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Oskar Holzberg Liebe erkennt man am Kuss

Paar schaut sich an
© arthurhidden / Brigitte
In der Kolumne unseres Paartherapeuten Oskar Holzberg dreht sich alles um typische Liebesweisheiten und ihren Wahrheitsgehalt, er seziert Sprichwörter, Songtexte und berühmte Zitate. Diesmal: "If you wanna know, if he loves you so – it’s in his kiss" – Cher, US-amerikanische Pop-Ikone, und andere Interpretinnen.

Kurz gesagt: Wenn du wissen willst, ob er dich wirklich liebt, dann kann Küssen das Beziehungsfieberthermometer sein.

Jetzt mal ausführlich: Charlotte mag nicht küssen. Oralverkehr ist fein. Aber bitte kein ekliges Speichelgesabber. Ihr Empfinden ist eindeutig, sie will es nicht hinterfragen. Markus würde das gerne tun. Aber mittlerweile hat er ihre kussfreie Beziehung akzeptiert. Nur, wenn ihm Nähe fehlt, dann vermisst er eine andere Kuss-Option als das Bussi auf die Wange.

Charlotte ist nicht allein. Die wenigsten Menschen auf der Welt küssen, in weniger als der Hälfte aller Kulturen wird geknutscht. Aber in unserer Kultur spielt das Küssen eine enorme Rolle. Wie viele Filmküsse haben sich schon auf unserer Festplatte eingebrannt?

Ist der Kuss unser Beziehungscheck?

Der Kuss ist der Schlüssel, die Schwelle zur Intimität. Eben sind zwei Menschen noch zwei Personen, die sich mögen, sich attraktiv finden, sich gut oder auch leidenschaftlich gar nicht verstehen. Dann der Kuss – und nichts ist mehr, wie es war. Der Kuss ist der erlösende Startschuss für die sexuelle Großsprengung. Der Auftakt zum Liebesdrama. Oder bereits die romantische Vollendung des Märchenkitsches "Und wenn sie nicht ...".

Vermutlich beginnen die meisten Liebesbeziehungen tatsächlich mit einem Kuss, der besonders erinnert und verklärt wird. Dem Kuss, den der verwunschene Froschkönig fordert, der die Prinzessin aus ihrem hundertjährigen Schlaf reißt und der aus Fremden plötzlich Geliebte macht. Wenn sich unsere Lippen und Zungen berühren, dann begegnen wir uns mit Körperteilen, in denen wir feiner wahrnehmen als irgendwo sonst im Körper. Ein Tsunami von Tast-, Geschmacks-, Geruchs-, Bewegungs- und Temperatureindrücken bricht über unser Gehirn herein. Küsse überwältigen uns. Wir schließen die Augen, damit uns nicht Hören und Sehen vergeht. Und damit es uns doch vergeht, und wir uns überwältigt der Sinnlichkeit hingeben können. Unbewusst checken wir das Immunsystem des anderen, bewusst unsere erotisch-körperliche Begegnung. Uneinfühlsames Saugen und Schlabbern, steif pressende Lippen, rammende Zungen, ein gescheiterter Dialog der Münder – und die Beziehung hat sich bereits erledigt, bevor sie beginnen konnte.

Doch wenn der Kuss der Beginn einer Liebe wird, dann begleitet er unsere Zuneigung – als spielerische Einladung, sanfte Verführung oder drängende Aufforderung. Und in ritualisierter Form wird er zum Beziehungscheck. Die Schlagersängerin Mireille Mathieu bezeichnete Küsse als Kleingeld der Liebe. Etwas, mit dem wir ständig umgehen, durch das wir unsere Nähe fortlaufend bestätigen, mit dem wir Verbundenheit, Intimität herstellen, aber auch messen: Küssen wir weniger? Oberflächlicher? Leidenschaftlich? Routiniert? Oder küssen wir uns gar nicht mehr?

Und ja, Cher hat recht

Wer sich nicht auf Intimität einlassen will, wie Sexarbeiterinnen, vermeidet den Kuss. Wer sich nicht einlassen kann, vermeidet ihn auch. Wenn Nähe fehlt, wir uns nicht öffnen, nicht hingeben können, dann bleibt es bei Bussi und Spitzmundküsschen. Dann gehen wir nicht ins Spüren, in den Kontakt. "Küssen ist eine Sache, für die man beide Hände braucht", bemerkte Mark Twain.

Doch wenn die Begegnung nicht innig ist, dann küssen unsere Hände nicht mit. Dann müsste uns einfallen, dass wir mit unserer Zunge noch etwas ganz anderes können. Sprechen. Was wir dann auch dringend tun sollten. Denn Cher hat recht. It’s in our kisses.

Neu in den Partner verlieben: Oskar Holzberg
Oskar Holzberg, 67, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und ist seit über 30 Jahren verheiratet. Sein aktuelles Buch heißt "Neue Schlüsselsätze der Liebe" (240 S., 11 Euro, DuMont).
© Ilona Habben
Brigitte

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