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Trennungs-Phasen: "Man kann sein Leben verstehen lernen"

Nach einer Trennung durchläuft der Mensch vier Phasen, sagt Soziologin Annelie Keil. Im Interview gibt sie Tipps, wie man die Trennungs-Phasen übersteht.

BRIGITTE: Sie sagen in Ihrem Buch, wenn man sich gegenseitig zum Unglück wird, dann ist es Menschenpflicht, sich zu trennen. Warum so strikt?

Annelie Keil: Wenn zwei weder ihr eigenes noch ein gemeinsames Leben miteinander hinkriegen, weil sich Demütigung, Gewalt, Groll eingeschlichen haben, wenn der Alltag nicht mehr läuft, wenn man sich körperlich nicht mehr gut fühlt, wenn das Klima unwürdig wird, dann muss man gehen aus dieser krank machenden Beziehung. Auch, um dem anderen Menschen nicht Gelegenheit zu geben, seine böse oder dunkle Seite an mir auszuleben - indem ich die Opferhaltung einnehme.

BRIGITTE: Ist Unglück in der Beziehung gefährlicher für die Gesundheit als Unglück durch eine Trennung?

Annelie Keil: Schlechte Ehen sind der Hauptkrankmacher, noch vor der Arbeit. Das können wir durch die Psychoneurobiologie belegen, die erforscht, wie soziale und seelische Faktoren in das Immunsystem hineinwirken. In einem aggressiven Klima, das sehr von Gewalt und Demütigung geprägt ist, wo ich nur funktionieren muss, sind das Immunsystem und das Nervensystem stark angegriffen. Es kommt zu Erschöpfungszuständen, zu hohem Blutdruck, Schlaflosigkeit - wann das in eine Krankheit umschlägt, ist verschieden. Umgekehrt ist ja bekannt: Wenn es ein stützendes, liebendes, anerkennendes Umfeld gibt, dann sind bei schweren Krankheiten die Heilungs-Chancen größer.

BRIGITTE: Aber große Verluste schwächen unser Wohlbefinden oft auch nachhaltig.

Annelie Keil: Ja, die nicht aufgelösten Teile einer Trennung finden sich oft in Krankengeschichten wieder. Alles, was man im Leben nicht verarbeitet, sei es Tod, Trennung, Verrat, bildet riesige Müllhalden. Zwei Faktoren haben sich als besonders krank machend herausgestellt: Hilflosigkeit, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, und Hoffnungslosigkeit, keine Utopie mehr zu haben.

BRIGITTE: Aber wohin mit Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit - wenn sie nun einmal da sind?

Annelie Keil: Dann muss ich dringend raus aus der Opferhaltung. Solche Gedanken bringen nichts: Ich kann nichts dafür, ich kann nichts machen, ich werde nie wieder einen abbekommen, ich bin außen vor, jetzt bin ich arm, ich bin diskriminiert.

BRIGITTE: Warum drängen sich diese negativen Gedanken dennoch auf?

Annelie Keil: In einer Trennung spürt man viel mehr, als einem klar ist. Zum Beispiel: Wie ganz bin ich? Wovor habe ich am meisten Angst? Dass ich nicht genug Geld habe? Dass ich als Einzelperson nicht anerkannt werde? Nicht, warum ist er gegangen, ist die Frage, sondern: Was kann, muss, soll oder darf ich werden, damit mein Leben wieder mit Liebe gefüllt wird?

BRIGITTE: Also am besten schnell eine neue Liebe suchen und finden?

Annelie Keil: Das halte ich nicht für eine Alternative. Man kann die eine Beziehung fix gegen eine andere tauschen - oder man kann sein Leben verstehen. Solange es um Sieg oder Niederlage geht, darum, wer hat Recht und wer Schuld, so lange bin ich in einem Gefängnis.

BRIGITTE: Muss die Trauer richtig ausgekostet werden? Soll ich zum Beispiel ein neues Glück erst mal in die Warteschleife schicken?

Annelie Keil: Leiden ist ja nicht schön. Es sei denn, man leidet gern. Auch wenn schon ein Neuer da ist, gibt es wichtige Fragen: Was war die Zeit mit diesem Menschen für mich? Da ist ja ein Stück Geschichte zu Ende, die muss ich bewerten. Da muss ich sehen: Diese Qualitäten habe ich eingebracht, jene aber nicht. Jetzt geht es darum: Was will ich eigentlich von der Zukunft? Wo stehe ich, wo komme ich her, wo will ich hin?

