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Paartherapie online: E-Mails vom Therapeuten

Mann und Frau nebeneinander an Laptops
© Yuganov Konstantin / Shutterstock
Ihre Beziehung kriselt. Auf eine Paartherapie kann sie nicht warten. Unsere Autorin findet Hilfe im Internet. Mit Tipps, wo Sie sich beraten lassen können.

Herzlich willkommen zur Paartherapie, Henriette! Hier unter "Therapeut" können wir uns unter vier Augen miteinander unterhalten. Schreiben Sie dazu einfach etwas in das Texteingabefeld, und wenn Sie fertig sind, klicken Sie auf "Abschicken". Ich weiß von Ihnen ja bisher fast gar nichts. Deshalb ist es für mich als Erstes wichtig, Ihre Partnerschaft kennen zu lernen. Könnten Sie bitte so nett sein und als Erstes die Partnerschaftstests "Zufriedenheit", "Sexuelle Zufriedenheit", "Wichtigste Ziele", "Kommunikation" und gegebenenfalls auch "Probleme nach einem Seitensprung" ausfüllen? Und dann hätte ich noch eine Frage: Könnten Sie so nett sein und mir Ihre momentane Situation in der Partnerschaft kurz schildern?

Es ist der 16. Juli, ich sitze vor meinem Computer, lese diese Mail gleich ein paar Mal und bin schon ein bisschen aufgeregt. Ich bin mitten in der Krise. Ich habe keine Zeit, erst einen Therapeuten zu suchen und dann noch drei Monate auf den ersten Termin zu warten. Eine Paartherapie zusammen mit meinem Mann hatte ich abgelehnt, weil ich damals dachte: Ich habe ja kein Problem! Er hat eins! Allmählich dämmert mir, dass das nicht stimmt. Jetzt will ich zur Therapie - er aber nicht mehr.

Den Psychologen Ragnar Beer von dem Göttinger Uni-Projekt "Theratalk" habe ich noch nie gesehen und nicht gesprochen. Ich heiße nicht Henriette, auch ich bleibe anonym.

Und jetzt soll ich einem wildfremden Menschen, den ich noch nie gesehen habe, von meinen intimsten Problemen schreiben? Ich mache erst mal die Partnerschaftstests und gebe Noten auf Fragen wie: "Wie zufrieden sind Sie mit der Zeit füreinander in Ihrer Partnerschaft?" (unzufrieden) oder: "Wie zufrieden sind Sie mit der Zärtlichkeit in Ihrer Beziehung?" (sehr unzufrieden) oder: "Wie zufrieden sind Sie mit dem Vertrauen?" (unzufrieden). Das dauert zwei Stunden, die Tests sind sehr umfangreich, und danach bekomme ich Ergebnisse präsentiert, in denen mich säulenartige Zufriedenheitsprozente mit dem Durchschnitt anderer Paare vergleichen, dazu erklärende Worte.

Es war ja zu erwarten, aber als ich es lese, bin ich doch geschockt: Nicht selten sind 84 Prozent aller anderen Befragten in wichtigen Aspekten ihrer Beziehung zufriedener als ich. Ich bin voll im roten Bereich! Es muss sich was ändern. Also schreibe ich: Wir sind seit zehn Jahren zusammen, haben zwei kleine Jungs (5 und 3), und mein Mann hatte vor ein paar Monaten eine Affäre und war kurz davor, sich von mir zu trennen. Er macht eine Therapie und hatte eine Lebenskrise: Beruf, Erfolg, Freiheit, Sinn des Lebens . . . Ich will diese Beziehung. Ich bin oft gestresst, gereizt, die Lust am Sex war lange verschüttet. Ich fühle mich beengt und bin oft selbst von mir genervt. Was in meiner Beziehung fehlt: Schwung, Offenheit, Leichtigkeit. Und jetzt bin ich auch noch 40 geworden . . . Ich klicke auf "Abschicken". Es ist 15.44 Uhr.

Am nächsten Morgen schalte ich meinen Computer an, und als ich mich mit meinen Passwörtern in den Therapiebereich einlogge, pocht mir das Herz bis zum Hals. Es ist eine Mischung aus Neugier, Erregung und Scham. Wie wird mein Therapeut reagieren? Ist das peinlich? Versteht er mich? Gibt er mir Tipps? Eine schlimme Diagnose? Wie will er es schaffen, mir zu helfen? Ich halte die Luft an und drücke auf "Einloggen".

Hallo, Henriette! Vielen Dank für Ihre Einführung (und herzlichen Glückwunsch zum 40. Geburtsag). Was wissen Sie denn alles darüber, wie es zum Seitensprung Ihres Mannes kam?

