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Liebe auf den zweiten Blick Vorteile für die Beziehung

Liebe auf den zweiten Blick: Bild von einem verliebten Pärchen
© Jacob Lund / Shutterstock
Theoretisch weiß eine Psychologin und Paartherapeutin natürlich, wie die Liebe geht. Praktisch hat die Bestsellerautorin Stefanie Stahl trotzdem mehrere gescheiterte Beziehungen hinter sich – bis sie sich in ihren besten Freund verliebte ...

Stefanie Stahl schnaubt. "Oooch, meine Männer machen mir Kummer. Wie kann man denn so dröge sein!" Sie verdreht ihre Augen und seufzt. Holger Sorg grinst und lehnt sich zurück. Juckt ihn nicht. Er ist ja nicht gemeint. Seine Frau schimpft über die Anmeldungen zu ihrer nächsten "Matching Party". Die Plätze für die Frauen sind schon lange ausgebucht. Doch die Männer zieren sich. "Gib ihnen ein bisschen Zeit", sagt Holger Sorg. Es ist zehn Uhr morgens, die beiden sitzen im Frühstücksraum eines Hamburger Hotels. "Cappuccino? Groß?", fragt der 48-Jährige seine Frau und winkt eine Kellnerin heran. Der Arbeitstag der beiden fing früh an. In den letzten Stunden haben sie psychologische Daten ausgewertet, über Statistiken und technische Marketingmaßnahmen geredet. Holger Sorg ist Informatiker. Stefanie Stahl ist Deutschlands bekannteste Psychologin. Ihre Ratgeber mit Titeln wie "Jeder ist beziehungsfähig" oder "Das Kind in dir muss Heimat finden" stehen seit Jahren an der Spitze der Bestsellerlisten. Millionen Menschen lassen sich von der 56-Jährigen erklären, was für eine Persönlichkeit sie haben und wie sie eine glückliche Beziehung führen können.

Die "Matching Party" ist ihr neues gemeinsames Projekt. In Trier, wo das Paar lebt, gab es Ende Mai die erste Dating-Nacht. Stefanie Stahl, groß, kurvig, dunkelhaarig, stand dort auf der Bühne und wirkte wie eine italienische Filmdiva. Sie ließ die Partygäste erst einen Persönlichkeitstest absolvieren, dann bekamen alle einen Button angeheftet, der den eigenen Typus offenbart. "Mit diesem Konzept weiß jeder bei der anschließenden Party, wer gut zu einem passt und wer ganz anders tickt", sagt sie.

Da war ich oft zu risokiobereit und habe mein Zielobjekt nicht genügend geprüft

Ordnet sie die Menschen im Alltag auch so ein? "Ja, das mache ich intuitiv", sagt sie. "Weil es mir hilft, Dinge zu verstehen. Weil es die Kommunikation erleichtert. Weil ich erkenne, warum es manchmal knirscht." Und das hat ihr auch in der Liebe geholfen? Nein, sagt sie und lacht. "Da war ich oft zu risikobereit und habe mein Zielobjekt nicht genügend geprüft."

Wie ähnlich ticken sie und ihr Mann? Frau Stahl wirft ihrem Mann einen schnellen Seitenblick zu und zögert keine Sekunde mit der Antwort. "Ich wusste vom ersten Treffen an, dass wir beide gut zusammenpassen würden. Rational jedenfalls. Aber ich war lange Zeit nicht verliebt." Ihr Mann blickt sie an und nickt. "Steffi wollte mich nicht", fasst er nüchtern zusammen. Holger Sorg streicht sich über die kurz rasierten Kopfhaare und zuckt mit den Achseln. "Aber was soll’s. Letzten Endes habe ich ja gewonnen." 15 Jahre liegt das erste Treffen der beiden inzwischen zurück. Beide studieren damals in Trier. Sie Psychologie, er Informatik. Als sie sich kennenlernen, arbeitet er als Datenbankarchitekt, sie hat gerade ihre eigene Therapiepraxis eröffnet und den Ratgeber "So bin ich eben!" veröffentlicht. Stefanie Stahls erste Ehe ist da bereits geschieden. "Ich hatte einige schwierige, ja katastrophale Beziehungen. Ich gehörte viele Jahre lang zu den Frauen, die ein ganz blödes Beuteschema hatten: egozentrische Alphatiere." Auf einer Party von gemeinsamen Freunden kommen sie ins Gespräch.

