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Männer erzählen Darum können wir immer noch nicht über Gefühle sprechen

Männer erzählen: Mann mit Katze auf dem Arm
© Veera / Shutterstock
Warum können Männer immer noch nicht über Gefühle sprechen? Wir haben nachgefragt!
Sina Teigelkötter und Alexandra Zykunov

Ihr habt es in Zeiten von "alten weißen Männern", #MeToo-Folgedebatten und den neuen feministischen Ansprüchen nicht gerade leicht. Was erwartet die Welt heute von euch? Seid ihr genervt vom ganzen Rollen-Gedöns? Oder sind die Forderungen noch viel zu zaghaft? Und: Wie fühlt ihr euch überhaupt?

Noch nie war das Männerbild so vielschichtig wie heute. Für alle gibt es eine Nische, für jeden seine Blase. Konservative Spielplatzpapas, feministische Tinderkönige, Haushaltsprofis bei Tag, Hinterherpfeifer bei Nacht, "neue" Väter neben "alten", alte weiße Männer neben jungen, hetero, homo, trans. Wann ist ein Mann ein Mann? Ist die Suche nach einer vermeintlichen Männlichkeit im Jahr 2020 nicht längst überholt? Jein. Denn: Selbst wenn wir uns wünschen, dass es nur noch "Menschen" und keine Geschlechter gibt, ist unsere Gegenwart immer noch gefüllt mit aggressiven sogenannten "toxischen" Männlichkeiten, zweifelhaften Rollenbildern und unfair verteilter Macht. Ja, nach "dem" Männerbild zu suchen, ist wohl genauso idiotisch wie die Suche nach "der" Frau. Es hilft aber, unterschiedliche Männer nach ihrem persönlichen Männerbild zu fragen. Haben wir gemacht – und so einiges erfahren.

In diesem Teil unser achtteiligen Serie geht’s um die Frage: 

"Warum könnt ihr immer noch nicht über Gefühle sprechen?"

Björn Süfke

48, Männerberater, ist es seit Langem ein Anliegen, dass sich Männer mehr mit sich selbst und ihrer Innenwelt auseinandersetzen – egal, ob in Beratung, mit Frau oder mit Buch ("Männer: Erfindet. Euch. Neu", Mosaik)

Na, da antworte ich auf diese provokative Frage mal gegen-provokativ: Dieses "immer noch nicht" ist ehrlich gesagt eine Unverschämtheit. Warum könnt ihr Frauen immer noch nicht damit aufhören, eure Töchter rosa anzuziehen? Beim Thema Gefühle sprechen wir über frühkindliche, lebenslange Prägungen, über gesellschaftliche Konventionen, die wir aufrechterhalten. Es wird wahrscheinlich 400 bis 500 Jahre brauchen, bis diese Geschlechterstereotype – die übrigens in Frauen wie Männern stecken – verschwunden sind. Wir Männer werden gerade mal seit knapp zehn Jahren dafür sensibilisiert, dass wir einen Zugang zu unseren Gefühlen haben dürfen. Da ist nun eben etwas Geduld gefragt! Ich bin Jahrgang 72 und zwar nicht mehr mit Hart-wie-Kruppstahl-Sprüchen, aber doch mit Sätzen wie "Ein Indianer kennt keinen Schmerz" groß geworden. Diese Sätze sind für Männer meiner Generation sehr mächtig. Selbst wenn wir anders, offener sein wollen, können wir es oft nicht – weil wir nie gelernt haben, an Gefühle heranzukommen.

Die Jüngeren mussten sich solche Sprüche zum Glück nicht mehr anhören. Viel leichter haben sie es dennoch nicht, weil ihnen dieselben Botschaften vermittelt werden, nur subtiler. Männer, die auf der Kinoleinwand weinen? Vollzeit-Väter, die sich in der Werbung nicht zum Horst machen, wenn sie sich um ihre Kinder kümmern? Das sind Leerstellen, immer noch. Viele jüngere Männer sind darum verunsichert: Verboten sind Gefühle nicht mehr, von der Freundin werden sie aktiv eingefordert, wirklich "männlich" sind sie offenbar aber auch nicht. Doch, es verändert sich etwas, aber lange nicht so schnell, wie ich es mir wünschen würde. Frauen fragen mich oft, wie sie ihre Männer dazu bewegen können, sich ihnen mehr zu öffnen. Mein "Tipp": Versucht zu verstehen, warum dieses Öffnen für viele Männer so schwer ist: Niemand kann etwas offenbaren, was er sich noch nicht selbst offenbart hat.

Michael Kumpfmüller

59, sah als Schriftsteller den postfeministischen Mann als Teil einer "Lost generation". Zuletzt beschäftigte er sich literarisch lieber mit einer Frau, der großen Virginia Woolf ("Ach, Virginia", Kiepen heuer & Witsch)

Dass Männer nicht über Gefühle sprechen können, ist ein sexistisches Klischee.

Oskar Holzberg

67, Paartherapeut und BRIGITTE-Kolumnist, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Männer und Frauen und ist seit über 30 Jahren verheiratet (aktuelles Buch: "Neue Schlüsselsätze der Liebe", DuMont)

Uff! Fragen dieser Art hasse ich. Sie stopfen den Befragten augenblicklich in die Vorurteilsbox, aus der heraus er antworten muss. Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass Männer und Frauen sich in ihrer Fähigkeit zur Einfühlung nicht unterscheiden. Männer können nicht über ihre Gefühle sprechen, weil Frauen glauben, dass Männer nicht über ihre Gefühle sprechen können, und Männer es selber auch glauben. Schon weil sie den Frauen, die ja besser über ihre Gefühle sprechen können, glauben, dass sie wissen, dass sie als Männer nicht über Gefühle sprechen können. Und so ist es wahr. Und eben auch nicht.

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