In einer zweiten Mail steht:

Ab und zu wird es vielleicht mal einen Tag geben, an dem Sie hier nicht hereinschauen können. Das ist nicht schlimm. Falls Sie mal länger weg sind, können wir eine Pause vereinbaren. Das sollte allerdings möglichst selten vorkommen, weil die Regelmäßigkeit für die Therapie wichtig ist.

Ich erschrecke: Täglich soll ich ihm schreiben? Das ist doch viel zu viel! Ich will doch nicht ständig meine Probleme wälzen! Und dann schreibe ich ihm in nicht mehr als fünf Sätzen, was ich über den Tathergang zum Seitensprung weiß. So geht das hin und her, dann werden einige Mails ausgekoppelt, in thematische Bereiche, die besprochen werden und die ich mit einem Ziel-Slogan versehen muss, beispielsweise: "locker, flockig, lustig sein" oder "Mehr Sex".

Am nächsten Morgen ist schon wieder Antwort da. Er will wissen, wie der Seitensprung aufflog. Warum mein Mann dann doch nicht abgehauen ist. Und wie es - laut Partnerschaftstest, den er sich angesehen hat - zu meinen großen Schuldgefühlen in der Beziehung kommt. Ich schlucke: Die Schuldgefühle hatten mich auch überrascht, als ich sie in der Testauswertung schwarz auf weiß gelesen hatte. Sie sind aber nicht nur laut Multiple Choice eindeutig da.

Ich fühle mich ertappt. Ich schreibe drei Antworten, knapp und geordnet. Es fühlt sich gut an, ich rekapituliere und sortiere mich. Und habe doch das Gefühl, wir sind auf der falschen Spur. Und weil Doktor Beer nicht wissen kann, dass die Affäre nicht mehr mein eigentliches Problem ist, sage ich ihm, dass ich schon so weit bin zu wissen, dass der Grund für den Seitensprung in meiner Beziehung zu suchen ist und nicht in der Wucht einer anderen Frau. Als ich mich auslogge, habe ich das Gefühl: Jetzt geht's ans Eingemachte. Es ist der sechste Tag.

Im Laufschritt komme ich am Morgen des siebten von der Kita an meinen Schreibtisch und hacke mich in den Therapiebereich.

Was hat Ihr Mann in der anderen Frau gesehen? Wie ging es weiter, nachdem Sie von der Äffäre erfahren haben? Wenn Sie eine bessere Liebhaberin werden wollten, was müssten Sie dann anders machen? Sie sprachen in Ihrer E-Mail von plötzlichen Gefühlsausbrüchen in letzter Zeit: Meinen Sie bei sich oder bei Ihrem Mann?

Ich antworte ausführlich. Und schreibe zum Schluss: Diese Sache hier fängt an, mir Spaß zu machen. Kann man da süchtig werden?

Mein Therapeut versucht auch in den nächsten Tagen verschiedene Aspekte anzusprechen. Er stellt konkrete Fragen, um sich ein Bild meiner Geschichte zu verschaffen. Er fragt immer wieder nach, ob er mich richtig verstanden hat. Ich fühle mich erkannt und aufgehoben.

Also haben Sie sich noch zusätzlich mit unrealistisch hohen Ansprüchen an sich selbst überfordert?

So was geht runter wie Butter. Hin und wieder insistiert er darauf, dass ich meine Gefühle erkläre: Etwa will er wissen, wie sich meine plötzliche Wut anfühlt, von der ich spreche - und wozu sie aus meiner Sicht gut sein könnte. Die Frage überrascht mich, und ich weiß keine Antwort. Geradezu perplex bin ich von der hier:

Inwiefern würden Sie sich selbst einen Gefallen tun, wenn Sie sich mehr um Ihr Liebesleben kümmern würden?

Ich starre auf den Bildschirm, mit gerunzelter Stirn und weit aufgerissenen Augen, merke, wie in meinem Hirn ein völlig neuer Gedankengang losrattert, ein Aha-Effekt: Stimmt eigentlich, denke ich, so könnte ich das auch mal sehen! Ich muss mich da selbst mehr engagieren, und zwar mir zuliebe.

Ich frage mich, was einer denken würde, wenn er mich so sähe: Wie ich da vor einer Maschine sitze und über mein Menschsein sinniere. Meine Arbeit beginnt, zweitrangig zu werden. Die Suchtgefahr aber, meint mein Doc, sei nicht groß, weil er hier verhaltenstherapeutisch arbeite: Er wolle sich als Therapeut so schnell wie möglich überflüssig machen.

