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Queere Beziehung "Liebe wird leider immer noch mit Besitz und Leid gleichgesetzt"

Polyamore Beziehung: Die Michalskis
Polyamore Beziehung: Geht das? Lui, Saskia und Marcin Michalski beweisen: Ja, das geht.
© Sven Hüsemann
Saskia, Lui und Marcin Michalski leben seit zwei Jahren polyamor, nun haben sie ihre Beziehung geöffnet. Ein Gespräch über Zeitmanagement, Kommunikation – und ganz viel Liebe.

Die Michalskis, bestehend aus Saskia, Lui und Marcin, führen seit zwei Jahren eine Bilderbuch-Beziehung und -Ehe. Mit dem Unterschied, dass sie ihre romantische Beziehung nicht monogam, also zu zweit, verbringen, sondern zu dritt. Mit ihrer polyamoren Beziehung haben die drei bis heute viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, auch mit uns haben sie letztes Jahr gesprochen. Seitdem ist viel passiert – unter anderem haben sie ihre Beziehung geöffnet. Im Interview sprechen sie mit uns über den Weg dorthin, Klischees zum Thema Polyamorie und warum sie wohl noch die nächsten Jahre zu dem Thema aufklären müssen.

Vor einem Jahr habt ihr mit uns über das Thema polyamore Beziehung gesprochen – was hat sich seit dem bei euch getan? Wie hat sich eure Beziehung weiterentwickelt?

Lui: Gefühlt hat sich sehr viel verändert. Wir sind zu dritt vor zwei Jahren zusammengekommen – beziehungsweise, die beiden (Saskia und Marcin) waren schon lange zusammen und ich bin dazugekommen – und hatten ein sehr festes Bild für die Zukunft: Demnächst Kinder bekommen, zu dritt in ein Haus ziehen und bis zum Ende unseres Lebens so bleiben. Irgendwie sind wir in der Zwischenzeit aber auch zu Menschen des öffentlichen Lebens geworden, haben ein Business aufgebaut, sehr viel erlebt und getan und uns auch persönlich stark entwickelt.

Wir haben gemerkt: "Hey, wir haben die Kapazität, um noch mehr Liebe reinzulassen!"

Beziehungstechnisch hat sich insofern etwas getan, als dass wir uns gelöst haben von dem Bild des geschlossenen Trios, weil wir gemerkt haben: "Hey, wir haben die Kapazität, um noch mehr Liebe reinzulassen!" Und das Öffnen unserer Beziehung hat dann natürlich auch die komplette Dynamik verändert.

Saskia: Ich würde noch ergänzen, dass ich für meinen Teil nicht das Gefühl habe, ein komplett anderer Mensch zu sein. Vielmehr bin ich mehr ich selbst, als ich es jemals war. Und das haben wir auch nur erreichen können, weil wir zu dritt in diese Reise gegangen sind. Man muss sich das so vorstellen: Alles, was wir erlebt haben, haben wir immer zu dritt erlebt, unsere persönliche Entwicklung haben wir auch zu dritt durchgesprochen, haben uns dem Hate gestellt und zwei Jahre lang durchgepowert und alles irgendwie durchgestanden.

Wir kamen dann an einen Punkt, an dem wir einfach mal drei Wochen Urlaub gemacht haben und das war eine unglaubliche Zeit des Runterkommens und Reflektierens und auch der Veränderung. In dieser Zeit sind wir extrem gewachsen und dann kam es ganz schleichend, dass wir hypothetisch über Dinge sprachen wie: "Was wäre denn, wenn das so und so wäre?“ Und so kamen wir dazu, unsere Beziehung zu öffnen, was natürlich noch einmal viel verändert hat.

Zum Thema polyamore Beziehung haben viele Menschen eine Meinung, oft hört man Argumente wie: "Das ist doch viel zu zeitaufwendig!“ oder "zu anstrengend“, "irgendwer ist immer verletzt“. Würdet ihr sagen, eure Beziehung ist aufgrund ihrer Art zeit- und arbeitsintensiver als eine monogame Beziehung oder gibt es sogar gewisse Aspekte, die einfacher sind?

