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Beziehung: Wie hört man mit dem Aufrechnen auf?

Liebe ist die Antwort auf alle Fragen? Nicht ganz. Sie stellt auch ziemlich viele. Psychologe und Paartherapeut Oskar Holzberg beantwortet sie alle

Indem wir damit aufhören.

Frank ist gerade von der Arbeit nach Hause gekommen. "Meine Güte, was für ein Tag!", ruft er seiner Frau Kirsten zu, die gerade im Wohnzimmer den Tisch deckt. "Du glaubst gar nicht, was heute wieder am Institut los war …" Kirsten legt ungerührt die Gabel auf den Tisch: "Denk bloß nicht, dass ich nur Tee geschlürft habe! Drei Krankmeldungen in der Praxis. Ich musste mittendrin raus und zur Kita rasen. Das wartet dann morgen schon wieder alles auf mich ..." Frank verdreht die Augen. "Schon gut, schon gut … du hast es ja immer schwerer als ich, wie konnte ich das nur vergessen!? Ich wollte nur sagen: Ich bin von meinem Erholungsurlaub am Institut zurück!" Und hinter ihm knallt die Tür zu.

Vermutlich hatten Frank und Kirsten schon bessere Zeiten als Paar. Zu Beginn einer Liebesbeziehung unterstützen sich Partner meistens wohlmeinend. Wenn einer stöhnt, wie viel er gerade um die Ohren hat, findet er Mitgefühl. Doch dann kommt der Alltag, die Kinder. Die Anforderungen steigen. Alles muss erledigt und geschafft werden. Um das durchzuhalten, stellen wir oft das Mitgefühl mit uns selbst ein. Sobald unser Liebster dann sein Leid klagt, erinnert das uns an unsere eigene Belastung und Unzufriedenheit. Und wir konkurrieren darum, wem es schlechter geht.

Porträt Oskar Holzberg
Oskar Holzberg berät seit mehr als 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und bekommt immer wieder Beziehungsfragen gestellt. Sein aktuelles Buch heißt: "Neue Schlüsselsätze der Liebe".
© Ilona Habben

Eine wünscht sich, dass ihre Arbeit mit Haushalt und Kindern mehr anerkannt und unterstützt wird, während der andere dagegensetzt, dass er ja viel mehr Geld durch seine Arbeit in die gemeinsame Kasse schaufele. Einer sagt, er habe wieder die ganze Woche die Küche sauber gehalten, der andere erwidert, dass er aber dafür bestimmt fünfzehnmal mit dem Autohaus telefoniert habe. Eine möchte ein freies Wochenende mit ihren Freundinnen verbringen, die andere kontert, dass sie aber in den letzten Monaten nur noch jedes zweite Mal beim Yogakurs war. Es sind sinnlose Vergleiche, in denen uns unser feines Empfinden für Gerechtigkeit fehlleitet.

Wir sollten aufhören uns zu vergleichen

Gerechtigkeit ist wichtig. Sie ermöglicht das Zusammenleben. Bereits als Kinder entwickeln wir ein moralisches Gewissen. Doch die Waage, in der zwischen Partnern aufgerechnet wird, ist eine emotionale. Je mehr es um den Partner geht, um so weniger geht es um uns. Je mehr ihm fehlt, desto mehr fühlen wir uns dafür schuldig. Wir beginnen aufzurechnen, weil wir Angst haben, dass sich die emotionale Waage zu unseren Ungunsten neigt und wir wie der schlechtere, weniger liebevolle Partner dastehen. Je weniger gut wir uns gesehen fühlen, je mehr rechnen wir dagegen. Ein Teufelskreis. Wir können den Kreislauf nur durchbrechen, indem wir Vergleiche vermeiden. Keine Vergleiche zwischen mir und dir. Keine Vergleiche zwischen dem, was du tust und dem, was ich tue. Keine Vergleiche wie du bist und wie ich bin. Vergleiche gehen in Beziehungen immer schief.

Wenn sich unser Partner an uns wendet, mit einem Wunsch, einem Bedürfnis, einer Sorge, wird das natürlich auch in uns immer Gefühle und Bedürfnisse wecken. Aber wir müssen tatsächlich lernen, unser Bedürfnis für den Augenblick auf die Ablage zu legen. Sobald sich der Partner verstanden und angenommen fühlt, ist er auch wieder bereit, sich für unser Anliegen zu öffnen. Eins nach dem anderen. Darüber entstehen gegenseitiges Verständnis und Unterstützung. Meine Liebe ist nicht deine Liebe. Da gibt es nichts aufzurechnen.

BRIGITTE 13/2019

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