Zunächst bin ich ein bisschen enttäuscht, weil er meine Ironie nicht zu verstehen scheint. Ich nehme mir vor, nächstes Mal einen Smiley anzufügen. Aber dann lese ich weiter: Die meisten Paare haben ihre Partnerschaft ja nicht so geplant, dass ständig ein Therapeut dabei ist. Der Mann gefällt mir immer besser. Wir schreiben uns täglich. Mein Mann stellt Mutmaßungen an: Ob ich einen Freund habe im Internet? "Vielleicht", sage ich grinsend.

Hallo, Henriette, mir fällt gerade auf, dass morgen unser letzter Tag ist. Wenn Sie möchten, könnten Sie zunächst für weitere vier Wochen verlängern, was ich Ihnen auch empfehlen würde.

Aber hallo, unbedingt! Wir haben gerade erst angefangen, und mir geht es so gut mit der Therapie: Ich fühle mich aufgehoben, jemand hilft mir beim Denken, und ich bekomme überraschende Aufträge. Ich soll meinem Mann zum Beispiel eine Flasche Cola mitbringen. Die Idee war von mir gekommen - nur an der Umsetzung haperte es. Ich hatte bemerkt, dass wir uns als Partner kaum mehr Aufmerksamkeiten zukommen ließen. Ich wollte ihm einfach mal was mitbringen, was er gern mag. Vier Mal muss mein Online-Therapeut nachhaken, ob ich jetzt die Cola gekauft hätte. Es wird nicht nur zum Running Gag. Sondern zu einer simplen Handlungsanweisung. Klar, eine Kleinigkeit, aber trotzdem weiß mein Mann: Ich habe an ihn gedacht und will ihm eine Freude machen.

Ob diese Therapie mir wirklich genutzt habe, hat mich eine Freundin gefragt. Ob es nur der Online-Doc war, der meine Beziehung wiederbelebt hat, weiß ich nicht. Vielleicht war es ein Prozess, den viele angeregt haben: Freunde, Bücher, Sport.

Aber die meisten Ratschläge und Fragen aus der Online-Therapie habe ich in die Ehe hineingetragen: "Du", habe ich zu meinem Mann gesagt, "mein Computerarzt sagt, kleine Aufmerksamkeiten bringen Freude - findest du nicht auch? Ich habe ihm gesagt, ich will lustiger und lockerer werden... und übrigens würde ich mich auch mal über ein paar Blumen freuen." So anfängermäßig habe ich alles ausgeplaudert; nach ein paar Wochen, als fortgeschrittene Patientin, habe ich manche Anregungen einfach ohne Ankündigung ausprobiert: Ich habe ihm öfter mal eine Freude gemacht, ohne Hintersinn. Ich habe beim Sex auch mal an mich gedacht. Und ich habe oft darüber nachgedacht, was mir meine Wut und meine Gereiztheit sagen wollen: Worüber ich so unzufrieden bin im Leben. Hat gewirkt. Mit meinem Mann bin ich wieder ganz zufrieden. Und am Ende der Therapie sind es die Tests auch mit mir.

Infos: Beratung und Paartherapie im Internet

"Theratalk" ist zur Zeit der einzige seriöse Anbieter von Paartherapie im Netz. Seit über zehn Jahren coachen Psychologen der Göttinger Universität auf www.theratalk.de Paare in Krisen. Die Wartezeit für einen Platz liegt zwischen zwei und drei Wochen. Pro Woche und Person kostet die Therapie 75 Euro. Die Krankenkasse übernimmt - wie bei einer normalen Paartherapie - die Kosten nicht. Im Idealfall macht man die Therapie gemeinsam mit dem Partner, "Theratalk" hat aber auch ein Konzept entwickelt, bei dem nur einer der Partner teilnimmt. Laut einer Studie waren 81 Prozent der Teilnehmer von "Theratalk" mit der Therapie zufrieden. Neben "Theratalk" gibt es im Internet viele Beratungsangebote, zum Beispiel die Online-Sexualberatung von Pro Familia (www.sextra.de) oder die Telefonseelsorge online (www.telefonseelsorge.de). Auf dem Portal www.das-beratungsnetz.de kann man sich über fast 200 verschiedene Einrichtungen informieren.

Die meisten Internet-Ratsuchenden sind junge Erwachsene. Beratung und Therapie im Netz sind gut für Menschen, die sich lieber schriftlich als mündlich offenbaren; die Zeit brauchen, um über Fragen und Antworten nachzudenken; die sich schlecht auf Termine festlegen können; die lieber anonym bleiben wollen; die eine relativ preiswerte Alternative suchen.

Ein Artikel aus der BRIGITTE 22/08 Foto: Punchtstock

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