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Oskar Holzberg Liebevolle Zuneigung

Oskar Holzberg: Ein Paar kuschelt auf einem Sofa
© simona / Adobe Stock
In der Kolumne unseres Paartherapeuten Oskar Holzberg dreht sich alles um typische Liebesweisheiten und ihren Wahrheitsgehalt, er seziert Sprichwörter, Songtexte und berühmte Zitate. Diesmal: "Die liebevolle Zuneigung ist die bescheidenste Form der Liebe" (Olga Tokarczuk, polnische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin).

Kurz gesagt: Aber wir können uns bewusst für sie entscheiden. Das macht sie so bedeutsam.

Jetzt mal ausführlich: Die Hand, die wir sanft auf unserer Schulter fühlen. Der Tee, der uns angeboten wird: "Möchtest du auch eine Tasse?" Der Blick, der unseren Blick trifft, wenn wir in der Freundesrunde sitzen. Die Worte: "Das eben war blöd von mir, es tut mir leid." Die einfache Frage: "Na, wie war dein Tag?" Das kleine Überraschungsgeschenk. Die SMS mit drei roten Herzen. Die Beobachtung: "Du siehst etwas blass aus, ist alles in Ordnung?" Die Umarmung, wenn wir einander auf dem Flur begegnen. Das Handy, das wir aus der Hand legen, wenn wir angesprochen werden. Tausend kleine Puzzle-Teile liebevoller Zuneigung, ohne die die Liebe nur eine leere Hülse bleibt.

Unsere Liebe besteht nicht einfach so. Wir stellen sie ständig her. Jeder Tag steckt voller kleiner Anfragen nach Verbindung. Sie entscheiden über unsere Beziehung. In kleinen Ritualen der Zuwendung bewahren wir unsere Zuneigung: Wie wir uns verabschieden und begrüßen; die Zeiten und Orte, an denen wir miteinander sprechen, die kleinen Gesten der Fürsorge. So halten wir den Kreislauf der Nähe lebendig. Die Zuneigung des Partners stimmt uns wohlwollend, und dann wenden wir uns ihm liebevoll zu.

Unser Bindungssystem checkt ständig, wie es um unsere Liebesbeziehung steht, und reagiert sensibel auf Signale: Der Kuss ist heute flüchtiger, die Antwort einsilbiger? Sobald unsere Verbindung schwächelt, fühlen wir uns unsicher und unwohl. Ist sie längere Zeit unterbrochen, verschwindet der "Liebling" aus unserem Lieblingsmenschen. Wir schauen kritisch und distanziert auf ihn, die großen Liebesgefühle sind in weite Ferne gerückt. Das ist die Stunde der bescheidenen Liebe.

Bewusst für Zuwendung entscheiden

Denn wir können uns ganz bewusst entscheiden, uns liebevoll zuzuneigen. Wir wissen ja, wie Zuwendung geht. Wir können uns unserer Zuneigung erinnern und wieder mit einem liebevoll wohlwollenden Blick auf die guten Seiten unserer Beziehung schauen. Wir können uns zuwenden, auch wenn wir uns nicht völlig zugewandt fühlen. Das ist kein Fake und keine Show. Aufgesetzt und falsch ist es nur, wenn wir keinerlei Zuneigung mehr in uns finden.

Liebevolle Zuwendung ist bescheiden. Wir tun nicht so, als sei alles gut. Wir geben ein Signal, dass wir uns wünschen, uns wieder näherzukommen. Wir legen einander vorsichtig annähernd die Hand auf die Schulter. Denn wir müssen aufeinander zugehen, um nicht getrennt zu bleiben. Sobald wir eine wohlwollende Haltung einnehmen können, geben wir uns die Chance dazu. Denn liebevolle Zuwendung ist der beste Weg, um liebevolle Zuwendung zu wecken. Und wir brauchen die liebevolle Zuneigung, um wieder zu spüren, worum es uns geht. Um genügend Motivation und Vertrauen zu haben, unsere Probleme anzugehen. Denn um Konflikte austragen zu können, brauchen wir den sicheren Boden unserer Zuneigung zueinander. Ohne diesen Boden fühlt sich unsere Beziehung so bedroht an, dass wir im Streit ausflippen oder in Wortlosigkeit versinken.

Olga Tokarczuk sieht im Narrativ, in der Erzählung unseres Lebens, eine Grundlage unseres Seelenlebens. Die Autoren sind wir. Wie aus Worten eine Erzählung wächst, so wächst aus den Momenten liebevoller Zuwendung unsere Beziehung. Es ist ein schöner Gedanke, dass es diese bescheidene Form der Liebe gibt. Sie kann uns niemand nehmen, mit ihr können wir unsere Liebesgeschichte weiterschreiben.

Oskar Holzberg therapiert seit fast 30 Jahren Paare und schreibt darüber. Er sagt: "Liebe ist keine Illusion, aber wir haben zu viele Illusionenüber die Liebe."

Neu in den Partner verlieben: Oskar Holzberg
Oskar Holzberg, 67, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und ist seit über 30 Jahren verheiratet. Sein aktuelles Buch heißt "Neue Schlüsselsätze der Liebe" (240 S., 11 Euro, DuMont).
© Ilona Habben
Brigitte

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