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Nachricht an dich Wie erziehe ich meinen Sohn zu einem Feministen?

Mutter-Sohn: Feministische Erziehung?
© pikselstock / Adobe Stock
Wie erziehe ich meinen Sohn zu einem Feministen? Es gibt Dinge, die schwer an- und auszusprechen sind. Manchmal ist es leichter, sie aufzuschreiben. Ein Brief an einen 13-Jährigen.

"Wie mag es sich anfühlen, ein Mann zu werden?"

Autorin Heike findet es alles andere als einfach, ihren 13-jährigen Sohn feministisch zu erziehen.

Mein lieber Sohn,

eigentlich wollte ich einen Text darüber schreiben, wie man Jungen feministisch erzieht. Doch als ich dich heute Morgen in der Tür stehen sah mit deinen riesigen Füßen und du dich zu mir runterbeugtest, um "Tschüss, kleine Mama" zu sagen, wurde mir klar, dass ich nur noch begrenzt Einfluss auf deine Erziehung habe. Darum werfe ich meinen Text über Bord und schreibe dir stattdessen einen Brief. Ich möchte dir erklären, warum es mir so wichtig ist, dass du antiquierte Rollenbilder überwindest.

Du bist jetzt 13 Jahre alt, und es ist nicht zu übersehen, dass du auf dem besten Wege bist, ein Mann zu werden. "Eine männlich gelesene Person, Mama, das müsstest du als Feministin doch besser wissen", höre ich dich an dieser Stelle grinsend korrigieren.

Ich weiß noch genau, wie verwirrt ich war, als mir die Frauenärztin während der Schwangerschaft sagte, dass du ein Junge wirst. Mein Kopf war voller Vorurteile, ich kam aus einem Mädchenhaushalt und packte dich in eine Schublade mit raufenden, fußballverrückten und irgendwann einsilbigen Kerlen.

Als du dann zum ersten Mal mit dem allwissenden Silberblick eines Neugeborenen auf meinem Bauch lagst und ich eine Liebe spürte, von der ich nicht einmal geahnt hatte, dass es sie gibt, warst du für mich kein Junge. Du warst ein Mensch, ein winziger, verletzlicher und liebesbedürftiger Mensch. Aus so einem Wesen konnte gar kein Macho werden und kein Sexist, da war ich mir sicher. Als mein Gehirn sich vom ersten Oxytocinrausch erholt hatte, dachte ich hoffnungsfroh: Mit dir wächst eine neue Männergeneration heran. Eine, die es nicht nötig hat, sich über sinnbefreite Jobtitel, aufgepumpte Körper oder übermotorisierte Autos zu definieren. Diese ganze toxische Männlichkeit sollte dir erspart bleiben.

Ich wünsche dir, dass du kein sprachloser Mann wirst, sondern einer, der kommunizieren kann, der Zwischentöne hört und Emotionen in Worte fassen kann. Deshalb habe ich dir noch vorgelesen, als du längst selbst lesen konntest. So konnte ich dir Bücher unterjubeln, die dich optisch nicht ansprachen. Spätestens ab der zweiten Klasse wurde es nämlich kompliziert: Wir standen vor zu vielen Büchern, die nach "Jungs" oder "Mädchen" aussahen. Die einen fandest du langweilig, es ging immer nur um Fußballer oder Piraten. Die anderen handelten oft von Tieren oder Freundschaften, aber sie sahen für dich blöd aus. In der Kita hattest du gelernt, dass die Welt in Rosa und Hellblau aufgeteilt ist. Wer offiziell zur hellblauen Gruppe gehörte, aber zu "Mädchensachen" griff, wurde gehänselt. Deine heiß geliebte Puppe namens "Baby" hast du nie mit in die Kita genommen, dein Feuerwehrauto schon. Wie dumm und zugleich folgenschwer dieses Denken ist, haben wir oft besprochen und heute machen wir unsere Witze darüber.