Saskia: Also zum Thema zeit- und arbeitsintensiv würde ich sagen: Jein. Dabei ist die Frage, ob man von der Liebe oder wirklich vom Zeitmanagement spricht, mich erschöpfen beispielsweise mehrere Liebesbeziehungen nicht in Bezug auf meine Liebeskapazität – aber es bedarf schon eines gewissen Zeitmanagements. Ich würde also sagen: Wir sind definitiv nicht begrenzt in Bezug auf die Liebe in uns, aber Zeit und Energie sind es absolut. Ich würde aber nicht sagen, dass das unsere Art von Beziehung schwieriger macht.

Wir haben durch unsere Beziehung ein Kommunikationslevel erreicht, was ich so noch nie in einer monogamen Beziehung hatte, wodurch sich Dinge erst gar nicht aufbauen können, weil sie unausgesprochen sind. Die Vorteile überwiegen für mich in jedem Fall, das merke ich schon in den Workshops, die ich zu dem Thema gebe. Ich glaube aber, man muss sich schon selbst sehr bewusst sein, um so eine Beziehung führen zu können.

Lui: Man muss auch differenzieren zwischen dem ganzen Prozess des Öffnens der Beziehung und dem Jetzt, wo wir polyamor offen leben, das war eine wahnsinnige Arbeit. Im November war unser Urlaub und wir haben dann drei Monate damit verbracht, miteinander zu sprechen, da kann man schon fünf Stunden pro Tag einrechnen.

Jetzt sind wir an einem Punkt, wo es wieder leicht ist, weil wir aber auch diese Arbeit gemacht haben und gemeinsam auf ein Level gekommen sind. Aber wenn man gerade erst in eine offene oder polyamore Beziehung startet und sich vielleicht noch nicht sicher ist, vielleicht auch noch ein ganz anderes Bild von der Zukunft in sich trägt und sich erst nach und nach davon lösen muss, das ist schon richtig arbeitsintensiv.

"Wir haben immer gegenseitig die Entstehung der neuen Beziehung miterlebt und das ist enorm wichtig."

Saskia: Essenziell ist es auch, sich gegenseitig abzuholen. Wir haben zu dritt immer alles gemeinsam besprochen, Marcin und ich wissen, wie es mit Lui und ihrer neuen Freundin ist und Lui und Marcin wissen, wie es mit dem neuen Menschen in meinem Leben läuft. Wir haben immer gegenseitig die Entstehung der neuen Beziehung miterlebt und das ist enorm wichtig.

Medial wird gerne das Bild des oder der "Einen" vermittelt. Wie erklärt ihr euch in diesem Kontext die große mediale Aufmerksamkeit, die ihr mit eurer polyamoren Beziehung erhalten habt?

Lui: Erst einmal glaube ich, dass wir das doch eigentlich alle kennen, dass wir mehr als eine Person gut finden oder fanden. Bei mir hat das zumindest nie aufgehört und ich glaube, dass viele Menschen bei uns gesehen haben: "Schau mal, es kann ja okay sein, Liebe mit mehr als einem Menschen zu teilen." Ich erkläre mir unseren Erfolg aber auch dadurch, dass wir zwar in einer polyamoren Beziehung leben, aber trotzdem immer noch stark in die heteronormativen Strukturen passten. Wir waren geschlossen zu dritt, die große Liebe, aber eben zweimal. Wir lebten ein bisschen den monogamen Traum, nur eben zu dritt.

"Es ist eben nicht so, dass eine einzelne Person 100 Prozent meiner Bedürfnisse, Wünsche, Träume und sonst irgendetwas erfüllen muss."

Saskia: Ja, ich habe dann nur den ganzen Hate abbekommen, weil ich die in der Mitte war und zwei Beziehungen führte und dann ja ganz klar sein muss, dass die anderen beiden unter meiner Liebe leiden müssen und ich einfach nicht genug bekomme. [lacht] Aber was ich vor allem in den Q&As merke und für mich der wichtigste Grund ist, ist, dass viele Leute sagen: "Endlich spricht es mal jemand aus!" Dass es eben nicht so ist, dass eine einzelne Person 100 Prozent meiner Bedürfnisse, Wünsche, Träume und sonst irgendetwas erfüllen muss. Und nebenbei auch nicht meine BFF oder sonst wer, sondern, dass es einfach Dinge gibt, die woanders erfüllt werden können, das aber nicht heißen muss, dass es die andere Beziehung revidiert.

