wesenszügen arbeiten, die im Alltag Schwierigkeiten bereiten. Wenn ich schludrig bin und ständig Termine verpasse, schränkt mich das ein. Deshalb kann ich gezielt versuchen, mich hier und da gewissenhafter zu zeigen. Es geht also nicht darum, eine andere Person zu werden, sondern konkret bei problematischen Verhaltensweisen anzusetzen und diese zu verändern.

Wann empfehlen Sie Therapie oder Coaching?

Wenn wir merken, dass es uns über längere Zeit schlecht geht und unser Alltag dadurch beeinträchtigt wird, empfehlt es sich, professionelle Hilfe einzuholen. Lieber zu früh als zu spät. Während es bei einer Therapie um tiefgreifende mentale Belastungen geht, richtet sich ein Coaching eher an Menschen, die vor konkreten Herausforderungen stehen. Wenn jemand zum Beispiel eine bessere Führungskraft werden will, kann ein Coaching helfen. Man sollte jedoch auf die Qualifikation der Coaches achten.

Worauf genau?

Coach ist kein geschützter Begriff, jede:r darf sich so nennen. Man kann zum Beispiel darauf achten, ob Coaches Psychologie oder ein vergleichbares Fach studiert haben oder Expertise im Themenfeld aufweisen, um das es geht. Auch langjährige Erfahrung oder die Mitgliedschaft in einem Coaching-Verband können Qualitätsmerkmale sein.

Was kann ich selbst für meine Entwicklung tun, um etwa schlechte Gewohnheiten abzulegen?

Es hilft, sich Ziele zu stecken. Je konkreter diese sind, desto eher erreicht man sie. Anstatt sich vorzunehmen "Ich will gewissenhafter werden", sollte man den Veränderungswunsch direkt benennen. "Ich staubsauge meine Wohnung von nun an jeden Mittwochabend." Oder "Ich hefte Briefe ab jetzt immer direkt ab." Die Erfolgsaussichten sind außerdem höher, wenn man sich zunächst etwas Kleines vornimmt. kleine Vorsätze sind leichter umzusetzen und das wiederum steigert die Selbstwirksamkeit. Zu große Ziele wirken oft abschreckend und demotivierend.

Also anstatt "Ich mache mehr Sport" sage ich lieber: "Ich gehe jeden Mittwoch joggen". Was ist der Trick, damit es dabei bleibt?

Es ist wichtig, die neue Verhaltensweise mindestens sechs Wochen durchzuhalten. Besser noch zwei bis drei Monate. Dann erst bilden sich neue Gewohnheiten. Bestenfalls wird das neue Verhalten zum Automatismus und ich führe es dann in Zukunft einfach aus, ohne groß darüber nachdenken zu müssen.

Zwischen Persönlichkeitsentwicklung und Optimierungswahn ist es ein schmaler Grat. Wie gehe ich diesen am besten?

Ratsam ist es, die Grundzüge der eigenen Persönlichkeit anzunehmen und die Vorzüge darin zu erkennen. Nicht jeder Mensch hat zum Beispiel hohe Werte in den Big Five und das ist auch gut so. Denn wir brauchen Vielfalt. Wären wir alle gleichgestrickt, könnten wir die vielen Nischen, die es in unserer Gesellschaft gibt, gar nicht ausfüllen. Jeder Charakterzug hat seine Vor- und Nachteile. Wer introvertiert ist, sollte akzeptieren, dass er oder sie mehr Zeit für sich braucht als andere. Und sich auf die positiven Seiten dieser Eigenschaft besinnen: Wer ruhig und in sich gekehrt ist, kann sich tendenziell länger auf eine Sache konzentrieren, besser zuhören, und gut mit sich allein sein. Wer als introvertierte Person dazu neigt, sich einzuigeln, kann gleichzeitig schauen, wie sich soziale Kontakte aufrechterhalten lassen, um nicht zu vereinsamen.

Wann wird das Optimieren ungesund?

Ungesund wird es, wenn wir uns selbst stark ablehnen, sehr stark nach äußeren Idealen streben und glauben, erst dann liebenswert zu sein, wenn wir diesen entsprechen. Schwierig wird es auch, wenn die Selbstoptimierung zu exzessiv ist und wir versuchen, uns komplett umzukrempeln. Das kann eine Persönlichkeitsentwicklung im positiven Sinne eher behindern als fördern.

Vielen Dank für das Gespräch!

Brigitte

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