BRIGITTE: Bilanz ziehen: Aus dem Gefühl der Fülle ist das angenehm, aber wenn ich gerade am Boden bin, ist es schwer zu ertragen.

Annelie Keil: Nein, das ist eine Chance. Das Leiden an der Trennung ist nie ein Leiden, das nur mit der Liebe und dem Partner zu tun hat. Es kommt die Grundfrage ans Leben hoch: Meine Eltern haben mich nicht geliebt, mein Mann nicht, ich bin nicht attraktiv genug. Das heißt: Die Gesamtschicht meiner Biografie kommt zutage. Wie fühle ich mich eigentlich im Leben? Das löst jede Trennung aus. Ich habe das erlebt: Mein Mann und ich galten lange als das Beispielpaar in Bremen, wir waren bekannt, die Trennung kam ohne Vorankündigung. Er hatte sich in eine andere verliebt. Und da kam das Trauma meiner Geburt wieder zutage. Ich wurde gleich nach der Geburt von meiner Mutter in ein Kinderheim gegeben. Damals konnte ich mich nicht wehren. Jetzt wurde ich wieder verlassen. Ich habe verstanden, dass diese Trennung mit mir nichts zu tun hat, meine Gefühle hatten sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht verändert. Er konnte es auch nicht erklären, er hat gesagt: Du warst meine große Liebe. Aber er hat sich nun mal wieder verliebt.

BRIGITTE: Das klingt sehr vernünftig, aber weh getan hat es sicher auch.

Annelie Keil: Es hat auch keiner versprochen, dass das Leben nicht weh tut. Man muss unterscheiden lernen, was der emotionale Verlust ist und was der ökonomische, wo geht es auch ums Ansehen? Alles das gehört zum Verlustgefühl und hat oft nichts mit Liebesschmerz zu tun.

BRIGITTE: Es ist ein großer Unterschied, ob man geht oder verlassen wird. Es geht ja auch um den Stolz.

Annelie Keil: Sicher, allerdings sind immer beide beteiligt, die Frage ist nur, wer hat den Mut, es als Erster zu artikulieren. Unbewusst steckt bei dem Verlassenen auch der Ärger über sich selbst dahinter, dass man nicht zuerst gegangen ist. Man hat es ja gespürt und weiß, dass der andere für sich Recht hat. Aber in unserer Gesellschaft darf man nicht verlieren.

BRIGITTE: Wer sich aktiv trennt, weil die Beziehung ihn eingrenzt und hemmt, der muss oft mit Schuldgefühlen leben.

Annelie Keil: Weil andere verlangen: Du sollst so leben, wie wir uns das vorstellen. Keiner sagt: Toll, dass du dich so entwickelst, ich bin eben ein bisschen langweilig. Aber wenn ich erkenne: Mit diesem Mann kann ich nicht im Mindesten so leben, wie ich das brauche - dann muss ich gehen. Wenn ich mir mein Leben lustig, frei und abenteuerlich vorstelle, kann ich nicht bei einem depressiven Stubenhocker bleiben. Niemand ist verpflichtet, einen anderen glücklich zu machen.

BRIGITTE: Schuldgefühle sind also unangebracht?

Annelie Keil: In einer Beziehung zu bleiben, wo man sich ständig gegenseitig entwürdigt, das macht in meinen Augen schuldig. Wie leben wir denn miteinander? Ein normaler Erwachsener kann heute nicht einen Nachmittag allein weg sein, ohne dass wir wissen, wo er ist. Er muss einen Zettel auf den Tisch legen: Bin einkaufen, komme gleich zurück. Diese Kontrolle ist allgegenwärtig. Weil die Angst da ist, der geht zum Zigarettenautomaten, und das nächste Mal wird er am Kap Horn gesehen. Wir sind auf Friede, Freue, Eierkuchen geeicht. Das ist nicht das Leben, das Menschen brauchen.

BRIGITTE: Gerade am Ende von Beziehungen kommt die Würde oft unter die Räder.

Annelie Keil: Im hässlichen Ende wird leider oft das ertränkt, was vorher positiv war. Wenn jemand dich, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr liebt, dann ist es Zeit zu gehen. Du kannst doch niemanden zwingen, dich zu lieben. Allerdings, wenn beide sagen, wir haben eine Qualität in unserem Leben erreicht, dann kann man auch ohne Liebe, ohne Sexualität zusammenbleiben. Aber viele Paare scheitern, weil sie keine Freundschaft entwickeln.