Unser Postfach ist voll mit Menschen, die in einer monogamen Beziehung waren, nie wirklich über solche Themen geredet haben und Schwupps ist eine:r von ihnen fremdgegangen. Und da muss man sich doch fragen: Warum ist es "normaler" zu betrügen? Weil wir es kennen. Wir kennen es aus Filmen, von anderen, von der Gesellschaft. Und ich glaube auch, dass sich die Leute sehr stark für uns interessieren, weil sie das Thema Eifersucht sehr beschäftigt, sie darunter leiden und sich davon befreien wollen.

Was hat sich an den Kommentaren geändert, seit ihr eure polyamore Beziehung geöffnet habt? 

Lui: Wir bekommen natürlich immer noch wahnsinnig viel Hate ab. Ich denke, unsere Aufklärungsarbeit bei dem Thema ist eher ein Projekt für die nächsten zehn oder 15 Jahre. [lacht] Aber irgendwo auch verständlich, denn jetzt sprechen wir ja wirklich mal über Polyamorie. Vorher waren wir eher "Polyamorie light" und jetzt geht es wirklich zur Sache, jetzt sind wir wirklich daran, die Monogamie zu hinterfragen, machen deutlich, dass Liebe kein Besitz ist und andere Sachen, die manche Leute erst einmal triggern.

Saskia: Wir sind eben nicht mehr so "Disney". [lacht] Vorher hattest du drei Leute, die du hinstellen konntest, mit zwei Ringen. Ich habe zwei Ringe in die Kamera gehalten und die Message war: "Wir drei gegen den Rest der Welt!" Und jetzt rütteln wir ja an den Pfeilern der Monogamie und das macht den Leuten Angst. Es gibt viele Menschen, die Angst haben, dass ihr:e Partner:in uns sieht und denkt: "Oh, das möchte ich auch haben." Und manche Menschen wollen das eben nicht, haben panische Angst davor, ihre Beziehung zu verlieren.

Stehen wir uns also selbst im Weg? Auf vielen deiner Posts, Saskia, heißt es: "Ich habe so viel Liebe in mir." Man dürfte meinen, das gilt dann auch für alle anderen Menschen, warum also nicht auch bei romantischen Beziehungen?

Saskia: Liebe, Leid und Besitz werden leider immer noch gleichgesetzt. Auch in Freund:innenschaften herrschen noch sehr viel Eifersucht und Unsicherheiten vor. Und natürlich haben wir alle unsere Unsicherheiten und beim Thema Eifersucht gilt es erst einmal bei sich zu schauen und sich zu fragen: Woher kommt diese Eifersucht? Aber es hängt eben auch stark davon ab, wie sich die Person, die meine Eifersucht weckt, mir gegenüber verhält. Würde sie sich entziehen, wichtige Themen nur durch die Blume kommunizieren, nur noch die Hälfte erzählen, dann ist Eifersucht nicht unbedingt unbegründet, sondern valide und relevant.

"Es gehört dazu, sich nach einem missglückten Streit hinzusetzen und zu sagen: 'Du, das war gerade wirklich scheiße von mir.'"

Die wichtigsten Fragen sind doch, egal bei welcher Form von Beziehung: Habe ich einen sicheren Hafen mit der anderen Person? Bin ich ein Team mit der anderen Person? Wie begegnet mir die andere Person? Auch beim Thema Konflikte ist das sehr wichtig, es muss immer der Wunsch vorne stehen: Du bist mein Team, ich möchte mit dir zusammen sein und das jetzt lösen und da gehört es auch dazu, sich nach einem missglückten Streit hinzusetzen und zu sagen: "Du, das war gerade wirklich scheiße von mir, ich fühle mich schuldig und ich bin es auch." Es wird nur zum Problem, wenn beide eine Egoschiene fahren und sagen: "Das ist mir egal, ich will das jetzt so machen, wie ich das für richtig halte." Und das haben wir in unserer Beziehung bisher immer sehr gut gelöst bekommen.

Barbara

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