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Grenzenlose Empathie? Wie wir mitfühlend bleiben, ohne daran zu zerbrechen

Zwei Menschen aus Origamipapier sitzen sich gegenüber
© dream@do / Adobe Stock
Empathie empfinden, ohne sich in ihr und dem Leid der Welt zu verlieren – ist das möglich? Ja, mit der richtigen Herangehensweise.

Sie sitzt vor dir und du kannst das zerbrochene Herz förmlich sehen, während ihr die Tränen die Wangen herunterfließen. Während du sie betrachtest, hilflos ihre Hand hältst, damit sie etwas hat, an dem sie sich festhalten kann, spürst du, wie sich durch dein eigenes Herz Risse ziehen, wie dir selbst die heißen Tränen in die Augen schießen, wie ihr beide einen Abgrund hinabfallt.

Empathie macht uns zu Menschen. Sie kann sich wundervoll anfühlen, wenn uns die Freude unserer Liebsten packt und wir am liebsten in die Luft springen würden. Doch genauso kann sie uns zu Boden reißen, das Leid der anderen zu unserem persönlichen Schmerz machen. Beides ist – wie so vieles im Leben – in Maßen auch in Ordnung und gesund. Die Alternative wäre, von der Welt und unseren Mitmenschen emotional abgekapselt zu sein, keinen Zugang zu den Emotionen anderer mehr zu haben – und schließlich nicht einmal mehr zu unseren eigenen.

Doch wenn unser eigenes Seelenheil von den Launen unserer Mitmenschen abhängt, dann fehlt es uns an wichtigen Grenzen. Wie wir diese ziehen können, ohne uns emotional zu distanzieren und wie wir mitfühlend sein können, ohne selbst daran zu zerbrechen, haben wir in diesem Artikel zusammengefasst.

Was Empathie bedeutet und warum sie so wichtig ist

Die American Psychological Association (APA) beschreibt Empathie als das Verstehen einer anderen Person aus derer Position heraus – und nicht unserer eigenen. Auch gemeint sein kann, dass wir stellvertretend die Gefühle, Wahrnehmungen und Gedanken der Person erleben. Das kann – muss aber nicht – das Bedürfnis in uns wecken, dieser Person zu helfen. Wie oft begegnen uns schließlich in unserem Alltag Menschen, die unser Mitgefühl wecken, ob im Alltag oder in Medien? Und wie oft halten wir inne, um diesen Menschen eine Unterstützung zu sein? Wie oft haben wir überhaupt die Kapazitäten dazu? In manchen Fällen könne laut der APA unser Mitgefühl jedoch darin umschlagen, dass wir die Motivation finden, zu helfen – oder aber auch, persönliches Leid zu empfinden.

Wie das "Greater Good Magazine" schreibt, gibt es laut Forschungen zwei Ausprägungen von Empathie: empathisches Leid und empathische Sorge. Ersteres ist negativ behaftet, meint Situationen, in denen wir uns auf unsere eigenen negativen Emotionen konzentrieren und in unserem Leid gefangen sind. Im Widerspruch dazu steht empathische Sorge, die auf unser Gegenüber gerichtet ist, ruft Mitgefühle und den Wunsch in uns hervor, unserem Mitmenschen zu helfen.

Grundsätzlich hilft Empathie dabei, uns in unsere Umwelt hineinzuversetzen, eine – mitunter sehr tiefe und liebevolle – Verbindung zu unseren Mitmenschen aufzubauen, echte und starke Verbindungen zu schaffen. Gleichzeitig kann sie uns dabei helfen, unsere Welt zu verstehen – was die Menschen um uns herum antreibt und bewegt. Empathie fehlt, wo Hass, Rassismus, Gewalt und Ungerechtigkeit vorherrschen. Doch Empathie, bei der es keine Grenzen zwischen den Gefühlen der anderen und unseren eigenen gibt, bei der unsere eigenen Emotionen verzerrt werden, ist alles andere als gesund und erstrebenswert für uns. Wie kann es uns gelingen, sie zu regulieren?

