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Oskar Holzberg Mit dem Herzen sehen

Oskar Holzberg: Frau mit Herz aus Papier in der Hand
© Studio Romantic / Adobe Stock
In der Kolumne unseres Paartherapeuten Oskar Holzberg dreht sich alles um typische Liebesweisheiten und ihren Wahrheitsgehalt, er seziert Sprichwörter, Songtexte und berühmte Zitate. Diesmal: "Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar" - Antoine de Saint-Exupéry, französischer Autor.

Kurz gesagt: Darf man diesem Satz noch irgendetwas hinzufügen? Man muss sogar.

Und jetzt mal ausführlich: Seufz. Das Herz geht uns auf, selbst wenn wir diesen Satz schon hundertmal gelesen haben, weil er in über 140 Millionen Büchlein gedruckt wurde. Das Wesentliche. Das, was wirklich zählt, jenseits vom Geklapper der Welt. Was uns bestimmt. Wonach wir uns sehnen. Was wir aber ständig aus den Augen verlieren, weil es nicht sichtbar ist. Weil Liebe eben mehr als ein Ring an einem Finger ist, Nähe mehr als Kuscheln auf der Doppelmatratze, Vertrauen mehr als ein gemeinsames Konto. Das Wesentliche können wir nur fühlend erfahren. Es existiert zwischen uns, unsichtbar, als das Verbindende. Und wo, wenn nicht in unseren Liebesbeziehungen, schauen wir mit dem Herzen?

Doch jetzt kommt der Twist, der Haken. Denn so wahr und ergreifend es ist, was der Fuchs zum kleinen Prinzen sagt, als alleinige Richtschnur unseres Liebeslebens ist es zu rosarot, und wir gehen verloren. So wie Frau G., die schon sah, dass der Mann, der gerade in ihr Leben stiefelte, etwas sehr breitbeinig daherkam. Ruppig und hart war er zu ihren Kindern, räumte das Wohnzimmer eigenmächtig völlig um, bemerkte im Streit wütend, dass er anderen schon aus nichtigeren Gründen die Nase gebrochen habe. Die Freundinnen warnten, aber Frau G. wollte weiter dem Wesentlichen treu bleiben. Dem Guten, das sie mit ihm fühlte. Mal einfach nur dem Herzen folgen, wo wir doch sonst immer alles betrachten, bedenken, überlegen, durchleuchten .

Ein Jahr später trug sie eine Waffe in der Handtasche. Sie war an einen gewalttätigen Mann geraten, der sie trotz richterlicher Beschlüsse stalkte und bedrohte. Ihre Angst vor ihm löste sich langsam, aber der Schrecken über sich selbst blieb. Sie hatte nicht hingesehen, um ihren Glauben an die Liebe nicht aufgeben zu müssen. Schon als Kind hatte sie über die unbarmherzige Strenge und ständige Unzuverlässigkeit ihrer Eltern hinwegsehen müssen, um weiter an deren Liebe glauben zu können.

Die Gefahr der Romantik

Weil wir alle an das Gute und die Liebe in uns Menschen glauben wollen, lieben wir diesen Satz von Saint-Exupéry. Weil wir daran glauben wollen, dass unser kleines sehendes Herz unser Kompass ist, der uns sicher durchs Leben leitet und uns so auch zu den besten aller möglichen Partner:innen führt. Unsere romantische Liebessicht verführt uns. Naiv klammern wir uns daran, dass Liebe ewig währt. Und wenn sie dann aus unserer Beziehung verschwindet, dann ist sie eben nur für unsere Augen nicht mehr sichtbar. Und wir müssen am Wesentlichen festhalten und darauf vertrauen, dass unsere Partner:innen es nicht so meinen, wie es der Augenschein sagt. Und dass die Liebe unter all dem, nur für unser Herz erreichbar, weiter existiert. Doch so geraten wir letztlich auch in das, was wir heute "toxische Beziehungen" nennen.

Das Wesentliche ist unsichtbar. Aber das Wichtige, um uns zu schützen, das erfahren wir über unsere Sinne. Manchmal brauchen wir die Augen naher Freund:innen und Verwandter, um es zu sehen. Die Ermunterung, unserem Herzen zu folgen und nicht unserem Verstand, der von unseren Sinnen gefüttert wird, berührt uns. Doch Liebe bedeutet nicht, die Augen zu schließen. Das war sicher nicht, was Saint-Exupéry gemeint hat.

Neu in den Partner verlieben: Oskar Holzberg
Oskar Holzberg, 67, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und ist seit über 30 Jahren verheiratet. Sein aktuelles Buch heißt "Neue Schlüsselsätze der Liebe" (240 S., 11 Euro, DuMont).
© Ilona Habben
Brigitte

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