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Oskar Holzberg Würde das Herz denken, stünde es still

Paar liegt sich in den Armen
© Shingi Rice / Adobe Stock
In der Kolumne unseres Paartherapeuten Oskar Holzberg dreht sich alles um typische Liebesweisheiten und ihren Wahrheitsgehalt, er seziert Sprichwörter, Songtexte und berühmte Zitate. Diesmal: "Wenn das Herz denken könnte, würde es stillstehen", Fernando Pessoa, portugiesischer Schriftsteller.

Kurz gesagt: Und es gäbe keine Liebesbeziehungen.

Jetzt mal ausführlich: Wieso mögen wir dieses Zitat? Wieso kommt uns dieser Satz so wahr und vertraut vor, als würden wir einen alten Freund wiedertreffen, obwohl wir verwundert feststellen, dass wir ihm gerade zum ersten Mal begegnen? Das Herz ist der Wohnort der Liebe. Von dort, von Herzen sind wir füreinander da, lassen uns zu Herzen gehen und schenken einander endlich unser Herz.

Doch unser lebenswichtiges Organ und die Liebe verbindet mehr als sentimentale Symbolik. Wer in liebevollen Beziehungen lebt, dessen Herz ist wirklich gesünder. Und Herzen brechen tatsächlich, wenn Beziehungen nicht stabil sind, wenn sie enden oder in der Einsamkeit, in der sie sich an niemand wenden können. Unser Herz sehnt sich nach Verbundenheit und sucht mit aller Dringlichkeit für uns danach. Wir mussten das Paradies verlassen, das war der Preis, den wir für unser Bewusstsein zahlen mussten. Wir haben Erkenntnis, aber dafür leben wir nicht mehr in der selbstverständlichen Einheit mit der Welt. Gerade jetzt wird uns das schmerzlich bewusst. Denn wir denkenden Menschen tun gerade etwas, was sonst kein Lebewesen kann: Wir sind dabei, den Planeten zu zerstören, ohne den wir nicht existieren können. Auch das ist ein trauriger Ausdruck unserer Unverbundenheit, die wir als tiefe Sehnsucht spüren, uns aufgehoben und geborgen zu fühlen.

Die Liebe zur Unvernunft

Abgesehen von spirituellem Erleben suchen wir Einheit und Verbundenheit vor allem mit unseren Liebespartner:innen. "Mein Zuhause" lautet in Vietnam ein Kosename für sie. Um uns zu Hause zu fühlen, müssen wir uns einlassen, loslassen, uns der Liebe anvertrauen und ihr treu bleiben. Ausgerechnet der Liebe, dem unzuverlässigsten Gefühl unter der Sonne. Über Liebe haben wir keine Kontrolle. Wir beherrschen sie nicht, analysieren sie vergeblich, verstehen sie nicht. Doch es gibt keinen anderen Weg. Wer würde sich noch an die Liebe wagen und jeden Tag um Nähe und Verbindung ringen, wenn er nur seiner Vernunft folgen würde?

Wenn wir die Zweifel in unsere Herzen ließen, all die Fragen nach richtig und falsch, die Skepsis, die Statistiken, die kritische Sicht auf unsere Vorstellungen von Liebe, dann würde unser Herz stehen bleiben. Nein, das Herz muss davon frei bleiben, weil wir weiter an die Liebe glauben müssen, selbst wenn sie uns gerade verloren gegangen ist. Die Liebe ist unser Ja zum Leben, voller naiver Hoffnung, voller Zutrauen in nichts als sich selbst. Aber das ist ihre Stärke. Wenn das Herz denken könnte, hätte der Verstand alles erobert. Wir würden die Kraft der Liebe verlieren und den Mut einbüßen, unseren Gefühlen zu folgen.

Die Liebe ist nur in unserem Leben, weil wir vernünftigen und alles planenden Menschen in einem Teil unseres Selbst etwas völlig Unvernünftiges weiterleben lassen. Das Herz, das nicht denkt, sondern nur sehnt und fühlt. Das in der Zuversicht weiter pocht, dass es recht hat und alles gut wird, wenn wir ihm vertrauen. Und wenn wir als Paar alles tun, um uns immer und immer wieder zugehörig und miteinander verbunden zu fühlen. Die Zuversicht der Liebe darf uns nicht verloren gehen. "Die Unbewusstheit ist das Fundament des Lebens", so lautet der Halbsatz vor Pessoas berühmten Zitat. Wenn wir lieben, dann erkennen wir das an.

Neu in den Partner verlieben: Oskar Holzberg
Oskar Holzberg, 67, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und ist seit über 30 Jahren verheiratet. Sein aktuelles Buch heißt "Neue Schlüsselsätze der Liebe" (240 S., 11 Euro, DuMont).
© Ilona Habben

Brigitte

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