Wie wir eine gesunde Empathie entwickeln

Wenn wir um die Fallstricke wissen, gelingt es uns zumeist leichter, in fordernden Situationen das notwendige Maß an emotionaler Erreichbarkeit und Distanz zu halten. Hier sind einige Tipps.

Vermeide die "Empathiefalle"

Wie das "Greater Good Magazine" beschreibt, handelt es sich bei der "Empathiefalle" um eine Situation, in der wir uns durch die Gefühle einer anderen Person selbst unwohl fühlen – es gelingt uns also nicht, die notwendige Distanz zu den Emotionen der Mitmenschen aufzubauen, die Grenze zu ziehen zwischen den Gefühlen anderer und unseren eigenen, weswegen beides miteinander vermischt.

Gehen wir zurück zum Beispiel der Freundin, deren Herz gebrochen ist: Natürlich fällt es uns in solchen Situationen manchmal schwer, selbst "die Ruhe zu bewahren". Doch zunächst gilt es, den Blick nicht auf unser Gegenüber, sondern auf uns selbst zu richten: Was brauchen wir gerade? Und wie können wir unserer Freundin gerade eine echte Hilfe sein? Das Online-Magazin nennt ein bekanntes und in dem Kontext beliebtes Beispiel der Sauerstoffmaske: Wenn es Turbulenzen im Flugzeug gibt, dann hat es nichts mit Selbstsucht zu tun, sich zunächst um die eigene Sauerstoffmaske zu kümmern und erst danach zu schauen, das andere versorgt sind. 

Frage dich selbst: Was geht gerade in mir vor?

Manchmal überkommen uns die Gefühle. Wenn wir unsere Freundin vor uns sitzen sehen, am Boden zerstört und verquollen von all den Tränen, da fühlen wir uns vielleicht zurückversetzt in eine Zeit, in der es uns sehr ähnlich ging. Vielleicht hatten wir auch damals ein gebrochenes Herz zu verkraften, vielleicht war es aber auch ein gänzlich anderer Grund, der uns so grausam zu Boden warf. Letztlich ist das auch zweitrangig, denn Fakt ist: Auch wenn es sich in diesem Moment so anfühlen mag: Was gerade in unseren Mitmenschen vorgeht und was uns damals beschäftigt hat, ist nicht dasselbe.

Allzu schnell schließen wir von uns und unseren Erfahrungen auf andere Menschen – was nachvollziehbar ist, aber selten der Situation unserer Mitmenschen gerecht wird. Vielmehr sollten wir uns in solchen Momenten, in denen wir uns stark getriggert fühlen, fragen, warum dem so ist. Woran denken wir gerade, welche Bilder haben wir vor Augen? Was lösen diese Bilder und Gedanken in uns aus? Gibt es auch andere mögliche Perspektiven? Wenn wir versuchen, uns und unsere Gedanken und Gefühle zu hinterfragen, anstatt sich ihnen hinzugeben, können wir vermeiden, empathisches Leid zu empfinden und stattdessen gesundes Mitgefühl aufbringen für unsere Mitmenschen.

Es gibt einen möglichen Zusammenhang zwischen Empathie und Angst, wie eine Studie feststellte. Dann nämlich, wenn wir das Gefühl haben, unseren Mitmenschen nicht helfen zu können, Angst haben, sie im Stich gelassen und enttäuscht zu haben. Doch indem wir für unsere Mitmenschen da sind – sie hören und sehen in ihren Bedürfnissen und ihnen den Raum geben, über ihre Emotionen zu sprechen (und uns auch selbst diesen Raum gestatten) – helfen wir ihnen bereits. 

Niemand erwartet eine Lösung für den Schmerz, oftmals gibt es auch keine schnelle Hilfe. Doch füreinander da zu sein – ohne sich dabei selbst aus den Augen zu verlieren oder in den Mittelpunkt zu stellen – ist oftmals genug.

Verwendete Quellen: dictionary.apa.org, greatergood.berkeley.edu, healthline.com, researchgate.net, psychologytoday.com, blog.calmclassroom.com, theconversation.com, uh.edu

csc Brigitte

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