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"Ich hab’s dir 1000 Mal gesagt!" Warum wir in Beziehungen nicht übertreiben sollten

Übertreiben: Paar im Cafe
© Shutterstock/Peter Bernik
Im Alltag können wir unserer Erzählungen mithilfe von Übertreibungen interessanter gestalten - doch in der Beziehung sollten dir darauf nicht zurückgreifen. Oskar Holzberg erklärt, warum Übertreibungen in der Partnerschaft schädlich sind.

"Was war eigentlich mit dir los, dass du gleich zehnmal angerufen hast?", fragt Tom und grinst dabei freundlich. Sein Lebensgefährte Andréfindet das allerdings gar nicht komisch: "Von wegen zehnmal! Es war vielleicht dreimal. Dreimal! Wieso erzählst du so einen Quatsch!" Tom ist über den Ausbruch irritiert. "Mein Gott, dann waren es eben dreimal. Mach doch jetzt nicht so einen Aufstand. Ist doch egal, ob es nun drei- oder 30-mal waren." Das regt Andre erst recht auf. Und immer wieder fragt er wütend, wieso Tom nicht bei der Wahrheit bleibt.

Wenn wir übertreiben, dann verzerren wir die Wirklichkeit. Wir manipulieren sie. Bei genauerer Betrachtung waren wir weder im Urlaub "in allem hundertprozentig" einer Meinung, noch ist unser Partner im Restaurant "aber so was von voll" auf die Blondine am Nebentisch abgefahren, dass er "in seine Krabbensuppe gesabbert" hat. Übertreibung ist ein Stilmittel unserer Alltagsprosa, wir gestalten damit unsere Erzählungen interessanter. Doch in der Partnerschaft äußern wir mit Übertreibungen indirekt unsere Gefühle. Anerkennung mit der "hundertprozentigen" Harmonie. Verdeckte Wut mit dem "sabbernden, voll auf sie abgefahrenen" Partner.

Wir verzerren die Wirklichkeit - ein Stilmittel. Aber auch eine indirekte Art, Gefühle auszudrücken

Wir möchten uns der Liebe unseres Partners sicher sein. Da wir nicht in ihn hineinschauen können, lesen wir seine Gefühle daran ab, wie er uns sieht. Wir achten daher genau darauf, welches Bild er von uns vermittelt. Wenn wir angeblich "wie eine Verrückte herumgetobt" sind – heißt das, dass er uns zu aggressiv findet? Glaubt er, er sei uns gleichgültig, weil er behauptet, uns etwas schon "tausendmal" vergeblich gesagt zu haben? Mehr unbewusst als bewusst wehren wir uns dann gegen das schlechte Bild von uns, das in der Übertreibung lauert. Wir bekämpfen es mit dem heiligen Ernst eines Wahrheitsfanatikers. Keinesfalls hätten wir getobt! Niemals habe er es "tausendmal" gesagt! Und selbst über lächerliche zehn Minuten mehr oder weniger, die wir uns verspätet hätten, kommt es zum Streit. Forscher sprechen von "primärer Panik", die unbewusst in uns ausgelöst wird, sobald wir uns in unseren wichtigen Bindungen bedroht fühlen. Diese Angst macht kleinlich und verwandelt uns in emotionale Buchhalter. Das ist der Grund, weshalb Andréso sehr mit Tom um die Anzahl der tatsächlich von ihm getätigten Anrufe streitet. In Wahrheit befürchtet er, als abhängig und klammernd gesehen zu werden.

Oskar Holzberg ist seit über 30 Jahren verheiratet, seit mehr als 20 Jahren berät der Psychologe Paare. Dabei stellte er fest, dass einige Sätze für alle Beziehungen gelten. In jeder BRIGITTE stellt er einen davon vor.
Oskar Holzberg ist seit über 30 Jahren verheiratet, seit mehr als 20 Jahren berät der Psychologe Paare. Dabei stellte er fest, dass einige Sätze für alle Beziehungen gelten. In jeder BRIGITTE stellt er einen davon vor.
© Ilona Habben

Ein negatives Bild von uns alarmiert uns so sehr, dass wir es selbst in der Vergangenheit nicht bestehen lassen wollen. Das Lob in "Heute bist du viel weicher. Früher hast du Wochen gebraucht, um nicht mehr zu schmollen!" geht unter. Stattdessen streiten wir: "Wochen? Ich habe niemals Wochen ...".

Wir reagieren umso unwirscher auf Übertreibungen, je unsicherer sich unsere Liebesbeziehung gerade anfühlt oder je mehr unser Selbstwertgefühl im Keller ist. Unsere Liebe ist so bedeutsam für uns, dass wir auf alles, was sie trüben könnte, sofort reagieren. Deshalb ist es besser, wenn wir nicht übertreiben, um nicht auseinander zu treiben.

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