Es ist eine Art Harry und Sally Geschichte

"Ich fand Steffi von Anfang an toll. Gut aussehend, klug, redegewandt." "Wir haben uns nett unterhalten, aber nicht geflirtet." "Ich habe schon geflirtet." "Für meinen damaligen Geschmack war Holger zu zurückhaltend und introvertiert." Ein paar Tage später treffen sie sich auf der Straße wieder. Trier ist nicht groß, da passiert das häufiger. Beim nächsten zufälligen Wiedersehen trinken sie einen Kaffee zusammen. "Wir sind so eine Harry-und-Sally-Geschichte", sagt Holger Sorg. Sie seien erst Bekannte, dann Freunde und irgendwann beste Freunde gewesen. Er wollte schon gern mehr, das gibt er offen zu. "Aber ich bin nicht in die Offensive gegangen. Erstens bin ich nicht der Typ dafür. Außerdem wollte ich unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen."

Sechs Jahre geht das so. Die beiden verlieben sich in andere, trennen sich wieder. Quasi zeitgleich beschließen sie im Jahr 2010 unabhängig voneinander, das Thema Liebe endgültig abzuhaken. Zu kompliziert. Zu kummervoll. "Das wird nichts mehr", denkt Stefanie Stahl. Sie will sich auf die Patienten in ihrer Praxis und die Arbeit als Buchautorin konzentrieren. Sie fühlt sich nicht allein, sie hat einen großen Freundeskreis. "Und immer am Sonntag habe ich Holger getroffen." Das, was viele Paare erst während der Anfangszeit einer Beziehung klären, besprechen die beiden als Freunde: Wie nimmt man sich selbst wahr? Welche Bedürfnisse hat man eigentlich? Was hat bei ihren Partnern gefehlt? Wie viel Nähe, wie viel Distanz wünscht man sich? "Ich verstehe nicht, warum so viele Männer kein Interesse an diesen Fragen haben“, sagt Holger Sorg. Sie seien beide der Typ "abstrakte Gefühlsentscheider", fügt Stefanie Stahl hinzu. "Das sind Menschen, die sich ein Leben ohne persönliche Selbstreflexion nicht vorstellen können."

Eines Abends hat es dann einfach gepasst!

Durch ihr Buch "So bin ich eben!", fährt er fort, habe er manche Verhaltensweisen und Charaktere überhaupt erst verstanden. "Ich bin ja, das ist vielleicht schon aufgefallen, eher introvertiert." Er habe sich immer gefragt: Warum quatschen manche eigentlich so viel? Strengt die das nicht an? Bis er durch den Ratgeber kapiert habe, wie extrovertierte Menschen ticken. "Während ich in der Stille Energie tanke, laden extrovertierte Charaktere ihre Akkus in der Interaktion mit anderen auf." Holger Sorg blickt seine Frau an. "Steffi ist so ein Mensch. Und gleichzeitig hat sie die Gabe, zartfühlend auf andere Charaktere einzugehen."

"Das klingt, als hättest du dich deswegen verliebt!" "Wäre das kein guter Grund?" "Eine Frau will doch hören: weil sie so umwerfend ist." Holger Sorg runzelt die Stirn. An dieser Stelle spart er sich ein Kompliment. Was dann plötzlich den Schalter umgelegt hat, kann heute keiner mehr so genau sagen. An einem Dezemberabend 2010 holt er seine beste Freundin zu einer Party ab. "Ich war sehr mit mir im Reinen zu dieser Zeit." Seine Karriere ging voran, er hatte sich als Berater selbstständig gemacht. Er ging mehrmals pro Woche laufen, trainierte Stockkampf. "Ich fand mich gut." Vielleicht spürte Stefanie Stahl das, und es veränderte ihren Blick auf den langjährigen Freund, jedenfalls vermutet sie das im Nachhinein. Ihre Mutter sei an diesem Abend zu Besuch gewesen. Und sagte unbefangen: "Ihr seid aber ein tolles Paar." An dem Abend habe ich mich verliebt, sagt Stefanie Stahl. "Ich hatte wohl endlich mein Beuteschema überwunden."