BRIGITTE: Wenn die Liebe geht, fühlt man sich als Versager.

Annelie Keil: Und das ist Unsinn. Trennungen bringen allerdings bestimmte Fragen besonders hart hervor: Wie selbständig bin ich, wie annehmbar bin ich, wie attraktiv? Das ist es, was uns so zu schaffen macht.

BRIGITTE: Und wie werden wir wieder froh?

Annelie Keil: Man müsste erst mal gar nicht so am Boden zerstört sein, wenn man begreifen würde, dass Liebe kein Tank ist, wo man bis zum Ende der Tage immer den Saft abzapfen kann. 13 Jahre Beziehung sind doch auch schon sehr schön. Die Liebe ist eine Energie, die sich jeden Tag verändert. Ihre Endlichkeit ist allgegenwärtig. Auch das macht sie so wertvoll.

BRIGITTE: Wie lernen wir aus dem Verlust?

Annelie Keil: Erst mal muss ich mir klar machen: Was zur Trennung führt, ist nicht der Partner - sondern wir haben zusammen auf Dauer keine Lebensqualität hingekriegt.

BRIGITTE: Und wenn es einfach der Falsche war?

Annelie Keil: Ja, warum war ich denn überhaupt mit dem zusammen? So einfach ist es nicht. Die falsche Vorstellung, dass das wunderbare Gefühl reicht, um ein Leben zu gestalten, das schafft Trennungen. Liebe ist Provokation, Utopie. Wir machen uns nicht klar: Bis zum letzten Atemzug werde ich meinen Partner nicht kennen. Ich weiß nicht, wie er sich verhalten wird, wenn unser Kind behindert geboren wird, wenn er arbeitslos wird, wenn unser Sohn in der Pubertät Drogen nimmt. Dieses Fremde kann eine Herausforderung sein, sich in der Liebe zu entwickeln. Und es hat die Möglichkeit, zu scheitern. Das zu erkennen ist wichtig, um die nächste Beziehung besser zu machen.

BRIGITTE: Sonst gibt es kein neues Glück?

Annelie Keil: Ja, ohne Verarbeiten haben wir ganz schlechte Karten. Das muss kein psychisches Tiefseetauchen sein, sondern Innehalten: Was ist jetzt wichtig? Worauf man sitzen bleibt, das ist immer gefährlich. Das wirkt auch Jahre nach der Scheidung. Plötzlich hat der Ex eine Neue - das kränkt dann wieder, auch nach Jahren.

BRIGITTE: Manche Erkenntnisse brauchen viel Zeit.

Annelie Keil: Natürlich. Und manche brauchen mehrere Trennungen, um zu den richtigen Fragen vorzudringen. Liebe ist ein Kind der Freiheit, aber sie beginnt mit einer Inbesitznahme. Man brennt praktisch jedes Mal mit einem fremden Menschen durch. Wenn man das versteht, löst man sich von falschen Erwartungen. Und wenn es in einer anderen Beziehung wieder Probleme gibt, kann ich sagen: Dich Problem kenne ich doch. Und diesmal gehe ich anders damit um. Jetzt lauf ich nicht weg. Ich sage früher etwas. Und ich überrolle meinen neuen Freund nicht mit neuen Wünschen, sondern lerne, die Liebe gemeinsam zu leben.

BRIGITTE: Aber nicht jeder kann nach einer Trennung sein Leben total neu einrichten und dabei noch tief philosophieren.

Annelie Keil: Nein, zuerst muss getan werden, was zu tun ist. Da sind die Kinder. Da ist der Beruf. Darum muss ich mich kümmern. Das ist der Wurf in die Zukunft, das ist der erste Heilungsschritt.

BRIGITTE: Und wann sind wir wirklich wieder frei für eine neue Liebe?

Annelie Keil: Wenn sie uns begegnet. Ich wurde zum Beispiel schwer krank, nachdem ich verlassen worden war, und der Zeitpunkt war kein Zufall. Das hat alles geändert. Ich dachte: Du wirst doch nicht aus Liebeskummer dein Leben hergeben. Ich habe mich plötzlich in mein eigenes Leben verliebt. Ich glaube, ich kann jetzt erst bedingungslos lieben.

Annelie Keil

, 67, ist emeritierte Professorin der Uni Bremen und schrieb u. a. das Buch "Wenn Körper und Seele streiken" (Ariston, 216 Seiten, 19,95 Euro)

Interview: Vera Sandberg BRIGITTE Heft 08/2006

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