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Oskar Holzberg Du bist für jemanden die Welt

Oskar Holzberg: Hände halten herzförmige Weltkugel
© Unionproject / Adobe Stock
In der Kolumne unseres Paartherapeuten Oskar Holzberg dreht sich alles um typische Liebesweisheiten und ihren Wahrheitsgehalt, er seziert Sprichwörter, Songtexte und berühmte Zitate. Diesmal: "Für die Welt bist du irgendjemand, aber für irgendjemand bist du die Welt" - Erich Fried, österreichischer Lyriker und Schriftsteller.

Kurz gesagt: Das klingt wunderbar, ist es auch. Aber die Welt ist doch größer.

Und jetzt mal ausführlich: "Für alles hast du Zeit. Für deinen blöden Ruderverein, deine Kumpel, deinen Bruder, der sich um gar nichts kümmert, deinen Job, für deinen Ex-Frauen-Harem. Für alles hast du Zeit, nur für mich nicht. Und jetzt willst du ernsthaft auch noch das Fußballtraining für den Kleinen übernehmen? Denkst du überhaupt mal an uns?" Martina ist wütend. Und ihr Mann Kasper windet sich auf der Paarcouch. "Ja, klar, ist alles viel. Aber du weißt doch, dass du die Wichtigste für mich bist. Dafür müssen wir doch nicht jeden Abend gemeinsam aufm Sofa Händchenhalten."

Auch diese beiden waren mal die Welt füreinander. Und wenn wir Kasper glauben können, dann ist es immer noch so. Nur erlebt Martina nicht mehr, dass sie wichtig und bedeutsam für ihn ist. Im Gegenteil: Alles scheint die Welt für ihn zu sein, nur sie nicht. Ein schmerzvoller Absturz aus dem Beziehungshimmel.

Denn wenn wir einander lieben lernen, dann entdecken wir fasziniert das ganz eigene Universum, die Welt, die jeder von uns ist. Die sich aus allem zusammensetzt, was wir gehört, gesehen, gefühlt und gelernt haben, aus unseren Überzeugungen, unserem Wissen, unserem Stil, unseren Gewohnheiten und unserer Art zu denken und zu lieben. Eine Welt, die so umfassend und einzigartig erscheint, dass sie alles enthält, was wir uns ersehnen. Und noch etwas mehr. Denn wir sind plötzlich die wichtigste Welt für die wichtigste Welt in unserem Leben. Ein Wahnsinnskick, durch den sich unsere tiefste Sehnsucht erfüllt: liebenswert zu sein, einfach weil wir so sind, wie wir sind.

Wir entschweben auf Selbstwertwolke sieben. Sind gleichzeitig verzückte Entdecker:innen einer anderen und stolze Einladende in unsere Welt. Wo wir in der vernetzten globalen Welt mit ihren Millionen Vergleichsmöglichkeiten immer mehr zu einem winzigen Nichts schrumpfen, sind wir ganz plötzlich alles füreinander, was zählt.

Doch so wahr das Gefühl des "Du bist alles für mich!" ist und auch bleibt, es ist immer nur ein Teil der Wahrheit. Unsere Liebe erweist sich nur als ein Teil der Welt. Wir leben nicht von ihr allein. Das zeigt sich schon, wenn wir den intimen Liebesakt verlassen, um die bestellte Pizza in Empfang zu nehmen. Ein einziger Mensch kann niemals die ganze Welt für uns sein. Niemand kann allein unsere Bedürfnisse erfüllen. Wir überfordern unsere Beziehung heillos, wenn wir alles nur von der Partnerin oder dem Partner erwarten.

Es braucht eine ganze Stadt

Wir brauchen mehr: wichtige andere, mit denen wir teilen können, wofür sich unsere Lebensgefährt:innen nicht begeistern, Anregungen durch Begegnungen und Zeiten, die wir nur für uns alleine haben. So wie es das sprichwörtliche Dorf braucht, um ein Kind gut großzuziehen, so braucht es eine ganze Stadt, damit ein Paar zufrieden leben kann.

Doch auch die Welt, die jede und jeder von uns ist, verändert sich ständig. Und ohne Zeiten voller Aufmerksamkeit füreinander verlieren wir uns. Es bedarf also einer guten Balance zwischen Zweisamkeit und dem Leben in der Welt um uns herum. Das können auch Martina und Kaspar nicht ignorieren. Wir sind nicht einfach die Welt füreinander. Wir müssen immer wieder der wichtigste Teil der Welt füreinander werden.

Neu in den Partner verlieben: Oskar Holzberg
Oskar Holzberg, 67, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und ist seit über 30 Jahren verheiratet. Sein aktuelles Buch heißt "Neue Schlüsselsätze der Liebe" (240 S., 11 Euro, DuMont).
© Ilona Habben
Brigitte

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