Man darf in den anderen nicht zu viel hinein projizieren

Die Freunde sind also plötzlich ein Paar. Und doch ist alles anders, als die beiden es aus früheren Beziehungen kennen. Stefanie Stahl ist eigentlich eine Verliebtheits-Skeptikerin. "Dieser Hormonrausch taugt nicht als Ratgeber", sagt sie. Die eigenen Projektionen auf den anderen würden eine viel zu große Rolle spielen, um realistisch erkennen zu können, ob das Gegenüber einen glücklich machen kann. Mit Holger sei das anders gewesen. "Wir waren zwar sehr verliebt, aber es gab keine Selbstdarstellungsphase. Und überhaupt keine Unsicherheiten. Wir kannten uns ja bereits ohne irgendwelche Masken, vollkommen ungeschminkt – auch im wörtlichen Sinn."

Schon kurz nach dem ersten Kuss zieht er zu ihr. Ein Jahr später macht er ihr einen Antrag, 2012 heiraten sie. "Meine Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt", sagt er. "Aus professioneller Sicht muss ich aber einwerfen, dass man in der Liebe nur sehr selten mit einem extrem langen Atem zum Ziel kommt", sagt sie. "Statistisch gesehen ist das eher unwahrscheinlich." Beide lachen. Es klingt erleichtert.

Inzwischen hat Holger Sorg seinen früheren Job aufgegeben und arbeitet im "Unternehmen Stahl", in dem außer den beiden fünf weitere Mitarbeiter beschäftigt sind. Eine Entscheidung aus Liebe. Seit Stefanie Stahl 2015 den Bestseller "Das Kind in dir muss Heimat finden" veröffentlichte, ist sie viel seltener in ihrer psychotherapeutischen Praxis in Trier. Mehrmals im Monat reist sie zu Lesungen und Vorträgen, sie muss zu ihrem Verlag nach München, gibt Interviews, hat Drehtermine für ihre Online-Seminare. Zusätzlich produziert sie gerade ein neues psychologisches Coaching-Magazin.

Ich fühle mich aufgehoben. Ich bin endlich angekommen

Anfangs fuhr sie allein, ab und zu nahm Holger sich frei, um sie zu begleiten. Doch seine Urlaubstage waren begrenzt, und so hatten bald beide das Gefühl: Eigentlich könnten wir super zusammen arbeiten und so öfter gemeinsam unterwegs sein. Zudem brauchte sie dringend einen Informatiker für den Ausbau ihrer Online-Auftritte. Irgendwann fragte Stefanie Stahl ihren Mann, ob er bei ihr einsteigen wolle. "Er ist mein technischer Geschäftspartner. Ich bin die Ideengeberin und Galionsfigur unseres Unternehmens." Von außen werde das oft falsch interpretiert. Eine Journalistin bezeichnete Holger Sorg einmal als "freundlichen unauffälligen Endvierziger". "Ich wurde wie eine Diva skizziert, die sich ein Schoßhündchen hält", sagt sie und rollt mit den Augen. "Nicht so nett", sagt Holger Sorg und zuckt in der für ihn typischen stoischen Art mit den Schultern. "Aber vor allem erstaunlich, wenn so ein Kommentar zu einer gleichberechtigten Beziehung von einer Frau kommt."

Sein Telefon klingelt, er geht nach draußen. Stefanie Stahl sieht ihm nach. Manchmal, beim Spazierengehen, sagt sie, da achte sie darauf, ob ihrem Mann andere, schöne, vielleicht jüngere Frauen auffallen. Sie selbst gucke ja schließlich auch. Aber den Holger hat sie noch nie gucken sehen. "Ich fühle mich aufgehoben. Ich bin endlich angekommen."

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