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Oskar Holzberg Sind Hass und Liebe gegenteilig?

Oskar Holzberg: Ein Paar streitet in einem Flur
© Gorodenkoff / Adobe Stock
In der Kolumne unseres Paartherapeuten Oskar Holzberg dreht sich alles um typische Liebesweisheiten und ihren Wahrheitsgehalt, er seziert Sprichwörter, Songtexte und berühmte Zitate. Diesmal:
"Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit" (Elie Wiesel, Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger).

Kurz gesagt: In Beziehungen ist Gleichgültigkeit das, was auf den Hass folgt.

Jetzt mal ausführlich: Elie Wiesel hat als Überlebender des Holocaust erfahren müssen, dass Gleichgültigkeit tötet. Und er hat sein Leben dem Kampf gegen die Gleichgültigkeit gewidmet: nicht wegschauen, nicht verdrängen, nicht vergessen. Nun lassen sich gesellschaftliche Prozesse nicht mit persönlichen vergleichen, schon gar nicht im Schrecken, den Diktatoren und Kriege verbreiten können. Aber auch in Liebesbeziehungen ist das Gegenteil von Liebe die Gleichgültigkeit.

Mein stärkstes Argument dafür stammt aus dem Therapieraum. Ich erlebe dort ständig Paare, die erbittert miteinander ringen oder gar voller Hass aufeinander losgehen. Aber gleichgültige Paare erlebe ich nie. Wie auch? Entweder hat sich das Paar bereits getrennt, weil es keinerlei Gefühle mehr füreinander hat. Oder mindestens einer von beiden hat sich im gleichgültigen Miteinander eingerichtet und wird eines bestimmt nicht tun: die ihm sinnlos erscheinende Mühe auf sich zu nehmen, in eine Paartherapie zu gehen. Er oder sie hat fertig. Und falls er oder sie doch dem Drängen des Partners, der Partnerin nachkommt, dann nur, um zu beweisen, dass es sinnlos ist. In der Gleichgültigkeit sind alle Gefühle verdrängt und sollen auch nicht wieder gefühlt werden.

Es beginnt mit vereinzelten Konflikten. Dabei gab es Verletzungen und es entstanden Ängste, weiterhin verletzt zu werden oder nicht gut genug für den anderen zu sein. Auf Angst, Bedrohung und Scham reagieren wir meistens mit Wut. Dahinter verbergen wir unsere Angst und kämpfen gegen sie an. Wir kämpfen um unsere Liebesbeziehung. Aber unsere Partner:innen erleben, dass wir sie bekämpfen.

Wut führt zu Konflikten

Aus der gegenseitigen Wut entstehen mehr und mehr Konflikte, die immer unbefriedigender werden, und schließlich kommt es zu einem Überhang an negativen Gefühlen. Nun sind wir weit häufiger genervt, enttäuscht, verärgert und verzweifelt, als das wir positive Empfindungen füreinander haben. Wir erleben nicht mehr einzelne Ereignisse, die uns wütend machen, sondern ein endlos wiederkehrendes Verhalten. Wir beginnen zu hassen. Wir hassen es, ständig kritisiert oder andauernd bevormundet zu werden. Wir hassen sein Schweigen oder ihr Beharren. Wir hassen die kleinen Dinge, die Marmeladengläser, die er nie ordentlich zuschraubt, und die großen Dinge, wenn sie jedes Treffen mit Freunden benutzt, um uns schlecht zu machen. Zuneigung erreicht uns nicht mehr. Wir erwarten ständig Vorwürfe und hören sie auch, wenn sie gar nicht gemacht werden. "Du hast einen kleinen Fleck auf deinem Pullover", hören wir als Vorwurf, unordentlich zu sein. Oder als Beweis dafür, dass wir nur kritisch beäugt werden.

Irgendwann resignieren wir. Aber es ist keine gereifte Resignation, keine errungene Einsicht, kein bewusstes Loslassen, in dem wir gelernt haben, über nervige Seiten unseres Partners hinwegzugehen. Es ist ein Aufgeben. Wir stellen das Bemühen um unsere Beziehung ein, um uns vor den negativen Gefühlen zu schützen. Vor denen des Partners und oft auch vor unseren eigenen. Doch die Mauer, mit der wir uns dafür umgeben, verhindert auch jedes gute Gefühl. Die Gleichgültigkeit hat über die Liebe gesiegt. Denn Liebe ist ein Gefühl. Und Gefühle pulsieren, sie betonen, beleben, markieren das Wichtige, unterscheiden. Gleichgültigkeit ist wie die gerade Linie auf dem Herzmonitor. Die Liebe liegt auf der Intensivstation. Wir sollten die Vorzeichen ernst nehmen.

Oskar Holzberg therapiert seit fast 30 Jahren Paare und schreibt darüber. Er sagt: "Liebe ist keine Illusion, aber wir haben zu viele Illusionenüber die Liebe."

Neu in den Partner verlieben: Oskar Holzberg
Oskar Holzberg, 67, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und ist seit über 30 Jahren verheiratet. Sein aktuelles Buch heißt "Neue Schlüsselsätze der Liebe" (240 S., 11 Euro, DuMont).
© Ilona Habben
Brigitte

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