Das klingt, als wäre ich die dauervorlesende Super-Mutter, aber ich weiß, dass ich für deinen Geschmack zu viel arbeite. Deine Oma war Hausfrau, sie sah ihre wichtigste Aufgabe darin, uns mittags selbst gekochtes Essen zu servieren und den Haushalt perfekt in Schuss zu halten. Dein Opa war der Ernährer, er ging raus in die Welt und verdiente das Geld. Deine Oma arbeitete als Mutter und Hausfrau ebenfalls ununterbrochen, aber sie bekam dafür kein Geld und wenig Anerkennung. Ich habe ihre Ansprüche an die Eigenschaften einer "guten Mutter" unbewusst übernommen, ich werde sie ganz schwer los, lebe aber ganz anders als sie. Dein Vater hat gelernt, dass Väter möglichst viel arbeiten, damit es der Familie gut geht, und sie dabei keine Schwäche zeigen dürfen. All diese Prägungen bringen uns als Familie manchmal ins Stolpern. Ich wünsche mir, dass dein Kopf frei ist von der irren Vorstellung, dass du der Versorger sein musst und die Fähigkeit zum Kümmern, Kochen und Putzen irgendwie Frauensache ist. Nein, die Fürsorge-Kompetenz ist Frauen nicht angeboren, sie ist nicht in ihrer Vagina abgespeichert. .

Inzwischen hast du zwei Mal Aufklärungsunterricht in der Schule über dich ergehen lassen und dich danach bei mir über die ewig kichernden Mitschüler:innen gewundert. Ich werte das als gutes Zeichen, aber ich wundere mich, dass in deinen Biologiebüchern die Klitoris bis heute falsch dargestellt wird. Und ich bin froh, dass ich dir erklären konnte, was Pornos sind, bevor dir der erste auf das Handy gespült wurde. Du wächst in einer sexualisierten Welt auf, aber du hast in der Kita und Grundschule auch viel über körperliche Selbstbestimmung und Emotionen gelernt. Bitte bewahre dir die Frage, ob du ein "Ja-Gefühl" oder ein "Nein-Gefühl" in dir spürst, wenn du vor einer Entscheidung stehst. Vertraue deinem Gefühl auch dann, wenn es nicht zu dem Männlichkeitsbild passt, das dir die Werbung, das Internet oder deine Mitschüler einflüstern. Die Wahrheit ist in dir, sie ist nicht da draußen.

Wie mag es sich gerade jetzt anfühlen, ein Mann zu werden? Ich habe keine Ahnung, aber ich sehe, dass das Ende des Patriarchats nicht in Sicht ist. Im Gegenteil, es scheint sich aufzubäumen. Alte weiße Männer greifen nach noch mehr Macht und Frauen kämpfen verzweifelt um ihre Freiheit und um das Recht, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Männer haben seit einigen Jahren ein schlechtes Image, dazu haben sie selbst beigetragen, aber sie sind wie wir alle auch nur Kinder ihrer Zeit. Ich wünsche mir, dass du dich mit niemandem in einen Topf werfen lässt und weniger in Klischees denkst als ich.

Das scheint schon gut zu klappen: Du genderst besser als jeder linksfeministischer Frauenstammtisch, der Glottisschlag kommt dir selbstverständlich über die Lippen. "Mach dir um mich keine Sorgen, Mama", lächelst du fröhlich, wann immer du in diese aus den Fugen geratene Welt hinausspazierst – nicht ohne in der Tür noch einmal zu betonen, dass du inzwischen größer bist als ich. Natürlich hast du recht, Sorgen machen ist sinnlos, sie führen zu nichts. Die letzten 13 Jahre mit dir waren ein Geschenk für mich, das dämmert mir so langsam. Geh raus und sei der Welt ein Geschenk. Sie kann es gebrauchen.

Deine kleine Mama

Brigitte

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