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Neues Spiel, neues Glück

Jede große Liebe ist ein Neubeginn. Aber wir werden von allen unseren alten Liebesgeschichten dabei begleitet. Zum Glück.

Als ich meinen Mann kennen lernte, war er noch mit einer anderen Frau verheiratet. Wir sahen uns bei einem Abendessen, und es war ihr letzter gemeinsamer Tag, aber das wusste ich nicht. Was für ein nettes Paar, dachte ich, nicht direkt eine Traumpaarung, aber das macht sie nur interessanter. Er gefiel mir, und es wäre schön gewesen, wenn er nicht so eindeutig glücklich mit einer sehr netten Frau verheiratet gewesen wäre, aber das Gefühl verflüchtigte sich rasch.

Später erfuhr ich, dass ihre Trennung nach vier schwierigen Ehejahren längst beschlossene Sache war und dass sie am darauf folgenden Tag weit wegzog. Am Vorabend der Trennung auf Dauer und späteren Scheidung gönnte sich mein zukünftiger Ehemann nicht etwa eine Phase emotionaler und persönlicher Freiheit, sondern verliebte sich auf der Stelle in mich.

Ich hatte mir immer vorgestellt, die Liebe meines Lebens würde ein totaler Neuanfang sein, mit einem Menschen, der vor mir noch nie richtig geliebt hatte. Natürlich kam alles ganz anders. Fast das ganze erste Jahr analysierte er mit mir ständig seine vorige Beziehung. Am Anfang fühlte ich mich geschmeichelt, mit der Zeit wurde dieses ewig gleiche Muster jedoch eine langweilige Last. Es ärgerte mich auch, dass meine früheren Lieben irgendwie keine Rolle spielten im Vergleich zu seinem intensiv empfundenen Schmerz.

Nach einer Weile protestierte ich und weigerte mich, mir weitere Erzählungen aus seinem Eheleben anzuhören. Ich brannte auf Anekdoten aus seiner Kindheit und Jugend und meinetwegen auch auf andere Frauengeschichten. Die eine, die er geheiratet hatte, bevor er mich kennen lernte, sollte gefälligst ein Teil seiner Vergangenheit werden, kein Teil seiner Gegenwart bleiben.

Jede Liebesgeschichte lässt sich auf verschiedene Weisen erzählen, denn nichts wimmelt so sehr von winzigen Teilchen gegensätzlicher Kräfte, die sich zu Harmonie und Disharmonie summieren können, wie eine Verbindung zwischen zwei Menschen. Wohin verschwindet diese Energie, wenn die Beziehung abbricht oder abgebrochen wird? Sie verschwindet natürlich gar nicht, sondern besetzt entweder eine neue Liebe oder die von der alten hinterlassene Leere - oder beides.

Heute, wo ich selbst seit langen Jahren mit einem Mann (okay, mit genau demselben Mann) zusammen bin, bezweifle ich, dass es in Liebesdingen so etwas wie einen sauberen Neuanfang, einen Strich unter die Vergangenheit oder auch nur einen ganz ehrlichen Weg gibt, einen anderen Menschen in die eigenen Erfahrungen einzuweihen. Genau wie eine Liebesgeschichte verändert sich eine Trennung, je nachdem wer sie beziehungsweise wem man sie erzählt.

Illusion "ewige Liebe"

Traditionelle Hochzeiten leben nach wie vor von der Illusion, unsere Leben beruhten auf der ewig (okay, "bis dass der Tod uns scheide") gültigen Entscheidung eines Paares, ein ganzes Leben zusammenzubleiben und alle anderen Verführungen, potenziellen Risiken und Misserfolge auszuschließen. In Wirklichkeit aber machen wir uns nichts mehr vor. Die meisten Ehen und Beziehungen in meinem Bekanntenkreis enthalten beiderseits etliche Expartner, und Männer wie Frauen erzählen ihre Vorgeschichten ohne Scheu jedem, der sie hören möchte. Alles verschmilzt zu einer einzigen großen Abfolge von Lieben und Trennungen und erzeugt jenes Kontinuum, das wir unser Liebesleben nennen.

Ich weiß nicht, ob es gut ist, alte Lieben in neuen aufgehen und sie bis in alle Ewigkeit im selben emotionalen Raum weiterwirken zu lassen. Unsere Leben währen heute schon viel länger als je zuvor, und so viel emotionales Gepäck so lange mit sich herumzuschleppen, ist ebenso verwirrend wie unnötig. Heinrich VIII. entwickelte eine ganz schön extreme Methode, für eine neue Frau in seinem Leben Platz zu schaffen: bring die alte um. Aber wenn man dieses Verhalten auf seinen symbolischen Kern reduziert: Ist das dann nicht vielleicht eine ganz vernünftige Idee?

Alte Liebesgeschichten: Teil des alten Ichs

Neulich habe ich eine E-Mail von meinem allerersten Liebhaber bekommen. Er hat mir damals nicht viel bedeutet, und heute interessiert er mich absolut nicht. Warum sollte man Jahrzehnte später den Kontakt wieder aufnehmen oder auch nur aneinander denken? Aus jeder Liebe, sei sie groß oder klein, nehmen wir etwas zu der nächsten mit - aber es gibt keinen Grund, auch die realen Menschen festzuhalten, von denen wir uns einmal verabschiedet haben. Sollen sie in unserer Vergangenheit leben und Teil unserer Lebensgeschichte werden - vergessen oder gelegentlich erinnert mit jener Zärtlichkeit, die man für alle alten Freunde aufbringen sollte und für die alten Ichs.

Text: Elena Lappin

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